In den 1970er-Jahren – der US-Informatiker Ray Tomlinson hatte gerade einmal die erste E-Mail verschickt – hegte man in den Vorstandsetagen die Utopie vom papierlosen Büro. Der Siegeszug elektronischer Medien sollte das lästige und zunehmend teure Papier überflüssig machen. Man brauchte keine Ordner, Drucker und Fax-Geräte mehr, alles würde auf dem Computer gespeichert und auf dem Bildschirm angezeigt werden. Die Zeitschrift Bloomberg Businessweek prophezeite in einer Ausgabe aus dem Jahr 1975 das Ende des Papiers.

Aus dieser Utopie ist bekanntlich nichts geworden. Trotz elektronischer Speicher- und Kommunikationsmedien ist das Papier aus Büros noch nicht verschwunden, im Gegenteil: E-Mails werden ausgedruckt, Briefe und Pakete mit der Post verschickt und Akten angelegt. Nach Schätzungen von Analysten werden weltweit jedes Jahr zwischen 15 und 50 Billionen Seiten ausgedruckt.

Die Vision vom papierlosen Büro hat sich kaum umsetzen lassen. Im Gegenteil: E-Mails kurbeln die Nutzung von Papier noch weiter an.
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Laut einer Untersuchung des Environmental Paper Network hat sich die Papiernutzung in den letzten 50 Jahren vervierfacht. 2014 wurden erstmals mehr als 400 Millionen Tonnen Papier produziert. Mehr als die Hälfte davon geht für Verpackungen und Kartonagen drauf, ein Viertel für Ausdrucke.

In den USA werden für Kassenzettel nach Angaben der Umweltorganisation Green America zwölf Millionen Bäume und fast 50 Millionen Liter Wasser verbraucht. Die Papierproduktion ist enorm umweltschädlich – sie emittiert jedes Jahr knapp zwei Millionen Tonnen CO2. Vor diesem Hintergrund wirkt es wie ein ökologischer Frevel, wenn man eine Bon-Pflicht für Einzelhändler einführt, zumal das Thermopapier mit der gesundheitsgefährdenden Chemikalie Bisphenol A beschichtet ist.

50-mal um den Äquator

Forscher des Kölner EHI Retail Institute haben ausgerechnet, dass dadurch zwei Millionen Kilometer mehr Papier entstehen könnten. Die Kassenbons ließen sich 50-mal um den Äquator wickeln. Pro Stunde müsste dafür eine Fichte gefällt werden. In Zeiten, in denen man sein Bahn- oder Flugticket auf dem Smartphone hat und kontaktlos bezahlt, wirkt das wie ein Anachronismus.

Allein zu glauben, dass elektronische Medien umweltfreundlicher sind, ist eine Illusion. Laut einer Untersuchung der französischen Umweltagentur ADEME (Agence de l’environnement et de la maîtrise de l’énergie) produziert ein mittelständischer Betrieb mit 100 Angestellten allein durch E-Mails pro Jahr 13,6 Tonnen CO2 – das entspricht rund 13 Flügen von Paris nach New York und zurück. Der Vergleich mit Flügen ist in der Diskussion um den Klimaschutz mittlerweile gängig.

Mit elektronischen Postfächern war anfangs die Hoffnung verknüpft, sie würden den Versand von Briefen per Luftpost überflüssig machen und damit klimafreundlich sein. Doch die Zahlen belegen das Gegenteil. Einer Studie des Energieversorgers OVO Energy zufolge verschicken Briten jeden Tag 64 Millionen unnötige E-Mails mit spärlichen Texten wie zum Beispiel "Danke". Hier ließen sich 16.000 Tonnen CO2 jährlich einsparen.

Ironischerweise befeuert ausgerechnet das Internet die Papierproduktion. Die Unternehmensberatung McKinsey sagt der Papier- und Verpackungsindustrie eine rosige Zukunft voraus. Zwar stehe der Markt vor einer Transformation. Doch gebe es neue Wachstumstreiber wie etwa den Onlinehandel und den damit verbundenen Paketversand.

Verbot von Plastik

Allein der Branchenriese Amazon hat im vergangenen Jahr weltweit 3,5 Milliarden Pakete verschickt, 2022 sollen es 6,5 Milliarden Pakete sein. Durch das Verbot von Plastiksackerln und die Umstellung auf Kartons könnte der Papierbedarf weiter steigen.

Auch die Demokratie lässt die Nachfrage nach Holz und Zellstoff wachsen. Bei der Parlamentswahl in Südafrika im Mai 2019, wo 48 Parteien antraten, wurden für die Ausgabe der 50 Millionen Wahlzettel 40 Tonnen Papier verbraucht. Zum Vergleich: In Indien, wo es 800 Millionen registrierte Wähler gibt, wären für die Parlamentswahlen rund 8000 Tonnen Papier notwendig, was 120.000 Bäumen entspricht.

Aus Umweltgründen setzt die Regierung daher schon länger Wahlcomputer ein. Diese werden auch bei der US-Präsidentschaftswahl im kommenden November zum Einsatz kommen. Wahlcomputer gelten jedoch als unsicher und manipulationsanfällig – vor allem dann, wenn sie keinen Papierbeleg ausdrucken. Die Geräte wurden in der Vergangenheit wiederholt gehackt. Sicherheitsforscher fordern daher, auf Papier zurückzukehren. Die Denkfabrik Brookings nannte das Papier gar die "State-of-the-Art-Wahltechnologie". Auch die US-Navy lässt ihre Marineoffiziere nach mehreren Navigationspannen wieder analog mit Kompass, Papier und Bleistift navigieren. Papier ist bekanntlich geduldig. Es scheint, als würde uns das Medium noch eine Weile begleiten. (Adrian Lobe, 1.2.2020)