Journalismus ist Quatschen auf dem Flur." Dieses Bonmot des Hamburger Verlegers Henri Nannen scheint beim Neubau der Axel-Springer-Verlags in Berlin-Kreuzberg in Architektur übersetzt worden zu sein. Eine Kommunikationslandschaft im Zentrum des Medienhauses solle das "Arbeiten vor dem Computer als gemeinschaftliche Unternehmung erfahrbar machen", so der Architekt Rem Koolhaas.

Der niederländische Pritzkerpreisträger und Gründer des Büros Office for Metropolitan Architecture (OMA) gilt seit den 1980er-Jahren als Vordenker einer "Zweiten Moderne". Die Funktion von Bauwerken als "sozialen Katalysatoren" hatte er früh erkannt und benannt. Koolhaas gilt derzeit als Europas einflussreichster und international bekanntester Architekt. Die Springer-Gruppe hingegen ist besonders für Boulevardmedien wie die Bild-Zeitung bekannt, hat in über vierzig Ländern aber ein unentwirrbares Geflecht von Medien gesponnen, das von Online-Marktplätzen bis zu angesehenen Zeitschriften und Tageszeitungen reicht.

Die Zusammenarbeit war nicht ohne Stolpereien: Koolhaas musste seinen ursprünglichen Entwurf ändern. Im Vergleich zum Wettbewerbsentwurf von 2014 ist der ausgeführte Plan weniger provokativ: Aus Rücksicht auf Nachbarn wurden die oberen Etagen zurückgesetzt und abgeschrägt. Doch die offene Arbeitsatmosphäre im Berliner Neubau des Medienkonglomerats ist zum Glück unverändert geblieben. Sie ähnelt jener einer Medienwerkstatt.

Die gefaltete Fassade des riesigen 45 Meter hohen Atriums thematisiert "das Zusammenwachsen der beiden ehemaligen Stadthälften" Berlins.
Foto: Dominik Tryba

Identität für digitale Medien

Überall gibt es Podeste und Sitzstufen, die nicht nur als Treffpunkte für den informellen Austausch, für spontane Kommunikation gedacht sind, sondern auch als Arbeitsplätze. Der Neubau versteht sich als "gebautes Internet", der das Berliner Zeitungsviertel in der Friedrichstadt in die Zukunft katapultieren soll. Der Modernisierungsstress, der aufgrund der Digitalisierung auf Printmedien lastet, wird hier visualisiert und spürbar gemacht: In Zeiten sinkender Druckauflagen soll der kuriose Entwurf mit seinen statischen, konstruktiven Verrenkungen dabei helfen, eine neue architektonische Identität für digitale Medien zu formulieren.

Der konservativere Axel-Springer-Verlag setzt dabei auf OMAs Architektur, die das Feuilleton der hauseigenen Tageszeitung Die Welt jahrelang mit fast allen Mitteln bekämpft hat. Mit hierarchiearmen Großraumbüros für die Redaktionen möchte die Springer AG, die heute fast ausschließlich auf elektronische Medien fokussiert ist, ein bauliches Fanal im Quartier setzen. Der Neubau, eines der wohlgemerkt größten Verlagshäuser Europas, bietet 3500 Arbeitsplätze, Fernsehstudios und einen Newsroom für Die Welt. Die "Medienzentrale für das Internetzeitalter", wie das Haus sich selbst bezeichnet, soll zeigen, wie die Nachrichtenbranche im digitalen Zeitalter tickt.

Zentrum des Bauwerks ist eine große, das ganze Gebäude durchdringende "Arbeitssphäre", die von dem ehemaligen Mauerverlauf, der durch das Gebäude führt, zu einem riesigen 45 Meter hohen Atrium mit gefalteter Fassade führt, das "das Zusammenwachsen der beiden ehemaligen Stadthälften thematisiert", so der Rotterdamer Avantgarde-Architekt. Die "Vereinzelung in der digitalen Arbeitswelt" soll in dem Raum "zugunsten einer transparenten, vernetzten Arbeitsatmosphäre" überwunden werden. Die Nord- und Südhälften des Gebäudes werden über Brücken verbunden, die aus dem Atrium einen abenteuerlichen, piranesihaften Raum machen.

Koolhaas, dessen Diplomarbeit einst die Berliner Mauer als Architektur betrachtete, hatte seine Karriere selbst als Journalist begonnen. So schließen sich für Koolhaas und seinen Bauherrn die Kreise.

Überall gibt es Podeste und Sitzstufen, die nicht nur als Treffpunkte für den informellen Austausch, für spontane Kommunikation gedacht sind, sondern auch als Arbeitsplätze.
Foto: Nils Koenning

Sozialisten ärgern

Die Fassaden sind teils poppig goldeloxiert analog zur benachbarten Hochhausfassade des alten, bestehenden Springer-Sitzes, teils grau getönt mit einem Aufdruck, der an Ludwig Mies van der Rohes Hochhaus an der Friedrichstraße erinnern soll. Elegant ist jedoch allein die facettierte Atriumfassade, die ein optisches Kaleidoskop kreiert und auf das Stammhaus blickt: Nur sechs Jahre nach dem Bau der Berliner Mauer verlegte Axel Springer 1967 den Hauptsitz seines Unternehmens von Hamburg nach Berlin. Sein goldenes Hochhaus direkt an der Mauer sollte die Sozialisten auf der anderen Seite der Mauer ärgern (das gelang auch) und den goldenen Westen und seine freie Presse symbolisieren. Heute liegt das Berliner Zeitungsviertel wieder im Zentrum der Stadt.

Der Berliner Neubau wurde samt Grundstück bereits vor Bezug an den norwegischen Staatsfonds verkauft – auch das ein Zeichen für den Strukturwandel im Verlagswesen. Während manche Redaktionsstuben in anonyme Gewerbegebiete am Stadtrand verfrachtet werden, wo sie ihr tristes Dasein als "Content-Provider" fristen, wie beim Neubau der Süddeutschen Zeitung am Rand von München, wollen andere Zeitungshäuser sichtbar als metropolitane Nervenzentrale in der Innenstadt architektonisch zelebriert werden wie bei Renzo Pianos Hauptsitz der New York Times.

Verlage im Wandel

Berlin hat Glück: Auch der ideologische Gegner des Springer-Verlags, die linke Tageszeitung Taz, hat einen ambitionierten Neubau an der Friedrichstraße von E2A Architekten aus Zürich bauen lassen, während die neue Zentrale des Suhrkamp-Verlags von Roger Bundschuh einen intellektuellen wie architektonischen Glanzpunkt im hippen Bezirk Mitte setzt. Selbst die ehrwürdige Frankfurter Allgemeine Zeitung steht kurz vor einem Umzug in ein modernes Hochhaus von Eike Becker Architekten im neuen Frankfurter Europaviertel.

Auch österreichische Architekten sind bei den Neubauten von Medienhäusern aktiv: Erst vor wenigen Monaten stellte das Wiener Büro AllesWirdGut in Essen die Verlagszentrale der Funke Mediengruppe für rund tausend Mitarbeiter fertig – samt Café, Fitnessstudio und Kindertagesstätte. Und in Graz zeigte zuletzt das im Grundriss bananenförmige Hochhaus der Styria Media Group, entworfen vom Büro Architektur Consult, städtebauliches Selbstbewusstsein: Das Hochhaus mit 1200 Arbeitsplätzen ist als neues Tor zur Stadt gestaltet. Von der Skylobby, einem Konferenz- und Veranstaltungsraum, blickt man über die ganze Stadt.

In Berlin hat es sich Rem Koolhaas zur obersten Prämisse gemacht, die architektonische Funktion des Neubaus zu unterstreichen und auf diese Weise auf sich aufmerksam zu machen – und en passant die "Innovation und Kreativität" der Mitarbeiter zu fördern. Das können Verlage angesichts des Strukturwandels ihrer Branche gut gebrauchen und in ambitionierten – oder vielleicht überambitionierten – Neubauten als Statement eines Medienriesen postulieren. (Ulf Meyer, 2.02.2020)