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Dreimal im Jahr wird der Saatguttresor in Spitzbergen geöffnet, um neue Samen einzulagern.

Foto: Reuters/NTB Scanpix

Drei Flugstunden von Oslo entfernt, zwischen norwegischem Festland und Nordpol, liegt die Inselgruppe Spitzbergen. Die rund 2.700 Einwohner teilen sich den kleinen Archipel mit Rentieren, Eisbären und rund einer Million Samenproben von Nutzpflanzen aus aller Welt. Auf Svalbard, wie der norwegische Name der Inselgruppe lautet, wird im Polargebiet Saatgut aus der ganzen Welt gelagert. Der Samen-Tresor Svalbard Global Seed Vault soll die weltweite Ernährung und Artenvielfalt sichern. In Zeiten von Klimawandel und Bevölkerungswachstum sind die genetischen Ressourcen eine Art Zukunftsversicherung der Menschheit im Katastrophenfall.

Der 2008 eröffnete Svalbard Global Seed Vault ist Eigentum Norwegens. Der Global Crop Diversity Trust übernimmt Teile der Betriebskosten und unterstützt ausgewählte Genbanken in Entwicklungsländern finanziell beim Saatgutversand. Nord Gen, das Nordic Genetic Resource Centre, ist für Betrieb und Lieferung zuständig. Der Norweger Åsmund Asdal koordiniert den Saatgut-Tresor für Nord Gen, er sagt über die Bedeutung des Samendepots: "Samen sind die wichtigste menschliche Nahrungsquelle und enthalten die genetischen Codes der Pflanzengene." Dreimal im Jahr wird der Tresor normalerweise für neue Sameneinlagerungen geöffnet. Der STANDARD traf Asdal auf Spitzbergen nach der aktuellsten Öffnung, bei der unter anderem erstmals Samen von Genbanken aus Polen und der Slowakei eingelagert wurden.

Siedlung der Superlative

Der Tresor liegt in der Höhe von Longyearbyen, dem Hauptort der Inselgruppe. Longyearbyen ist die Heimat von etwa 2000 Menschen und eine der weltweit nördlichsten Siedlungen, erreichbar mit dem nördlichsten Linienflug zum Svalbard Airport. Hier stehen die nördlichste Brauerei sowie die nördlichste Kirche. Im traditionellen Bergbauort boomen heute Tourismus und Forschung. Da Eisbären heimisch sind, muss man außerhalb der Siedlung, wo auch der Tresor liegt, entsprechend bewaffnet sein. Unser Interviewpartner rät deshalb, den Taxifahrer zu bitten, das Ende des Interviews abzuwarten, sollten wir uns vor Eisbären fürchten.

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Unterirdisch und bei minus 18 Grad lagern im Global Seed Vault etwa eine Million Samenproben.
Foto: Reuters/Stringer

Ende Oktober ist die Insel schneebedeckt, die Spitzen der weißen Berge leuchten in zartem Rosa, und der Fjord liegt ruhig am Fuße des Berges, als wir den Tresoreingang erreichen. Es ist ein pittoresker Anblick, der den massiven Betonbau des Samentresors fast klein wirken lässt. Sichtbar ist tatsächlich nur der Eingang, dahinter schraubt sich ein etwa 100 Meter langer Tunnel in den Berg. Dessen Umbau wurde gerade fertiggestellt und soll künftig Wasserschäden verhindern, denn laut Asdal wird auch hier im hohen Norden wärmeres und feuchteres Klima erwartet. Er beschreibt das Innere des Tresors, da der Zutritt Besuchern mittlerweile untersagt ist.

Drei Kammern, eine fast voll, bieten Platz für die kostenlose Lagerung von insgesamt 2,5 Milliarden Samen. Wie bei einem Bankkonto bleiben Genbanken Eigentümer der Samen, nur sie können diese anfordern. Empfohlen werden je nach Pflanzenart zwischen 300 und 500 Samen pro Probe, die getrocknet in luftdichten Aluminiumbeuteln in Kisten bei minus 18 Grad gelagert werden. Der Permafrost bietet minus vier Grad, den Rest erledigen Kühlsysteme. Viele Pflanzensamen können hier unterschiedlich lang lagern, Kaffeesamen zum Beispiel kann man jedoch nicht einfrieren.

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Je 300 bis 500 Samen sind luftdicht in Aluminiumbeuteln verpackt.
Foto: Reuters/Stringer

Hafer in der Arktis

Nicht jeder kann Samen in die Arktis schicken. Nur langfristig agierende Genbanken, die ihre Nutzpflanzensamen an mindestens einem weiteren Ort sichern und für Zucht, Forschung und Bildung zur Verfügung stellen. Der Tresor ist ein Back-up, keine aktive Genbank, sondern ein langfristiges Sicherheitslager, da Genbanken grundsätzlich risikobehaftet sind. Die meisten Banken besitzen Samen aus mehreren Ländern, weshalb Samen aus fast jedem Land auf Spitzbergen gelagert sind. Als eine von aktuell 78 Banken lagert hier auch die Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit GmbH (Ages) Samen. Laut eigenen Angaben vor allem Weizen, Gerste und Hafer, aber auch Heil- und Gewürzkräuter.

Syrische Katastrophe

Eine Katastrophe erlebte die internationale Genbank International Center for Agricultural Research in the Dry Areas (Icarda) während des Syrischen Bürgerkrieges. Headquarter und Genbank lagen in Aleppo und wurden durch die Kriegswirren teilweise zerstört und unzugänglich. Rund 116.000 gesicherte Samenproben, die auch auf Spitzbergen gelagert waren, wurden dem arktischen Tresor entnommen, reproduziert und für den Aufbau neuer Einrichtungen in Marokko und im Libanon genutzt. Einige der Samen wurden bereits zurück nach Spitzbergen gebracht, auch mit der letzten Lieferung. "Beim Projekt Saatgut-Tresor kooperieren alle Länder, um die zukünftige Nahrungsproduktion für die globale Bevölkerung sicherzustellen", sagt Asdal, der auch bei der nächsten Tresoröffnung im Februar dieses Jahres wieder hier sein wird. (Christina Rebhahn-Roither, 31.1.2020)