Der Völkerrechtler Wolfgang Benedek sieht im türkis-grünen Regierungsprogramm eine Vielzahl von Maßnahmen, die sich positiv auswirken können.

Derzeit gibt es wachsende Kritik an der mangelnden Berücksichtigung der Menschenrechte bei sensiblen Themen im Regierungsprogramm: Die Diskussion konzentriert sich auf die Sicherungshaft und den Asylbereich, wo etwa SOS Mitmensch angesichts fortgesetzter Abschiebungen in Krisengebiete und eines fehlenden Bleiberechts für ausgebildete Personen zusammen mit der "Verstaatlichung" der bisher von NGOs betriebenen Bereiche des Asylwesens durch die geplante Bundesagentur zu Recht eine Fülle von Kritikpunkten anbringt. Es werden allerdings auch einige positive Ansätze anerkannt, wie die Evaluierung der Deutschklassen, die Ausweitung der Bildungspflicht bis 18 auch auf Asylwerberinnen und Asylwerber oder die Verbesserung des Status von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen.

Festzuhalten ist, dass es sich hier um eine Kritik am Asylbereich handelt, der tatsächlich eine türkise Handschrift zeigt und weitgehend in der Zuständigkeit der ÖVP verblieben ist. Hier herrscht menschenrechtlich gesehen weitgehender Stillstand. Auch erste Entscheidungen wie die fortgesetzte Ablehnung des Migrationspaktes trotz Bekenntnisses zum Multilateralismus und die Absage einer Beteiligung am Umsiedlungsprogramm des UNHCR sind Zeichen einer Fortsetzung der alten Politik.

Positive Maßnahmen

Eine Analyse des Regierungsprogramms in seiner Gesamtheit zeigt jedoch ein anderes Bild. Während im türkis-blauen Regierungsprogramm die Menschenrechte gerade fünf Mal genannt wurden, sind es jetzt 21 Verweise und dazu ein eigenes Kapitel, das sich der Stärkung der Grund- und Menschenrechte widmet.

Die schon während der rot-schwarzen Koalition unterbrochene Arbeit an einem Aktionsplan Menschenrechte, zu dem sich Österreich auch in den Vereinten Nationen verpflichtet hat, soll wiederaufgenommen und als dessen wesentlicher Teil ein Aktionsplan Menschenrechtsbildung erarbeitet werden. Weitere Aktionspläne sind gegen Rassismus und Diskriminierung sowie Rechtsextremismus und religiös motivierten politischen Extremismus vorgesehen.

Auch der Antisemitismus erhält zusätzliche Aufmerksamkeit und wird Teilaufgabe der Forschungsstelle zum Rechtsextremismus. Ganzheitliche Strategien sollen gegen Antisemitismus, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Radikalisierung und gewaltbereiten Extremismus erarbeitet werden. Frauenrechte werden unter anderem durch einen Aktionsplan Gewaltschutz gestärkt, Behindertenrechte wesentlich ausgebaut.

Auf Bildungsmaßnahmen wird in allen Bereichen verstärktes Augenmerk gelegt, etwa vom Asylbereich über die entwicklungspolitische Bildung zu einer bedarfsgerechten Ressourcenausstattung der Schulen, wie sie für erfolgreiche Integration notwendig ist. Auch die Bedeutung der Erinnerungskultur und des Gedenkdienstes wird anerkannt. Der oft als unzulänglich kritisierte Schutz der Kinderrechte soll anlässlich 30 Jahre Kinderrechtekonvention evaluiert werden.

Internationale Standards

Hinsichtlich der wirtschaftlichen und sozialen Rechte findet sich von der Bekämpfung der Armut über die Bildung bis zur Arbeit und Gesundheit eine Vielzahl von Maßnahmen, die sich positiv auswirken können. Der Volksgruppenförderung ist ein eigener Abschnitt gewidmet. Die steckengebliebenen Verhandlungen um einen österreichischen Grundrechtskatalog samt Erweiterung des Grundrechtsschutzes sollen wiederaufgenommen werden. Die langjährige Forderung der Menschenrechtsorganisationen nach einer unabhängigen Beschwerdestelle für Misshandlungsvorwürfe gegen die Polizei wird erfüllt. Auch die Einrichtung eines zivilen Friedensdienstes soll geprüft werden.

Für das in dieser Hinsicht besonders rückständige Österreich ist die Abschaffung des Amtsgeheimnisses und die Schaffung eines einklagbaren Rechts auf Informationsfreiheit ein ganz großer Schritt in Richtung internationaler Standards in diesem Bereich. Die Stärkung der Rechtsstaatlichkeit zeigt sich auch darin, dass die Verweise auf den Rechtsstaat von vier im letzten Programm auf nunmehr 27 gestiegen sind.

Die Zivilgesellschaft – etwa die "Omas gegen rechts" – wurde unter Türkis-Blau stigmatisiert. Nun wird ihre positive Rolle betont.
Foto: Christian Fischer

Hinsichtlich der Stellung der Zivilgesellschaft sind Tendenzen einer negativen Stigmatisierung bis hin zur Kriminalisierung einer Betonung der positiven Rolle der Zivilgesellschaft und des Einbezugs in alle wesentlichen gesellschaftlichen Prozesse gewichen.

Sachverstand gefragt

So soll die Zivilgesellschaft ebenso wie unabhängige Expertinnen und Experten etwa bei der Evaluierung bestehender Überwachungssysteme ("gläserner Staat statt gläserner Bürger") einbezogen werden. Während in der türkis-blauen Vorgängerregierung der Rolle von Expertinnen, Experten und der Wissenschaft vor allem im Zuge der Elitenkritik thematisiert wurde, setzt das neue Regierungsprogramm in vielen Bereichen auf "evidenzbasierte" Politik und damit wieder auf Sachverstand.

Insgesamt zeigt somit das neue Regierungsprogramm wesentliche Fortschritte und hätte das Potenzial für einen Paradigmenwechsel im Bereich der Menschenrechte. Die Praxis seiner Umsetzung wird darüber entscheiden, ob dieses Potenzial auch verwirklicht wird. (Wolfgang Benedek, 31.1.2020)