Unaufhörliches Tageslicht ermüdet", sagte schon der deutsche Gelehrte und Bildungsreformer Wilhelm von Humboldt (1767–1835). Und das war viele Jahre vor der Einführung des elektrischen Lichts, das uns ermöglicht, die Nacht insofern zum Tage zu machen, als wir uns in ihr ungehindert bewegen können. Es heißt nicht ohne Grund im Titellied New York, New York des gleichnamigen Films von Martin Scorsese (1977): "I wanna wake up in a city that doesn’t sleep".

Mittlerweile scheinen Großstädte wie die besungene US-Metropole 24 Stunden auf Betriebsmodus zu sein. Wir haben den natürlichen Tag-Nacht-Wechsel an gesellschaftliche Entwicklungen angepasst: Sie betreffen flexiblere Arbeitszeiten, lange Öffnungszeiten von Geschäften, bessere Krankenversorgung, Leuchtreklame und den Individualverkehr.

Lichtsmog ist aus dem All sehr gut sichtbar: hier ein Bild, das Astronauten von der Internationalen Raumstation ISS aus aufgenommen haben.
Foto: ESA

In den 1980ern wurde erstmals auf eine Nebenwirkungen dieser Entwicklung aufmerksam gemacht: die Lichtverschmutzung (Light-Pollution). Aus dem Weltall sind Lichtinseln immer schon erkennbar gewesen, mittlerweile kann man von Lichtflächen sprechen. Dort, wo der Himmel von unten stark beleuchtet wird, leben viele Menschen und ist die Industrialisierung stark fortgeschritten. Lichtverschmutzung wirkt sich auf Menschen, Tiere, Pflanzen und auf die Astronomie negativ aus, das ist mittlerweile durch zahlreiche Studien belegt.

Rebound-Effekt durch LED-Lampen

Mit weniger und gezielter eingesetztem Licht könnte man auch Energie sparen, sagen Experten. Bei jüngsten Energiesparmaßnahmen – LED-Lampen ersetzen konventionelles Straßenlicht – schuf man zuletzt freilich einen Rebound-Effekt, was die Lichtverschmutzung angeht. LED-Lampen strahlen zwar effizienter, aber meist bläulich und damit auch stärker als das bisher gebräuchliche Beleuchtungssystem.

Industriebetriebe werden nachts meist zu stark beleuchtet – hier in Voelklingen in Deutschland
Foto: Imago

Es scheint fast logisch: Die Zahl der künstlichen Beleuchtung wächst allein in Europa jährlich um fünf Prozent. Dabei gibt es auch hier Regionen, in denen man die Vielfalt der Sterne am Nachthimmel recht gut mit freiem Auge sehen kann. In kleinen Ländern wie Singapur, San Marino und Kuwait werden jedoch laut National Geographic mittlerweile 99,5 Prozent des Nachthimmels von künstlichem Licht verdeckt. Die Lichter einer Stadt wie Las Vegas sind mehr als 60 Kilometer entfernt zu sehen. Und so verwundert es nicht sehr, dass mehr als 80 Prozent der Weltbevölkerung in Regionen leben, in denen zu viel oder das falsche Licht die Nacht beleuchtet. Den natürlichen Nachthimmel sehen Einwohner des Tschad, der Zentralafrikanischen Republik und von Madagaskar. Diese Länder sind allerdings auch von großer Armut gezeichnet.

Kein eigenes Gesetz in Österreich

Es gibt vereinzelt Initiativen, aber keine internationale Regelung, die die Grenzen der künstlichen Beleuchtung festlegt. In Slowenien wurde 2007 ein Gesetz gegen Lichtverschmutzung verabschiedet, Einsparungen in Millionenhöhe werden erwartet. In Frankreich müssen Geschäfte nach Ladenschluss das Schaufensterlicht abdrehen. In Österreich dagegen gibt es laut Wilfried Doppler von der Wiener Umweltanwaltschaft kein eigenes Lichtverschmutzungsgesetz.


Wissenschafter bekennen, dass die Lichtverschmutzung noch zu wenig im Bewusstsein der Gesellschaft verankert ist. Derzeit ist man jedenfalls erst um Vermittlung von Fakten bemüht: Mit einem Netzwerk von Lichtsensoren, die in den Himmel schauen und Licht beobachten, ging Günther Wuchterl, Leiter der Kuffner-Sternwarte in Wien, der Frage nach, was denn die dunkelste Nacht im Jahr sei. Es ist die Nacht vom 24. auf den 25. Dezember – die wenigsten sind mit dem Auto unterwegs, wegen der Feiertage gibt es auch keine Lkws auf den Straßen. Nur schade, dass nicht jeden Tag Weihnachten sein kann.

Wie wirkt sich Lichtverschmutzung auf Menschen aus?

Es hat schon einen guten Grund, warum Menschen nachts bei vollkommener Dunkelheit schlafen sollten. Licht ist ein "starker Zeitgeber" für die innere Uhr, sagt die Neurologin und Schlafmedizinerin Birgit Högl von der Medizinischen Universität Innsbruck. Fällt es in Form von Tageslicht, Licht von Nachttischlampen oder Straßenbeleuchtung auf die Netzhaut, dann werden deren Zellen aktiviert – sie stehen in Verbindung mit dem Suprachiasmatischen Nukleus (SCN), dem Zentrum des Tag-Nacht-Rhythmus. Die fatale Folge: Die Ausschüttung des Schlafhormons Melatonin wird unterdrückt. Das kann schon passieren, wenn man das Licht nur kurz aufdreht, sagt Högl.

Die Medizinerin ist überzeugt, dass die Bedeutung von vollkommener Dunkelheit für den gesunden Schlaf allgemein unterschätzt wird. Sie konstatiert daher nicht nur eine Outdoor-Light-Pollution, sondern auch eine Indoor-Light-Pollution. Das heißt: Menschen lassen auch zum Schlafengehen kleine Lichter brennen, oft nur Lampen, die die Wohnung indirekt beleuchten, den Standby-Modus des TV-Geräts, den Wecker mit Leuchtziffern neben dem Kopfpolster. Zur Indoor-Light-Pollution kann man auch Smartphones rechnen, die nach dem Zu-Bett-Gehen noch benützt werden.

Veränderung der Melatoninausschüttung

Man kann zwar keine allgemein gültigen Richtwerte festlegen, ab welcher Lichtintensität der Einschlaf- und Schlafprozess gestört ist. Forscher der Monash University in Melbourne kamen aber nach entsprechenden Tests vor etwa einem Jahr zum Schluss: Die Probanden reagierten in der Regel deutlich sensibler als gedacht. Im Durchschnitt zeigten sie bei schon 25 Lux (Maßeinheit der Beleuchtungsstärke) eine Veränderung in der Melatoninausschüttung.

Menschen, deren Tag-Nacht-Rhythmus regelmäßig außer Tritt gerät, die sich nachts zu wenig von Licht abschirmen, sind nicht selten von gesundheitlichen Folgen betroffen.
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Zum Vergleich: Ein Sonnentag ohne Wolken wurde mit 100.000 Lux eingeschätzt, eine Wohnzimmerbeleuchtung mit etwa 300. Lampen, die etwa 50 Lux abgeben, kann man durchaus schon als schummrig bezeichnen: Immer noch doppelt so hoch wie die durchschnittliche Empfindlichkeitsgrenze in der Studie.

Innere Uhr aus dem Takt

Japanische Wissenschafter von der Nara Medical University School haben ebenfalls Auswirkungen von Indoor-Light-Pollution festgestellt – selbst schwaches Licht in der Nähe des Bettes habe Auswirkungen auf die unterschiedlichen Schlafstadien des Menschen, hieß es da. Diese Phasen sind zum Beispiel bei der Diagnose von Schlafstörungen wichtig.

Högl betont, dass Schichtarbeiter, die untertags Schlaf aufholen müssen, meist zu wenig schlafen. Ihre innere Uhr hat sich mit den ganz persönlichen Rhythmen nie angepasst. Das kann zu unmittelbaren Folgen für die Konzentrationsfähigkeit führen: So gibt es in der Nacht ein höheres Risiko für Unfälle. Schließlich seien auch gesundheitliche Folgen nicht auszuschließen: Schichtdienste werden auch mit Herz-Kreislauf- sowie mit Tumorerkrankungen in Verbindung gebracht.

Wie schädlich ist Lichtsmog für Tiere?

Keine andere Umweltbedingung schwankt so stark im Tagesverlauf wie die Helligkeit – mit enormen Auswirkungen auf die Tierwelt. "Wenige Tierarten sind fähig, die ganze Bandbreite der unterschiedlichen Helligkeiten aktiv zu nutzen", stellt Annette Krop-Benesch in ihrem Buch Licht aus!? (Rowohlt, 2019) fest. So wie Spezies unterschiedliche Habitate besiedeln, passen sie sich auch an die Lichtextreme an. In der Fachwelt hat sich dafür der Begriff Chronotop als Äquivalent zum Biotop etabliert.

Es mag überraschen, dass rund zwei Drittel der Tierarten auf unserer Erde im Chronotop Nacht leben. Darunter befinden sich auch etwa die Hälfte der Insekten. Die Lichtverschmutzung stellt freilich eine enorme Irritation für nachtaktive Spezies dar. Bereits vor 15 Jahren hat der Biologe Gerhard Eisenbeis von der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz die Auswirkungen der Lichtverschmutzung auf verschiedene Tierarten beschrieben. Durch den "Fesseleffekt" von Einzellichtquellen komme es zu Orientierungsfehlern. Nicht nur Nachtfalter werden magisch von Straßenbeleuchtung angezogen – und verbrennen.

Insektenfreundliches Licht gesucht

Laut seiner Hochrechnung 2001 kam er zu dem Schluss, dass durch die damals 6,8 Millionen Straßenlaternen in Deutschland in der dreimonatigen sommerlichen Flugperiode etwa 91,8 Milliarden Insekten getötet wurden. Damit fehlen aber auch Nahrungsquellen für Vögel. Eisenbeis war auch der Erste, der die Insektenfreundlichkeit von LEDs untersuchte. Laut seinen Ergebnissen ziehen LEDs nur ein Fünftel der Insektenmenge einer Quecksilberdampflampe an. Im Vergleich mit Natriumdampflampen schneiden LEDs jedoch weniger gut ab: Laut einer Studie von 2017 ziehen LEDs um etwa 50 Prozent mehr Insekten an als Natriumdampflampen.

Eisenbeis berichtete auch von Störungen im Hormonhaushalt der Tierwelt, in der Kommunikation der Geschlechter und damit auch in der Fortpflanzung. Weiters kommt es in der Nahrungssuche zu Fehlverhalten, was schließlich zu einer negativen Energiebilanz führt.

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Insekten werden vom Licht angezogen, wie dieser Schwarm über einem Luxushotel in Las Vegas beweist
Foto: Reuters

Von Vögeln ist wiederum bekannt, dass sie in der Stadt ihr Sexual- und Brutverhalten verändern: Männliche Blaumeisen neigen etwa in Regionen mit viel Kunstlicht zu wahllosem Paaren, männliche Amseln werden offenbar früher geschlechtsreif und haben aufgrund des höheren Testosterongehalts stärker ausgeprägte Hoden als Artgenossen, die in Regionen leben, wo die Dunkelheit weniger gestört ist.

Wie wirkt sich Lichtverschmutzung auf die Wissenschaft aus?

Kein anderer Wissenschaftszweig ist dermaßen von der Lichtverschmutzung betroffen wie die Astronomie. Kleinere Observatorien im Stadtgebiet sind teilweise durch den urbanen Lichtsmog nutzlos geworden. So könne beispielsweise die 1904 erbaute Oppolzer-Sternwarte in Innsbruck heute nicht mehr wissenschaftlich genutzt werden. Ganz generell lässt sich feststellen, dass es auch unter den weltweit größten Sternwarten "keine gibt, bei der sich die Lichtverschmutzung nicht in irgendeiner Art und Weise bemerkbar macht", sagt Norbert Przybilla, Professor für Astrophysik an der Universität Innsbruck. Selbst wenn die nächste Stadt über 100 Kilometer entfernt ist, sorgt ihre Lichtglocke für eine Aufhellung des Himmels.

Die künstlichen Lichtquellen, die den Sternwarten die Sicht trüben, reichen von Straßen- und Verkehrsbeleuchtung bis zu Nachtskipisten: Die Trainingssternwarte der Universität Innsbruck wird gleich von drei Nachtpisten angestrahlt, die beleuchteten Pisten machen den Innsbrucker Astronomen zu schaffen.Satelliten verstellen die SichtEin zunehmendes Problem für astronomische Beobachtungen stellen zudem Satelliten dar, sagt Wolfgang Kausch vom Institut für Astro- und Teilchenphysik der Universität Innsbruck. Im Rahmen des von Elon Musk initiierten Projekts "Starlink" sollen circa 12.000 Satelliten ins All befördert werden, die mit freiem Auge sichtbar sind. "Wir haben 6000 Sterne, die am freien Himmel sichtbar sind", sagt Stefan Kimeswenger, Professor für Astrophysik an der Uni Innsbruck. Doppelt so viele Signale kommen also allein durch Starlink am Nachthimmel hinzu. Zwei weitere Unternehmen hätten ebenfalls Genehmigungen erhalten, tausende Satelliten zu starten.

Sternwarten werden seit einigen Jahren abseits der Zivilisation gebaut. Im Bild: das Very Large Telescope (VLT) in der chilenischen Wüste
Foto:Illetschko

"Wenn man Aufnahmen vom Himmel macht, hat man daher am frühen Abend und frühen Morgen unweigerlich in den Aufnahmen Satellitenspuren. Für die Astronomen wird das ein massives Problem werden", sagt Kausch. Nur mitten in der Nacht, wenn die Beobachtungen im Erdschatten durchgeführt werden, blieben die Aufnahmen von den Satelliten unbeeinträchtigt. Die effektive Arbeitszeit von Teleskopen verringert sich daher um mindestens je eine Stunde zu Beginn und zum Ende der Nacht. Berücksichtigt man die hohen Betriebskosten von Großobservatorien, ergeben sich daraus beträchtliche finanzielle Verluste.

Welche Initiativen gibt es gegen Lichtverschmutzung?

So vielfältig die Quellen der Lichtverschmutzung sind, so unterschiedlich sind auch die Möglichkeiten, etwas dagegen unternommen werden kann – von nationaler Gesetzgebung und internationalen Abkommen bis hin zu der individuellen Entscheidung, welche Außenbeleuchtung man beispielsweise im Eigenheim installiert.

Ein Vorzeigebeispiel dafür, was auf staatlicher Ebene gegen Lichtverschmutzung unternommen werden kann, ist Chile: In zwei Bundesstaaten wurden dort per Gesetz Gelbfilter für LED-Straßenbeleuchtung eingeführt. Dadurch werden die stärker streuenden blauen Komponenten des Lichts herausgefiltert. An sich sei das eine begrüßenswerte Initiative, sagt Stefan Kimeswenger, Astrophysiker an der Uni Innsbruck. Wirkungsvoll ist sie klarerweise aber nur dann, wenn sie auch effizient umgesetzt wird.

Auch die kanarische Insel La Palma hat spezielle Lichtschutzgesetze erlassen – mit Erfolg: Mit freiem Auge lassen sich dort auch in bewohnten Gebieten die Gestirne am Nachthimmel bestaunen. Im Jahr 2007 wurde nach einer Konferenz auf La Palma die Declaration in Defence of the Night Sky and the Right to Starlight erlassen. Damals wurde auch das Konzept der Lichtschutzgebiete erlassen.

Auf La Palma gibt es wegen des Observatoriums strenge Beleuchtungsregeln
Foto: Imago

Schon seit 2001 wird von der International Dark Sky Association (IDA) mit Sitz in Tucson, Arizona, das Prädikat International Dark Sky Community (IDSC) vergeben – für Regionen, die besonderen Wert darauf legen, das künstliche Licht nicht im Übermaß zu verwenden. Auch Großmugl im Weinviertel hat sich zum Lichtschutzgebiet im Sinne der Deklaration erklärt.

Mehr Bewusstseinsbildung

Andreas Hantschk, Biologe und Museumspädagoge vom Naturhistorischen Museum Wien (NHM), leitet ein Projekt mit mehreren Partnern, in dessen Rahmen das Wildnisgebiet um den Dürrenstein und der Nationalpark Kalkalpen als Lichtschutzgebiete gemanagt werden sollen. Er sieht einen großen Nachholbedarf in der Bewusstseinsbildung der Menschen. Die Hälfte der Europäer würden keine Milchstraße am Himmel sehen – und sich darüber nicht einmal wundern.

"Das ist erstaunlich, denn seit dem 19. Jahrhundert weiß man um den Einfluss des Lichts. Bereits damals war bekannt, dass Haushühner durch Zugabe von künstlichem Licht zu vermehrter Eiproduktion angeregt werden können." Vögel zählen zu jenen Tiergruppen, die am stärksten von der Lichtverschmutzung betroffen sind, wenngleich Hantschk weiß, dass die industrielle Landwirtschaft mehr negativen Einfluss auf die Biodiversität hat als Lichtsmog. Am Ende des Projekts soll es jedenfalls einen Informationspfad bei von Lichtverschmutzung besonders betroffenen Tierarten der Dauerausstellung geben. (1. 2. 2020)