Der Europarechtsexperte Stefan Brocza kritisiert, dass die Übergangsregierung Bierlein den vakanten Posten beim Verfassungsgerichtshof nicht nachbesetzt hat und es nun an Transparenz mangele.

Bereits am 4. Jänner, wenige Tage vor seiner Angelobung als Vizekanzler, hat Werner Kogler beim Bundeskongress der Grünen voller Stolz verkündet, dass es den Grünen obliegen wird, eine Richterstelle am Verfassungsgerichtshof (VfGH) zu besetzen. Zu diesem Zeitpunkt war weder eine solche Stelle ausgeschrieben, noch konnte der Grünen-Parteichef Kenntnis oder gar Einblick in die laufenden Bewerbungen für den VfGH-Präsidenten haben (außer die zu diesem Zeitpunkt amtierende Regierung hätte ihr Amtsgeheimnis gebrochen).

Seit Brigitte Bierleins Wechsel ins Bundeskanzleramt im Juni 2019 ist ihr Posten beim Verfassungsgerichtshof vakant.
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Zur Erinnerung: Am Tag vor ihrer Angelobung als erste Bundeskanzlerin Österreichs legte Brigitte Bierlein ihr Amt als Präsidentin des VfGH zurück. Seither ist dieser Posten vakant. Das Bundeskanzleramt hat diese Stelle am 2. Juli ausgeschrieben, Bewerbungen waren bis zum 2. September möglich. Bis heute ruht die Frage, wer als Nachfolger die Geschicke des VfGH künftig lenken wird. Offensichtlich sah die "Expertenregierung" keinen dringenden Bedarf, diese höchste Richterstelle nachzubesetzen. Bekanntlich hatte man sich ja darauf geeinigt, nur "das Nötige" an Personalentscheidungen zu treffen. Kritische Beobachter gingen eher davon aus, dass man es sich einfach nicht mit den politischen Parteien verscherzen wollte. Gehört doch das VfGH-Präsidentenamt traditionell zu einem heißumkämpften Posten, den man im politischen Ränkespiel von Tausch und Abtausch alle paar Jahre zu besetzen hat. Im konkreten Fall hat die Bundesregierung diesen Posten zu besetzen. Ohne Hearing, ohne Ranking – die Personalie wird einfach mittels Beschluss entschieden. Die formale Ernennung obliegt dann nur noch dem Bundespräsidenten.

Geschenk für Türkis-Grün

Es hätte enormen Charme gehabt, wenn die Regierung Bierlein über ihren eigenen Schatten gesprungen wäre und die ihr von der Verfassung zugeschriebene Aufgabe einfach erfüllt hätte. Stattdessen ließ man die Position seit Anfang Juni unbesetzt. Wohl wissend, dass man damit der kommenden Regierung ein nicht zu unterschätzendes Geschenk bereitet. Und so kam es denn auch. Offensichtlich wurde in den Tagen der Regierungsverhandlungen nicht nur an der Ausformulierung des Regierungsprogramms gefeilt, sondern auch schon mal vorab über künftige Postenbesetzungen gesprochen. Natürlich "informell", denn im Programm findet sich nichts, und andere, allenfalls geheime Nebenvereinbarungen werden entrüstet abgestritten.

Was hat nun Kogler da im Überschwang der kommenden Regierungsbeteiligung am 4. Jänner eigentlich verkündet? Der herrschenden politischen Gerüchtelage nach scheint hübsch klar zu sein, wer der kommende, nächste Präsident des VfGH sein wird – nämlich der derzeitige Vizepräsident. Wenn dem so ist, kann Kogler wohl nur gemeint haben, dass der dann frei werdende Vizeposten der grünen Personalpolitik zusteht. Wie das mit der allzeit verkündeten Transparenz bei Postenbesetzungen einhergehen soll, ist jedenfalls nicht nachzuvollziehen. Die betreffende Stelle ist noch nicht einmal ausgeschrieben, man weiß daher auch noch gar nicht, wer sich alles bewerben wird. Aber eines steht offensichtlich spätestens seit dem 4. Jänner fest: Es wird eine grüne Kandidatin. Komme was wolle beziehungsweise Transparenz hin oder eher. Früher nannte man so eine Vorgehensweise schlicht Postenschacher. (Stefan Brocza, 29.1.2020)