Es vergeht kein Tag ohne neue Coronaviren-Meldungen. Am Samstagnachmittag prägten sechs Verdachtsfälle und die Vorarbeiten für die Rückkehr von sieben Österreichern aus Wuhan die Diskussion rund um 2019-nCoV.

Die WHO spricht von einer gesundheitlichen Notlage internationaler Tragweite, es werden Forderungen nach Impfungen und Medikamenten laut. Christoph Steininger, Infektiologe an der Med-Uni Wien erklärt die Situation.

STANDARD: 2019-nCoV erzeugt Panik. Wie beurteilen Sie als Virologe die Situation?

Steininger: Viren werden allgemein als etwas Böses und Krankmachendes gesehen. Dem ist aber nicht so. Jeder ist von unzähligen Viren umgeben. Der Mensch lebt schon immer mit Viren zusammen. Manche sind sogar wichtig für unser Überleben. Dass Menschen Viren als etwas Böses wahrnehmen, ist also wirklich falsch.

Die WHO hat zwar den internationalen Notstand ausgerufen, das neuartige Virus ist allerdings deutlich weniger gefährlich als ähnliche Viren wie Sars oder Mers. Ein STANDRAD-Erklärvideo.
DER STANDARD

STANDARD: Sind alle Maßnahmen, die derzeit getroffen werden, übertrieben?

Steininger: Die chinesischen Behörden versuchen, die Ausbreitung lokal begrenzt zu halten, weil sie vieles über 2019-nCoV noch nicht wissen. Bei den meisten geht der respiratorische Infekt ja vorbei. Wer das Wuhan-Virus durchgemacht hat, ist immun. Hier bei uns sind auch vier harmlose Coronaviren-Stämme im Umlauf.

STANDARD: Wie funktioniert dieses Immunwerden konkret?

Steininger: Das Immunsystem besteht – vereinfacht gesprochen – aus zwei unterschiedlichen Bereichen. Ein Teil ist das angeborene Immunsystem, damit kommt jedes Kind zur Welt, es ist aber relativ unspezifisch. Deshalb gibt es auch die spezifische Immunität, die sich mit jeder Infektion erweitert. Jede überstandene Infektion macht es sozusagen wehr hafter, und Impfungen sind eine Möglichkeit, das Immunsystem zu trainieren, ohne dass man einen Infekt auch tatsächlich durchmachen muss.

STANDARD: Warum gibt es keine Medikamente gegen Viren?

Steininger: Das hat mit der Vielfalt der Viren zu tun. Es gibt eine riesige Anzahl von Viren, und jedes hat unterschiedliche Strategien, in den Körper einzudringen, sich dort zu vermehren und damit zu überleben. Zudem ist es so, dass die verschiedenen Viren auch unterschiedliche Körperzellen nutzen, sich etwa nur an bestimmten Rezeptoren andocken. Wenn man einen Wirkstoff entwickelt, dann muss der sehr gezielt einen bestimmten Rezeptor angreifen. Tamiflu etwa macht das bei Influenza-Viren. Gegen das HI-Virus wurden auch nach diesem Prinzip Medikamente entwickelt.

STANDARD: Und warum lassen sich Bakterien leichter bekämpfen?

Steininger: Bakterien dringen nicht in die Körperzellen ein, sondern bleiben außerhalb. Deshalb können sie durch Antibiotika vergleichsweise einfach bekämpft werden. Viren hingegen schleusen sich in die Körperzellen ein. Wenn man Viren medikamentös vernichtet, kann es sein, dass die Körperzelle selbst angegriffen wird. Das macht die Medikamentenentwicklung auch zu so einer großen Herausforderung.

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An der Oberfläche der Viren sind Rezeptoren, die die Kommunikation zwischen Zellen ermöglichen.
Foto: APA/picturedesk

STANDARD: Wie würde ein antivirales Medikament funktionieren?

Steininger: Viren brauchen einen Wirt, um sich vermehren zu können. Das heißt: einen anderen Organismus. Sie verschaffen sich an unterschiedlichen Öffnungen des Körpers Zugang, docken an eine Zelle an und nutzen dann die Mechanismen der Körperzelle für die eigene Vermehrung. Es kann sein, dass ein Virus die Körperzelle bis zur Erschöpfung ausnutzt. Sie platzt und setzt dann die neuen Viren frei. Es kann aber auch sein, dass das Virus und die Körperzelle gemeinsam koexistieren und dabei im Körper wichtige Vorgänge regeln.

STANDARD: Wie zum Beispiel?

Steininger: Ohne Viren wäre Schwangerschaft nicht möglich. Wir haben ihnen zu verdanken, dass es eine Plazenta gibt und der weibliche Körper den Fötus, der sich im Körper bildet, nicht abstößt. Denn an sich würde der Körper jeden Fremdkörper bedingungslos eliminieren. Und er tut es auch. Er wehrt sich gegen Bakterien, Allergene oder ein gespendetes Organ. Das Prinzip ist immer gleich.

STANDARD: Und das Wuhan-Virus ist neu, insofern wissen Virologen nicht, was passiert?

Steininger: Deshalb auch das Interesse und die Vorsicht. Es dauert oft Wochen, bis der Körper tatsächlich Immunität entwickelt und es schafft, mit dem Virus zurechtzukommen oder es zu eliminieren.

STANDARD: Welche Chancen sehen Sie für eine Therapie?

Steininger: Wenn sich herausstellt, dass die Mehrzahl der Menschen das Virus einfach übersteht, dann wird man sich eher gegen die Entwicklung einer Impfung entscheiden. Gegen die Coronaviren, die hier bei uns im Umlauf sind, gibt es auch keine Impfung. Auch die Entwicklung von einem Medikament, das nur auf Coronaviren wirkt, hängt vom globalen Verlauf der Krankheit ab.

STANDARD: Warum wird darüber spekuliert, HIV-Medikamente bei dem Wuhan-Virus einzusetzen?

Steininger: HIV-Medikamente verhindern die Vermehrung des Virus in der Zelle. Ich denke, man probiert aus, ob der Wirkstoff auch bei 2019-nCoV funktioniert. Als Notfallmaßnahme eben. Auch bei der Ebola-Infektion, die ja auch durch ein Virus ausgelöst wurde, wurden die sonst sehr strengen Richtlinien der Medikamentenentwicklung übersprungen. Weil Gefahr im Verzug war, sozusagen.

Christoph Steininger ist Infektiologe und Virologe am Institut für Tropenmedizin der Med-Uni Wien.
Foto: MedUni Wien

STANDARD: Gibt es denn Medikamente gegen Sars oder Mers, die wie das Wuhan-Virus auch aus der Familie der Coronaviren stammen?

Steininger: Es gibt keine spezifischen Medikamente gegen Coronaviren. Nach dem Abebben der Sars-Epidemie verschwand auch die Panik, die Leute überleben die virale Infektion, und deshalb ist es auch nicht notwendig, ein Medikament zu entwickeln. Gäbe es ein Medikament gegen Sars, wäre es jetzt sicher zum Einsatz gekommen. Mir ist dazu nichts bekannt. Insofern gibt es entweder keines, oder es wirkt nicht.

STANDARD: Bislang kennt man die Infektionsquelle nicht. Was würde sich verändern, wenn man sie finden würde?

Steininger: Wenn man die Gefahr kennt, könnte man sie vermeiden. In China leben Menschen und Tiere noch viel enger zusammen. Solche Verhaltensregeln greifen oft in kulturelle Traditionen ein. Man darf dann etwa Speisen nicht mehr essen, die man aber seit Jahrzehnten gewöhnt ist, die vielleicht sogar traditionell verankert sind. Die Menschen müssten sich dann daran halten. Tun sie eben dann aber einfach manchmal nicht.

STANDARD: Wann wird die Gefahr des Wuhan-Virus gebannt sein?

Steininger: Wenn das Virus lokal begrenzt bleibt, die Leute dort Immunität entwickeln und die Krankenzahlen zurückgehen.

STANDARD: Kann das Virus wieder ausbrechen?

Steininger: Ja, wenn ein Virus wie 2019-nCoV neu entsteht, ist es kein Einzelfall, sondern kann sich theoretisch wiederholen. Wir wissen das vom HI-Virus. Es gibt zwei unterschiedliche HIV-Stämme, die zeitlich und lokal unabhängig voneinander entstanden sind. Es ist ein Affenvirus, das auf den Menschen entweder bei der Jagd oder beim sonstigen Kontakt mit Blut, etwa dem Verzehr von rohem Fleisch, übertragen wurde.

STANDARD: An solchen Fragen wird in den Laboren also gerade gearbeitet?

Steininger: Ich denke, ja. Die Entstehung von Viren ist auch eine Frage der Wahrscheinlichkeit. Es ist eine Frage von tatsächlicher Gefahr, den Kosten einer Medikamentenentwicklung und dem tatsächlichen Nutzen. Und so, wie es jetzt aussieht, sterben vor allem Menschen mit geschwächtem Immunsystem. Das neue Virus macht also nicht jeden Menschen auf die gleiche Art und Weise krank. Die meisten haben einfach einen Atemwegsinfekt und werden dann wieder gesund. Aus virologischer Sicht wäre das optimal. (Karin Pollack, 1.2.2020)