Seit der Mensch denken kann, bastelt er sich Krücken, mit denen er leichter durchs Leben zu kommen meint, seien es große wie "die Religion" oder kleinere, die er als "Alltagspoesie" auf Instagram postet oder sich als Spruchkalender an die Küchenwand hängt. Den ganzen Tag über begegnen wir den Prüfungen des Alltags mit schönen Sätzen wie diesem: "Wird scho wern, sogt die Frau Hern, wäu es is imma no wurn, sogt die Frau Hurn."

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"Was nützt es dir, wenn du breite Schultern hast, aber nicht das Herz eines Löwen?" Glücklicherweise gibt es für jede Lebenslage einen weisen, kleinen Satz, der über alle Probleme hinweghilft.
Foto: AP/Jens Meyer

Ein Freund schmückt seinen Whatsapp-Account mit den Worten: "Was nützt es dir, wenn du breite Schultern hast, aber nicht das Herz eines Löwen?" Das Löwenherz gilt gemeinhin als Synonym für Mut, wobei der Löwe natürlich leicht reden hat, schmücken ihn doch neben seinem Löwenherz auch noch ordentliche Reißzähne. Trotzdem: "Am Mute hängt der Erfolg", wusste nicht nur Theodor Fontane, von dem dieser Spruch stammt, sondern das weiß gewiss auch der Löwe, wenn er zum Beispiel einem Wasserbüffel nachstellt. Oder wie schon Demokrit sagte: "Mut steht am Anfang des Handelns, Glück am Ende." Kriegt ein Löwe allerdings Fracksausen während der Jagd, dann überträgt sich das auf das ganze Rudel, denn: "Mut und Angst haben etwas Gemeinsames: Sie sind ansteckend", sagt das Sprichwort.

Selbst Weltdichter Goethe konnte der Versuchung nicht widerstehen, Kalendersprüche zu produzieren, und machte sich Gedanken zu dem Thema: "Es gehört viel Mut dazu, in der Welt nicht missmutig zu werden." Bzw.: "Im Mut liegen Schöpferkraft, Stärke und Zauber." Es gab gewiss Tage, an denen ihm Besseres eingefallen ist, an den alten Perikles kam er jedenfalls nicht heran, der schon etwas tiefer schürfte und – siehe da! – plötzlich sogar ein Geheimnis lüftete: "Das Geheimnis des Glücks ist die Freiheit. Das Geheimnis der Freiheit ist der Mut."

Stetes Zutexten

Die alten Griechen ahnten vielleicht schon, dass ihre Sprüche irgendwann auf Kalendern, Postkarten und Bleistiften stehen würden, und hängten sich allein deswegen besonders hinein, was die Hervorbringung von Kalendersprüchen anging. Sie waren aber nicht so vermessen wie die Erben des Komödianten Loriot, die sich dessen resignativen Satz "Früher war mehr Lametta" als Marke schützen lassen wollten. Das war zwar mutig von ihnen, blieb aber trotzdem ohne Erfolg, woraus wir wiederum lernen, dass Fontane (siehe oben) nicht immer recht hat.

Hätten die alten Recken aus Griechenland oder Deutschland schon Twitter und Instagram gehabt, dann hätten sie uns gewiss mit ihren "pensées" und "thoughts" zugetextet, häufiger, als das Armin Wolf heute in zehn Minuten schafft. Aber auch die, die uns den Wahnsinn mit den sozialen Medien erst eingebrockt haben, machen sich ihre Gedanken über Mut, Hoffnung und Angst, drei besonders beliebte Wörter, wenn es um Alltagspoesie geht. So wird Facebook-Gründer Mark Zuckerberg eines Tages in seinem Geldspeicher gesessen sein und die Milliarden gezählt haben, als ihn Folgendes überkam: "Es erfordert Mut, sich für die Hoffnung und gegen die Angst zu entscheiden." Sein dickes Sparkonto wird ihm aber auch ein bisschen beim Mutigsein helfen, jedenfalls wird es ihn vor der Angst schützen, am Monatsende wieder kein Geld für die Nudeln im Geldtascherl zu haben. Und mit "Hoffnung" dürfte Zuckerberg vor allem meinen, dass "hoffentlich" keine Regierung je auf die Idee kommen wird, ihn Steuern zahlen zu lassen, dabei sagt doch eine allgemein bekannte Weisheit: "Zu teilen bedeutet, mehr zu haben."

Die Erben des Komödianten Loriot wollten sich dessen resignativen Satz ,Früher war mehr Lametta‘ als Marke schützen lassen. Das war zwar mutig, blieb aber ohne Erfolg.

Andere Sorgen als Zuckerberg hatte der tschechische Widerstandskämpfer und spätere Präsident Václav Havel, der als Dichter seine Gedanken um die Begriffe "Sinn" und "Überzeugung" erweiterte, bevor er der Menschheit dies mit auf den Weg gab: "Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat, egal wie es ausgeht." Dafür muss man freilich "ganz und gar man selbst sein", und das, wusste ausgerechnet die wunderschöne Sophia Loren, die hinter ihren großen Brillen so ganz und gar mit sich im Reinen schien, "kann schon einigen Mut erfordern." Der hässliche Fernandel hingegen, der als mutiger Don Camillo dem Kommunisten Peppone zeigte, wo genau der Herrgott hängt, sang ein Loblied auf die Feigheit: "Wer zugibt, dass er feige ist, hat Mut."

Sieg über die Angst

Bevor das Gerede vom Mut jedoch allzu verwirrend wurde, legte ihn James Abram Garfield auf eine Goldwaage und verglich sein Gewicht mit jenem des Glücks: "Ein Pfund Mut ist mehr wert als eine Tonne Glück!" Während ein gewisser Adelbert von Chamisso allen unheilbar Kranken und bis über beide Ohren Verschuldeten zurief: "Niemals und auf keine Weise sollten wir uns entmutigen lassen!" Genau das sagen wir uns jetzt jeden Morgen beim Zähneputzen, obwohl unser Gesicht im Spiegel uns Grund genug dafür gäbe, mutlos zu sein. Mit dem Klassiker "Immer weiter, froh und heiter!" schleppen wir uns anschließend durch den Tag, und falls wir einen unangenehmen Termin beim Urologen oder Zahnarzt haben, nehmen wir ab jetzt einfach den guten alten Mark Twain mit, der genau wusste, dass "Mut Widerstand gegen die Angst" ist, "Sieg über die Angst, aber nicht Abwesenheit von Angst".

Und apropos Angst: Die ganzen Diktatoren und Potentaten der Welt fürchten nichts mehr, als dass ihr Volk Bettina von Arnim gelesen haben könnte, die da meinte: "Selbst denken ist der höchste Mut. Wer wagt, selbst zu denken, der wird auch selbst handeln." Das wird freilich nicht überall geschätzt und schon gar nicht belohnt, nicht in Hongkong und nicht in Ungarn, weil dort keiner einen Wandkalender mit diesem Nelson-Mandela-Spruch drauf hat: "Eine Nation sollte nicht danach beurteilt werden, wie sie ihre höchsten Bürger behandelt, sondern ihre niedrigsten."

Allerdings wird früher oder später auch die beste Message-Control den Despoten nicht vor seinem verdienten Sturz retten, wenn sein Handeln ungerecht war, denn "Mut ist die Tugend, die für Gerechtigkeit eintritt" (Cicero). Und wer weiß: Hätten die Österreich ihren Konfuzius gelesen gehabt, bevor sie Hitler auf dem Heldenplatz zujubelten, wäre die Sache anders ausgegangen: "Zu sehen, was recht ist, und es gegen seine Einsicht nicht zu tun, ist Mangel an Mut."

Auch die beste Message-Control wird den ungerechten Despoten nicht vor dem verdienten Sturz retten, denn ,Mut ist die Tugend, die für Gerechtigkeit eintritt‘ (Cicero).

Ob Marie Kondo, die Aufräumpäbstin, mal etwas von Luc de Clapiers gelesen hat? "Nur durch Mut kann man sein Leben in Ordnung bringen." Was genau er damit meinte, werden sich schon andere gefragt haben. Das Leben des mutigen Weltallspringers Felix Baumgartner müsste diesem Spruch zufolge ja sehr in Ordnung sein, es kommt aber auf Social Media nicht immer ganz rüber.

"Ein kühnes Beginnen ist halbes Gewinnen", mag er sich mit Heinrich Heine gesagt haben, als er da oben abgesprungen war, aber ob er in der Folge auch Immanuel Kants Ratschlag beherzigte? "Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen."

Tipps fürs Fallen

William Somerset Maugham wiederum lebte noch in Zeiten, als es kein Smartphone gab und man mit dem ungeliebt gewordenen Partner das direkte Gespräch suchen musste, um sich seiner zu entledigen. Darum meinte er: "Aufrichtigkeit ist höchstwahrscheinlich die verwegenste Form der Tapferkeit." Der wir heute aber lieber ausweichen, weil wir es ja mit Ghosting auch erledigen können, der feigsten Form des Schlussmachens.

"Das Dasein ist köstlich, man muss nur den Mut haben, sein eigenes Leben zu führen." Diesen Floh setzte Peter Rosegger all jenen ins Ohr, die heute davon überzeugt sind, dass ihr eigenes Leben mit drei SUVs vor der Haustüre und 30 Langstreckenflügen pro Jahr am köstlichsten ist. Diese Sicht auf uns selbst verfestigt sich, und anders über unser eingefahrenes Leben zu denken fällt uns schwer, worüber schon Friedrich Hebbel Bescheid wusste: "Es gehört oft mehr Mut dazu, seine Meinung zu ändern, als ihr treu zu bleiben."

Dabei ist es doch – das Leben im Allgemeinen betreffend – eigentlich so: "Die Bestimmung unseres Lebens ist es, das Leben für diese und die nächsten Generationen besser zu machen." Wenn nur irgendjemand Richard Buckminster Fuller, der das gesagt hat, kennen und beherzigen würde! Versuchen aber sollten wir es, denn: "Wer Großes versucht, ist bewundernswert, auch wenn er fällt" (Seneca). Nach dem Fallen hilft uns verlässlich Samuel Beckett auf Englisch weiter: "Ever tried. Ever failed. No matter. Try again. Fail again. Fail better." Das hätte auch H.-C. Strache nach Ibiza seinen Fans in die Timeline schreiben können, aber weil die ausländische Sprachen nicht so gerne mögen, machte er einen auf Prinzessin: "Hinfallen. Aufstehen. Krönchen richten …"

Strache wirkt überhaupt wie ein unbeirrbarer Optimist, der "ein Dutzend Austern bestellt in der Hoffnung, mit der Perle, die er darin findet, bezahlen zu können" (Fontane). Dadurch unterscheidet er sich vom Pessimisten, der "im Regen steht", während er sich "unter der Wolke duscht", und sicher weiß er, dass es "kein schlechtes Wetter gibt, sondern nur schlechte Kleidung". Aber in welcher Kleidung wir auch immer hinausgehen, um dort draußen wohin auch immer zu gehen, wir werden dabei an Konfuzius denken, der uns auf die Wanderung mitgab: "Welchen Weg du auch gehst, gehe ihn mit ganzem Herzen." (Manfred Rebhandl, ALBUM, 3.2.2020)