Auch zwischen Tür und Angel erwischt, aktuell also zwischen den Weltcupskispringen in Rasnov und in Oberstdorf, ist Eva Pinkelnig flott auf Betriebstemperatur. Die 31-jährige Vorarlbergerin, die am 12. Jänner auf der Großschanze in Sapporo ihr erstes Weltcupspringen gewonnen hatte und dem Triumph eine Woche später in Zao, ebenfalls Japan, zwei weitere Siege folgen ließ, ist um keine Antwort verlegen, drückt nie herum, ist einschlägigen Skisprungphrasen wie "Man muss es geschehen lassen" oder "Ich muss bei mir bleiben" eher abhold.

Eva Pinkelnig ist sich sicher, wem sie ihr Comeback und den aktuellen Höhenflug zu verdanken hat: "Gott hat es in der Hand. Daran habe ich geglaubt, darauf habe ich vertraut."
Foto: Gepa/Patrick Steiner

Eva Pinkelnig, die am Wochenende in der Oberstdorfer Audi-Arena in zwei Springen von der Schattenbergschanze die im Weltcup nur sechs Punkte vor ihr in Führung liegende Norwegerin Maren Lundby fordert, spricht lieber vom "Team Eva" und vom "Eva-Zugang". Zu dem gehört, dass sie allenfalls um Punkte für den Nationencup und also für Österreich, aber nicht um den Gesamtweltcup springt. Denn das wäre, sagt sie, mit ihrer Vergangenheit vermessen.

FIS Ski Jumping

In der Vergangenheit erhielt die "Hobbyskispringerin" Pinkelnig vom damaligen österreichischen Chefcoach Andreas Felder die Gelegenheit, im rund um die Skisprungdoyenne Daniela Iraschko-Stolz gebildeten Kader mitzuspringen. Sie nützte die Chance, schien sich zu etablieren. Im Dezember 2015 gelang ihr als Dritter in Nizhny Tagil, Russland, ein erster Sprung auf das Podest.

Bewusstlosigkeit

Bei einem der ersten Schneesprünge der folgenden Saison kam Pinkelnig in Ramsau schwer zu Sturz. Trotz einer Gehirnerschütterung absolvierte sie in der Folge Weltcupspringen, die sie heute nur noch angesichts der Ergebnislisten nachvollziehen kann. Kurz vor Weihnachten 2016 folgte der zweite schwere Sturz im Training in Oberstdorf. Sie lag nach längerer Bewusstlosigkeit auf der Intensivstation – mit einer schweren Gehirnerschütterung und einem schweren Schleudertrauma. Ein Comeback drei Wochen später misslang. Wegen neurologischer Ausfälle war Pinkelnigs Karriere im Grunde schon beendet.

FIS Ski Jumping

Eva Pinkelnig wollte vom Skispringen allerdings nicht lassen. "Gott hat es in der Hand. Daran habe ich geglaubt, darauf habe ich vertraut", sagt sie heute. Die 1,59 Meter hohe Athletin kämpfte sich gegen Widerstände zurück. Die Trainer hätten es bis dahin schließlich "noch nicht erlebt, dass es jemand zurückgeschafft hat, der in einer ähnlichen Situation war".

Nach Felders Wechsel zu den Herren gab Harald Rodlauer, dessen Vorgänger und Nachfolger als Chefcoach der Damen, nichts auf die Ratschläge, Pinkelnig auszusortieren. Mario Stecher, der neue Sportchef für Kombination und Sprunglauf, gab seinen Sanktus, Coach Stefan Kaiser baute ihren Sprung wieder so weit auf, dass Pinkelnig Teil des Mixed- und des Damenteams sein konnte, das im Februar 2019 bei der nordischen Heim-WM zu Seefeld jeweils die Silbermedaille holte.

Den Durchbruch zur Siegspringerin – innerhalb eines österreichischen Aufgebots, das im laufenden Weltcup durch drei verschiedene Springerinnen sechs der bisher neun Einzelbewerbe gewonnen hat – gelang auch mithilfe neuer Mitglieder im "Team Eva". Pinkelnig lässt keine Gelegenheit aus, auf den Hersteller ihrer 2,15 Meter langen Ski zu verweisen. Sie ist die einzige Weltcupspringerin, die auf Latten von Augment setzen kann. Das in Stuhlfelden im Pinzgau ansässige Unternehmen, das gegenwärtig wenige tausend Paar Alpinski unter hohem Anteil von Handarbeit produziert, bot Pinkelnig die Entwicklung von Sprungski an. Obwohl ihr Sprungsystem auch mit den vorherigen Latten funktioniert habe, "konnte ich das risikieren. Ich habe gewusst, es steckt mehr in Eva drinnen."

Ergebnisunabhängig

Gleich mit dem ersten gelieferten Paar sprang sie zu Saisonbeginn in Lillehammer auf Platz zwei. Nicht mehr als sieben Paar hat das nordische Aushängeschild zur Verfügung. "Wenn eines kaputtgeht, wird es für ein neues wiederverwendet." Nur noch im Nachwuchsbereich werden Ski von Augment gesprungen. Das wird sich wohl ändern, wenn das Team Eva weiter so funktioniert. Dazu gehören Freunde und die Familie, "die mir mit Liebe zur Seite stehen – ergebnisunabhängig". Zusätzliche psychologische Betreuung braucht Pinkelnig nicht, "das mache ich selber". Das Handwerkszeug liefere die Bibel.

Pinkelnig ist "dankbar, dass Gott die Hand über mich gehalten hat". Wunschlos ist sie nicht. Bei der nordischen WM 2021 in Oberstdorf springen die Damen im Einzel nur von der Normalschanze. Die große Schattenbergschanze, die Pinkelnig fast zum Verhängnis geworden wäre, bleibt nach derzeitigem Stand den Männern vorbehalten. Weshalb die Springen am Wochenende auch keine Generalproben sind, wie Pinkelnig sagt. Da wo sie einst blutend im Auslauf lag, will sie aber mit dem "Team Eva" feiern – auch das wohl ergebnisunabhängig. (Sigi Lützow, 31.1.2020)