Cédric Villani (links) will Pariser Bürgermeister werden, doch der offizielle Kandidat der Macron-Partei ist Benjamin Griveaux. Der Staatspräsident selbst (re.) konnte Villani nicht zum Rückzug überreden.

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Mit Spinnenbrosche, Seidenfoulard und Künstlerlook gibt sich Cédric Villani bewusst etwas verschroben. Unterschätzen sollte man den international renommierten Mathematiker aber mitnichten. Diese Erfahrung musste aber Emmanuel Macron machen, als er diese Woche persönlich zum Telefon griff, um Parteifreund Villani zum Verzicht auf eine Kandidatur in Paris zu überreden. Der vermeintliche Softie blieb pickelhart: Kraft seiner zehn Prozent an Umfragestimmen denkt er nicht daran, sich selbst aus dem Rennen um den Pariser Bürgermeister zu nehmen.

Die Aussichten für die Macron-Partei La République en Marche (LRM) sind damit sehr schlecht. Ihr offizieller, aber vergleichsweise farbloser Kandidat Benjamin Griveaux kommt auf 16 Prozent. Das dürfte ihm nicht genügen, um im März in das riesige Pariser Rathaus – größer als der Élysée-Palast des Staatschefs – einzuziehen.

In den Umfragen liegen die sozialistische Bürgermeisterin Anne Hidalgo (23 Prozent) und die konservative Ex-Sarkozy-Ministerin Rachida Dati (20 Prozent) bequem vorn. Wobei Hidalgo im Vorteil ist, da sich der Grüne David Belliard (14 Prozent) in der Stichwahl zweifellos auf ihre Seite schlagen wird. Die Macronisten hätten nur mit einer einheitlichen Kandidatur eine Chance. Villani macht aber alle Planspiele zunichte: Mit seinem Nein demütigte er Macron geradezu.

1000 Tage im Amt

Paris ist nur ein Problem von vielen für Macron. In 16 der 60 der größten französischen Städte machen Dissidente den offiziellen LRM-Kandidaten das Leben schwer und den Sieg streitig. Von den langen Streikwochen gezeichnet, hat der Staatspräsident sogar Mühe, sich in seiner eigenen Partei durchzusetzen.

1000 Tage im Amt – die zweite Hälfte davon mit aufreibenden Sozialkrisen (Gelbwesten, Rentenproteste) – haben ihre Spuren hinterlassen. Vorbei die Zeiten, als die "marcheurs" (Marschierer) ihrem strahlenden Jungstar zujubelten und in Frankreich eine neue Polit-Ära ausriefen. Selbstzweifel nagen an der Mittepartei, Austritte und Parteiwechsel mehren sich. Viele LRM-Abgeordnete sehen sich in ihren Wahlkreisen bedroht, verbal und gar physisch angegriffen. Einzelne Parteilokale gingen schon in Flammen auf.

Keine Wurzeln

Die Vorfälle werfen ein Schlaglicht auf die Schwierigkeit der Macronisten, lokalpolitisch Wurzeln zu schlagen. Viele waren 2017 – wie vom Mars kommend – in ihrem Wahlkreis gelandet und im Zuge der Macron-Wahl auch tatsächlich gewählt worden. Heute wissen sie nicht mehr, wie sie Wahlkampf machen sollen: Die Person Macrons ist kein Argument mehr – oder höchstens ein negatives. Und mit lokalen Themen und Problemen sind die LRM-Kandidaten meist nicht vertraut.

Eine Ausnahme davon sind höchstens die Überläufer aus anderen Parteien, politisch erfahrene Insider. Viele nehmen nun wieder Kontakt zu ihren früheren Parteien auf, um ortsweise Absprachen zu schließen – zu zwei Dritteln sind das konservative Republikaner, zu einem Drittel mit Sozialisten.

Diese Allianzen riechen aber stark nach jener "alten Politik", die den Franzosen so zuwider ist – und die Macron selbst angeprangert hatte. So schlingert LRM desillusioniert in eine Kommunalwahl, bei der die Regierungspartei ohnehin traditionell abgestraft wird. Zumal im März erstmals seit Macrons Wahl 2017 Urnenbilanz gezogen wird.

Auch Macron weiß, dass die Wahlen nicht zu seinen Gunsten ausfallen werden. Um dies zu kaschieren, greift er nun selbst in die Trickkiste der "alten Politik": Innenminister Christophe Castaner kündigte im Dezember an, dass die Wahllisten in Gemeinden mit weniger als 9000 Einwohnern nicht mehr nach Parteibezeichnungen geführt werden sollen. Er begründete dies mit dem Hinweis, dass in Dörfern und Kleinstädten die Persönlichkeit der Kandidaten ausschlaggebend sei – nicht die politische Ausrichtung.

"Politischer Skandal"

Langsam formiert sich Widerstand gegen das Manöver: Die konservativen Republikaner, die in ländlichen Gebieten noch gut verankert sind, sprechen von einem "politischen Skandal", der bloß zum Ziel habe, das Wahlergebnis zu verfälschen. Dabei habe schon die Gelbwestenkrise Macrons LRM als "rein urbane Partei" ohne Verwurzelung entlarvt, meinte Republikanerchef Christian Jacob.

In der Zeitung "Le Monde" führten 44 Forscher aus, dass Castaners Erlass nicht nur das Verschleiern, sondern sogar das Schummeln ermögliche: Über die in Frankreich verbreitete Sammelbezeichnung "divers centre" für das politische Zentrum könnten die Macronisten versuchen, sogar gegnerische Kräfte für ihr Lager zu beanspruchen – all das, um zu verbergen, wie dünn das politische Eis für die "marcheurs" geworden ist – und wie isoliert ihr Präsident. (Stefan Brändle aus Paris, 31.1.2020)