Die kolumbianischen Flusspferde tauchen inzwischen immer weiter von ihrem Ursprungsort entfernt auf. Was soll man mit ihnen tun?
Foto: APA/AFP/RAUL ARBOLEDA

Während im Fernsehen die Erfolgsserie "Narcos" die Lebensgeschichte des Drogenbarons Pablo Escobar nacherzählt, steht man in Kolumbien etwas ratlos vor einem ganz speziellen Erbe, das dieser hinterlassen hat: Flusspferde. Denn was tut jemand, der alles Geld der Welt hat und nicht mehr weiß, welchen Luxus er sich noch gönnen könnte? Er lässt sich einen Privatzoo anlegen.

So geschah es auf der etwa 3.000 Hektar großen Hacienda Nápoles, einem luxuriös ausgestatteten Rückzugsort Escobars im Nordwesten Kolumbiens. Diverse afrikanische Großtiere wurden für seinen Zoo eingeflogen, von Straußen bis zu Elefanten. Als Escobars Drogenimperium zu zerbrechen begann, wurde die Menagerie vernachlässigt. Manche Tiere verhungerten, andere nach Escobars Tod im Jahr 1993 evakuiert. An die Flusspferde allerdings, mit denen bekanntlich nicht gut Kirschen essen ist, wagte sich niemand heran, und so blieben sie vor Ort.

"Dramatisches Wachstum"

Und sie haben sich in der für sie sehr günstigen Umgebung prächtig vermehrt. 2018 wurde die Population ihrer Nachkommen bereits auf etwa 50 Tiere geschätzt. Nun sind es laut einer aktuellen Studie von Forschern der University of California schon über 80. Das klingt noch nicht nach viel, doch ursprünglich sollen es nur drei Weibchen und ein Bulle gewesen sein – die Wachstumsrate ist also beachtlich.

Eine typisch afrikanische Szene ... die sich allerdings auf dem falschen Kontinent abspielt.
UC San Diego Biological Sciences

Da bisher nur sehr zögerliche Gegenmaßnahmen getroffen wurden, prophezeit Studienautor Jonathan Shurin ein anhaltendes "dramatisches Wachstum": In den kommenden Jahrzehnten könnte man es bereits mit einigen tausend Flusspferden zu tun haben, und spätestens dann wird das Ökosystem der Region nicht mehr dasselbe sein.

Einfluss auf die Gewässer

Shurins Team hat sich darangemacht, die ökologischen Auswirkungen der Flusspferd-Ausbreitung zu untersuchen. Denn auf der Suche nach Nahrung oder Territorien für die jungen Männchen haben sich die Tiere längst Dutzende Kilometer von der Hacienda entfernt und neue Gewässer besiedelt. Zäune nehmen sie nicht zur Kenntnis, und die Präsenz von Menschen schreckt sie auch nicht davon ab, durch Siedlungsgebiete zu stapfen.

Im Rahmen eines zweijährigen Projekts verglichen die US-Forscher zusammen mit kolumbianischen Kollegen die Wasserqualität, den Sauerstoffgehalt und die Isotopenverteilungen von Gewässern mit Flusspferdbesiedelung und solchen ohne. Sie untersuchten die Mikrobiome der betreffenden Seen und Teiche und analysierten auch, wie sich die Populationen von Insekten, Krebstieren und anderen Organismen entwickelt haben.

Nachts werden Flusspferde aktiv – dann heißt es doppelt achtsam sein.
Foto: APA/AFP/RAUL ARBOLEDA

Das Ergebnis entsprach dem, was man aus der afrikanischen Heimat der Tiere kennt: Flusspferde sind wandelnde Düngemittelfabriken. Da sie nachts an Land kommen, um zu fressen, und sich tagsüber im Wasser abkühlen, schleppen sie große Mengen an organischer Substanz ins Wasser. Die Nährstoffe, die sie über ihren Kot ausscheiden, kurbeln die Gewässerbiotope an. "Wir haben festgestellt, dass Seen produktiver sind, wenn darin Flusspferde leben", sagt Shurin.

Das klingt eigentlich recht positiv. Allerdings gibt es auch eine Kehrseite: Aus Düngung kann leicht Überdüngung werden, warnt der Forscher. Eine Eutrophierung der Gewässer könne zu Algenblüten führen. Und diese würden, wenn die massenhaft vermehrten Algen wieder absterben, dem Wasser den Sauerstoff entziehen – fatal für kleine Wasserbewohner, während es den Hippos egal sein kann. Eine eindeutige Bilanz können die Forscher noch nicht ziehen.

Landschaftsgestaltung durch schiere Masse

Noch nicht eingeflossen ist in diese Betrachtung zudem ein anderer Effekt: In Afrika gelten Flusspferde nicht nur deshalb als "Ökosystem-Ingenieure", weil sie Gewässer düngen. Sie gestalten auch aktiv die Landschaft um. Mit ihren mehrere Tonnen schweren Körpern schaffen sie Kuhlen rings um ihre Teiche, die sich ihrerseits rasch mit Wasser füllen können.

Zudem trampeln sie auf den täglichen Märschen von und zu den Weidegründen Pfade in den Boden – sogenannte Hippo-Highways, die bis zu fünf Meter breit sind. Nach starken Niederschlägen werden aus solchen Pfaden rasch Kanäle. Auf diese Weise krempeln Flusspferde im Lauf der Zeit ihr Heimatgebiet kräftig um, im Extremfall können sie sogar einen Fluss einen neuen Lauf nehmen lassen.

Wo Flusspferde sind, bleibt der heimischen Fauna nichts anderes übrig, als sich mit ihnen zu arrangieren. Oder zu weichen.
Foto: APA/AFP/RAUL ARBOLEDA

Offene Fragen sehen die Forscher auch noch, was die Auswirkungen der Flusspferd-Ausbreitung auf die heimische Tierwelt in den betroffenen Gewässern betrifft: etwa auf Seekühe, Kaimane oder die Arrau-Schildkröte, eine gefährdete Flussschildkröte mit bis zu einem Meter langem Panzer. Flusspferde würden die tierischen Gemeinschaften dominieren, und Räuber haben sie auch nicht zu fürchten: In Afrika können ihnen höchstens Krokodile oder Löwen gefährlich werden, und selbst das nur in Ausnahmefällen. Die größten Fleischfresser, die Südamerika aufzubieten hat – Jaguare, Kaimane und Anakondas –, werden da auch nicht mehr Jagdglück haben.

Ausschlaggebend könnte letztlich die Interaktion mit einer anderen Spezies werden – natürlich dem Menschen. Bislang herrscht in der Region ein eher naiver Umgang mit den Tieren, der den Bewohnern von Flusspferdgebieten in Afrika die Haare zu Berge stehen lassen würde. Zwar sind in der Region allenthalben Warnschilder aufgestellt, doch gelten die Tiere auf der zu einem Freizeitpark umgemodelten Hacienda Nápoles (und inzwischen auch in deren Umland) als Touristenattraktion. Teilweise werden sie sogar gefüttert.

Solche Warnschilder sind im Umfeld um Escobars ehemalige Hacienda überall angebracht. Sie finden aber nur mäßige Beachtung.
Foto: Shurin Lab, UC San Diego

In Afrika haben sich Flusspferde wegen der Zahl an Todesfällen, die sie jedes Jahr (mit)verursachen, den Ruf als gefährlichstes Tier des Kontinents erworben, krankheitsübertragende Insekten einmal ausgenommen. Sie reagieren hochaggressiv, wenn ihre Kreise gestört werden, und attackieren Boote und Schwimmer ebenso wie Fußgänger, die das Pech haben, zwischen ein Flusspferd und das Ufer zu geraten. Und sie laufen trotz ihres massigen Körpers doppelt so schnell wie ein Mensch. Man weicht ihnen also besser großräumig aus.

In Kolumbien hingegen werden sie, wohl auch wegen ihrer noch geringen Zahl, eher als Kuriosum wahrgenommen, wenn nicht sogar als Bereicherung. Eine Initiative, sie abzuschießen, wurde 2009 nach Protesten von Tierschützern wieder abgeblasen. Danach setzten die Behörden auf sanftere Methoden: Sterilisierung (was aber so aufwendig ist, dass es kaum praktiziert wird) oder den Abtransport in Zoos. Keine dieser Methoden konnte mit dem Wachstum der Population Schritt halten.

Sind die Flusspferde nun Fluch oder Segen für eine Region, die – wie ganz Südamerika – mit der Ausbreitung des Menschen fast ihre gesamte Megafauna verloren hat? Darauf konnte auch Shurins Studie keine eindeutige Antwort geben. Doch sei es dringlich, eine zu finden, sagt der Forscher: Denn was auch immer man künftig mit den Tieren anstellen will – es lasse sich leichter bewerkstelligen, solange es noch 80 sind und nicht tausende. (jdo, 1. 2. 2020)