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Der ukrainische Präsident Selenskyj (links) und sein polnischer Amtskollege Duda wollen das Gemeinsame vor das Trennende stellen.

Foto: Agencja Gazeta via Reuters / Adrianna Bochenek

Nicht nur die Sieger schreiben Geschichte: In Warschau hat sich Polens Präsident Andrzej Duda die Unterstützung seines ukrainischen Amtskollegen Wolodymyr Selenskyj im russisch-polnischen Streit um die Ursachen des Zweiten Weltkriegs gesichert. Der Streit schwelt seit Jahren, war in den vergangenen Wochen aber eskaliert.

Im Herbst hatte das Europaparlament in einer Erklärung den Totalitarismus und dabei konkret auch den Hitler-Stalin-Pakt verurteilt, weil dieser "die Weichen für den Zweiten Weltkrieg" gestellt habe. Durch die Erklärung fühlte sich Russlands Präsident Wladimir Putin nach eigenen Angaben auch persönlich beleidigt. Bei seiner Jahrespressekonferenz im Dezember, mehr noch aber einen Tag später beim Treffen der GUS-Länderchefs schlug er verbal zurück und nahm insbesondere Polen ins Visier.

Der 67-Jährige warf Polen vor, bei Kriegsbeginn "die Rolle eines Anstifters" für Hitler übernommen zu haben, um sich Teile der Tschechoslowakei einzuverleiben. Einen polnischen Diplomaten in Berlin zur Vorkriegszeit nannte er "antisemitisches Schwein". Den Hitler-Stalin-Pakt hingegen verteidigte er als letztes Mittel, um sich vor einem Angriff Deutschlands zu retten. Putins These nach betreibt Polen mit der Verurteilung des Pakts Geschichtsfälschung, um die Rolle der Sowjetunion bei der Vernichtung des Hitlerfaschismus zu schmälern, sich selbst als Opfer darzustellen und Stimmung gegen das heutige Russland zu machen.

Polen "selbst Täter"

Dabei seien die Polen selbst Täter, so der Kremlchef. Seine These konnte er zuletzt unwidersprochen auf dem vom Kreml-nahen Oligarchen Wjatscheslaw Kanter organisierten Holocaust-Forum in Yad Vashem vor rund 50 Staats- und Regierungschefs, darunter auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen, verbreiten. Duda war nicht nach Israel gereist, weil er im Gegensatz zu Putin kein Rederecht bekam.

Der Pole revanchierte sich kurz darauf: Zwar wies er bei der Gedenkveranstaltung im Vernichtungslager Auschwitz pflichtgemäß auf die Rolle der Roten Armee bei der Befreiung des Lagers hin. Doch Putin war nicht eingeladen. In einem Interview warf Duda Putin zudem die "Verdrehung der historischen Wahrheit" vor. Bei Putins Ideologie handle es sich um "poststalinistischen Revisionismus." Putin verharmlose die Schuld der damaligen Kremlführung bei der Aufteilung Osteuropas zwischen Hitler und Stalin, so der 47-jährige Politiker, der der rechtspopulistischen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) nahesteht.

Geschichte als Waffe

In Warschau sprang ihm nun Selenskyj bei: "Polen und das polnische Volk bekamen als Erste das Komplott der totalitären Regime zu spüren. Das führte zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs und erlaubte den Nazis, das Schwungrad des Holocausts in Bewegung zu setzen", wies der aus einer jüdischen Familie stammende ukrainische Präsident der Sowjetunion eine Teilverantwortung für den Kriegsbeginn und die Millionen Todesopfer zu.

Selenskyjs Solidaritätsbekundungen blieben nicht unbeantwortet: Dem Staatschef gelang es, den zwischen Polen und der Ukraine schwelenden Zwist um die Rolle der ukrainischen Nationalisten zu glätten. Die Verherrlichung des Antisemiten Stepan Bandera und der nationalistischen UPA (übersetzt etwa: Ukrainische Aufstandsarmee) in Kiew rief zuletzt massive diplomatische Verwicklungen mit Warschau hervor, das die UPA auch für Massaker an Polen verantwortlich macht. Nun sollen diese unrühmlichen Kapitel ausgeklammert werden. Vielmehr wollten sich beide Völker darauf konzentrieren, was sie verbindet, so Selenskyj.

Gemeinsame Ablehnung

Die größte Einigungskraft besitzt dabei offenbar die gemeinsame Ablehnung der Kremlpolitik. Duda schlug Selenskyj vor, das Gedenken an polnische und ukrainische Soldaten zu ehren, die 1920 im Kampf gegen die Bolschewiki fielen. Selenskyj seinerseits forderte, damals wie heute müsse die Menschheit gegen "destruktive Ideologien" zusammenstehen. Der Verweis auf die Gegenwart gilt der russischen Rolle im Donbass-Konflikt und der russischen Annexion der Krim.

Die Antwort aus dem Kreml folgte prompt: Selenskyjs Schuldzuweisungen gegenüber der Sowjetunion seien "falsch und beleidigend", erklärte Putins Sprecher Dmitri Peskow am Dienstag und deutete an, dass die Normalisierung der Beziehungen zwischen Kiew und Moskau sich damit weiter verzögert. (André Ballin aus Moskau, 28.1.2020)