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Galway, Eyre Square, Statue des Schriftstellers Padraic Ó Conaire: Die Europäische Kulturhauptstadt begrüßt den Frühling in Gälisch. Eine andere große Tochter der Stadt: Nora Joyce, geb. Barnacle.

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Teilnehmer bei einem Mittelalterfestival in Galway.

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Galway hat auch Meer zu bieten.

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Nachtspaziergang in Galway. In der Fußgängerzone drängen sich selbst im Jänner um Mitternacht leichtbekleidete junge Leute vor Musikkneipen und Schnellimbissen. Der haarfeine irische Regen scheint ihnen nichts anhaben zu können. In der Universitätsstadt an Irlands Westküste, ganz am Rand des Kontinents, gehen die Lichter selten aus.

Galways Status als Europäische Kulturhauptstadt 2020 wird eindrucksvoll eingeläutet. Tagelang zieht ein Trupp von Gauklern, Tänzern und Theatermachern durch die Ortschaften der Grafschaft, ehe ein Freudenfeuer in der Stadt einen Kunstmarathon mit 1900 Veranstaltungen einleitet. Dass man eigenwilligerweise das Jahr am 1. Februar beginnt, hat mit dem gälischen Kalender zu tun: Imbolc markiert den ersten Frühlingstag. Außerdem könne man dann schon "auf besseres Wetter hoffen", wie Irlands schlitzohriger Präsident Michael Higgins im Vorwort des Programms hinzufügt. Die altirische Sprache und Kultur spielte in der Planung eine große Rolle, immerhin leben viele der rund 140.000 Gälisch-Sprecher in Connemara westlich der Stadt und auf den Aran-Inseln.

"Kulturelles Herz"

Ausgerechnet Galway, maulte der Rest von Irland, als im Juli 2016 die zuständige Kommission den begehrten Titel vergab. Steigt im "kulturellen Herzen des Landes" (Eigenwerbung) nicht ohnehin jedes Jahr das zweiwöchige Theater- und Kulturfestival, die Film-Fleadh-Woche , das Festival früher Musik, das Jazz-Festival?

Geschickt haben die Organisatoren die Einwände aufgenommen und kurzerhand ihre Basis verbreitert. Ausdrücklich gelten die Feiern mit einem Gesamtbudget von 39 Millionen Euro nicht nur der munteren Universitätsstadt, sondern auch der umliegenden Grafschaft. Wie sehr sich die wild-romantische Westküste Irlands von der Metropole Dublin im Osten unterscheidet, lässt sich auf der knapp 200 Kilometer langen Bahnfahrt nachvollziehen.

Oder man landet auf dem Flughafen Shannon. Anschließend gilt es noch, eine waghalsige, fast zweistündige Busfahrt über holprige Landstraßen zu bestehen; der Expressbus schafft es über die Autobahn deutlich schneller, verkehrt dafür aber selten.

Wer es geschafft hat, landet in einer pulsierenden Stadt von 88.000 Einwohnern, zu denen sich zu Semesterzeiten 25.000 Studierende gesellen. Galway verdankt seine Prominenz der strategisch günstigen Lage zwischen dem 40 Kilometer langen Süßwassersee Lough Corrib und dem Nordatlantik. 1232 von einem Anglo-Normannen erobert, wurde die Stadt jahrhundertelang von einer Oligarchie als unabhängiger Stadtstaat regiert. Handel trieb man vor allem mit Spanien und Frankreich übers Meer.

Auf Bölls Spuren

Weltoffen und liberal sind die Galwegians geblieben. Ein Viertel der Bevölkerung hat seinen Geburtsort außerhalb Irlands, seit 15 Jahren gehört der Germanistikprofessor Hans-Walter Schmidt-Hannisa dazu. "Galway ist die schönste Stadt in Irland", urteilt der weitgereiste Akademiker und schwärmt von der Altstadt, dem Corrib-Fluss und seinen Kanälen.

Ein Ziel für Massentourismus ist Irlands Westküste nie gewesen. Zwei Generationen deutschsprachiger Leser wandelten auf den Spuren Heinrich Bölls, das Irische Tagebuch im Gepäck. Inzwischen gehören die Zustände zur Mitte des vergangenen Jahrhunderts, die Böll 1957 beschrieb, der tiefen Vergangenheit an.

Die Wende hat viel mit dem Beitritt zur damaligen EWG 1973 zu tun, als das 1921 unabhängig gewordene Land endgültig aus dem Schatten Großbritanniens trat. Aus dem tiefarmen Land ist ein wohlhabender EU-Nettozahler und Anziehungspunkt für Immigranten geworden.

Hauptsache, die Besucherscharen kommen nicht mit dem Auto! Schon jetzt stöhnen die Galwegians über den täglichen Verkehrsinfarkt. Zeiten und Distanzen, die Berufspendler im Auto verbringen, nehmen stetig zu, was an der boomenden Wirtschaft und einer vollkommen unzulänglichen Regionalplanung liegt. An der Peripherie Galways bepflastern skrupellose Baulöwen die Landschaft mit seelenlosen Siedlungen. So prangen auf der Hauptausfallstraße Galways zwar zwei schöne Busspuren, benutzt werden sie aber viel zu wenig. Und daneben stehen die Pendler einspurig im Stau. (Sebastian Borger aus Galway, 31.1.2020)