Gran Canaria will grüner werden und Besucher weg von den Stränden locken.

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Die Insel bietet wesentlich mehr interessante Naturräume als die berühmten Dünen bei Maspalomas ...

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... wie zum Beispiel diesen Canyon.

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Der Ortskern von Agüimes ist denkmalgeschützt. Sie ist eine der nachhaltigsten Gemeinden auf der Insel.

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Wer dem Winterblues entgehen will, der bucht für den Jahresanfang klassischerweise eine Reise in den Süden. Für die Kanaren entschieden sich 2019 allerdings deutlich weniger Touristen aus Nord- und Mitteleuropa als im Vorjahr, genauer gesagt 400.000. Immerhin waren es noch 15 Millionen, die eine der acht Insel auswählten, um mal wieder die Sonne zu sehen. Das hat das kanarische Tourismusministerium Mitte Januar bekanntgegeben.

In einer Region, wo die Wirtschaft fast ausschließlich vom Tourismus abhängt, ist auch ein Buchungsrückgang von knapp drei Prozent ein Grund zur Sorge. Dementsprechend gedämpft ist die Stimmung beispielsweise auf der drittgrößten Insel, Gran Canaria. "Ich höre überall Gejammer", sagt Julia Major, Wiener Journalistin, die seit 13 Jahren im Ferienort Maspalomas im Süden der Insel lebt. "Taxifahrer, Restaurant- und Boutiquenbesitzer haben hohe Einbußen, die Saison hat sehr spät angefangen". Die Hauptsaison beginnt auf den Kanaren im Oktober und endet im April.

Isolvenzen und Flugscham

Die kanarische Tourismusbehörde hat ermittelt, was hinter dem Trend stecken kann: Andere Sonnen-Destinationen in Nordafrika boomen wieder; die Flugbranche ist instabil, im Februar hat die Germania Fluggesellschaft Insolvenz angemeldet und im September dann Thomas Cook mit Neckermann Reisen und Condor. Das hat vor allem deutsche Urlauber verunsichert, deren Zahl im Inseldurchschnitt um gut 14 Prozent zurückgegangen ist. Sie machen vermehrt im eigenen Land Urlaub, was auch mit der um sich greifenden Flugscham zu tun hat. Denn eine fünfstündige Flugreise von Mitteleuropa auf die Kanaren hat eine schlechte Ökobilanz.

Für Julija Major folgt der Trend einer gewissen Logik. "Das musste irgendwann kommen", sagt sie, "schließlich haben sich die Besucherzahlen auf den Kanaren in den letzten zehn Jahren fast verdoppelt, von knapp acht Millionen auf 15 Millionen". Major gibt die deutschsprachige Wochenzeitschrift Viva Canarias heraus und publiziert regelmäßig Nachrichten aus der Tourismusbranche. Und sie fügt an, dass das Ganze nicht auf die Österreicher zutrifft, ihre Zahl wächst: Rund 35.000 haben vergangenes Jahr ihren Urlaub auf Gran Canaria verbracht, dreitausend mehr als 2018. Ihre Lieblingsinsel bleibt aber Teneriffa, wo 60.000 Österreicher Urlaub gemacht haben.

Wende zur klimanauetralen Insel

Antonio Morales, Präsident der Inselregierung Cabildo de Gran Canaria, scheint den Knick sogar zu begrüßen. "Der Boom war untragbar", sagt der Kunsthistoriker, der seit 1987 Einfluss nimmt auf Gran Canaria, zunächst als Klima-Aktivist, später als Bürgermeister und seit 2015 als Inselpräsident. Er treibt die Wende zur klimaneutralen Insel voran. Den Besucherrückgang nützt er, um Gran Canarias Tourismusmodell zu verändern.

Die Inselregierung wünscht sich weniger All-Inclusive-Touristen am Strand und mehr Aktivtouristen im Inselinneren. Sie richtet sportliche Großveranstaltungen mit bis zu 4000 Teilnehmern aus 40 Ländern aus und sie fördert Landhaustourismus für Individualtouristen: Gran Canaria will sich aus der Abhängigkeit von großen Reiseveranstaltern lösen und die Insulaner direkter am Tourismusgeschäft beteiligen.

"Minikontinent"

Das passt zum Profil der Zielgruppe der Millenials, also der in den 1980er- und 1990er-Jahren Geborenen: Viele von ihnen buchen ihren Urlaub selbst, wollen am Urlaubsort in Kontakt mit Einheimischen kommen und sie meiden Orte, die nach Overtourism riechen – Strandhotels im Süden von Gran Canaria zum Beispiel.

Für einen All-Inclusive-Strandurlaub ist die Insel tatsächlich zu schade. Das Erscheinungsbild der runden Insel ist so vielfältig, dass sie auch als "Minikontinent" bezeichnet wird. An der Küste findet man helle Dünen aus feinem Sand ebenso wie dunkle schroffe Felsen. In der Mitte erhebt sich ein Gebirgsmassiv auf fast 2.000 Meter, dort gedeihen je nach Himmelsrichtung und Höhe endemische Wolfsmilcharten, Sukkulenten und die einheimischen Drachenbäume oder die typisch kanarischen Kiefern- und Lorbeerbäume.

Um die sorgt sich Gran Canaria besonders. Seit dem Antritt der Regierung Morales im Jahr 2015 geht von jedem getankten Liter Benzin ein Cent an die Bäume. 150.000 werden seitdem jährlich gepflanzt – derzeit vorwiegend auf den 12.000 Hektar Land, wo der Wald im vergangenen August abgebrannt ist. 21 Gemeinden haben einen Pakt zur Verminderung ihres CO2-Ausstoßes unterzeichnet, die Inselregierung fördert nachhaltige Stromerzeugung für den Eigenverbrauch, bioklimatisches Bauen und Kreislaufwirtschaft und sie strebt Lebensmittelsouveränität an, weswegen auch Landbau subventioniert wird. Vor allem aber will Gran Canaria die erste energieunabhängige Insel der Kanaren werden. "Unsere Randlage in Europa und das sonnige Klima prädestinieren uns dafür", sagt Morales.

Klima- und Mentalitätswandel

Auch andere Inseln wie El Hierro streben nach Nachhaltigkeit, erzeugen selbst Energie mit Wasser und Wind. "Dort fehlt aber der echte politische Wille", sagt Umweltexperte Ezequiel Navío. Er hat für mehrere kanarische Inseln Strategiepläne zum Klimawandel erarbeitet. "Antonio Morales ist der erste, der es ernst meint", sagt der 55-Jährige, der jahrelang das WWF-Büro auf den Kanaren geleitet hat. Doch der Weg ist lang.

Die Kanaren müssten beim Naturschutz viel aufholen, wie Navío meint. Die Inselgruppe hat zum Beispiel viele Schutzgebiete, aber sie wurden bisher weder besonders respektiert noch bewacht. "Die Natur war hier immer dem Tourismus untergeordnet," sagt er, "wenn wir unser Ziel erreichen wollen, brauchen wir einen Mentalitätswandel. (Brigitte Kramer, 5.2.2020)

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