Wo geht es hier zur nächsten Eheberatungsstelle? Maria Köstlinger und Bernhard Schir testen die Grenzen der Freiheit aus.

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Nichts herrlicher als so ein Kapellmeisterleben in Fin-de-siècle-Wien anno 1905. Auf dem Privatflügel räkelt sich eine waschechte Gräfin im Takt der schwülsten Musik. Der Hausherr (Bernhard Schir), ein Tonsetzer mit dem gottlob gar nicht prätentiösen Vornamen Amadeus, droht vor Unrast zu platzen.

Arthur Schnitzlers Komödie "Zwischenspiel" enthält in Sachen Ehehygiene eine Unzahl gutgemeinter Ratschläge. Im Wiener Josefstadt-Theater beabsichtigt der umtriebige Amadeus einen wahren Befreiungsschlag. Er will die lästig gewordenen Ehefesseln abstreifen, sich die singende Gemahlin (Maria Köstlinger) aber für alle Fälle dennoch gewogen halten. Den singenden Bettschatz (Silvia Meisterle) auf dem Klavier wimmelt er ab wie ein aufdringliches Singvögelchen. Einen Freifahrtschein will er bei Cäcilie, seiner Ehefrau, einlösen. Was sie nicht weiß, soll sie nicht heiß machen.

Abgekühlte Zweisamkeit

Amadeus möchte die erotisch abgekühlte Zweisamkeit in den überlegenen Zustand der Kameraderie überführen. Die Hitze des ehelichen Pflichtkusses soll heruntergedimmt werden: auf Zimmertemperatur. Und weil sich Amadeus der beleidigenden Einfalt seines Angebots kaum bewusst ist, kommt Cäcilie aus ihrem – mit allzu viel gesundem Menschenverstand gepolsterten – Staunen nicht heraus.

Meint dieser unermüdliche Schwätzer und Maulheld sein beleidigendes Anerbieten ernst? Regisseur Peter Wittenberg begegnet diesem minder wichtigen Erzeugnis des Erzskeptikers Schnitzler mit treuherziger Courage.

Man meint momentweise, im Gefängnisturm von Strindbergs "Totentanz" festzustecken. Glaspaneele drehen sich beim geringsten Antippen vielsagend im Kreis (Bühne: Florian Parbs). Die Be suche von Amadeus’ Hausfreund Rhon (Joseph Lorenz), ein zynisches Double seines Autors Schnitzler, verbreiten das hei melige Sommerfrischegefühl von Rax und Schneeberg. Dabei besitzt dieser Kommentator eine allerliebste, vermeintlich dumme Frau namens Marie. Martina Stilp verwandelt die misogyne Karikatur in die berührende Studie einer Person, die standesgemäß vor dem emotionalen Kältetod steht und dagegen aufbegehrt. Der Lichtblick dieser Inszenierung.

Mistplatz der Gewohnheit

Amadeus geht sich selbst ins Netz. Cäcilie weiß sich mit ihrer frischgewonnenen Freiheit einiges anzufangen. Als heilige Carmen der Schmachthöfe sitzt sie auf ihrem Operndivenkoffer und lacht den verdutzen Kerl aus. Irgendwann wird einem die Scheinheiligkeit dieser Menschen zu bunt. Die Aussprache von Amadeus mit Cäcilies elegantem Kavalier (Roman Schmelzer): eine Doppelgockelei zweier Hähne auf dem Mist der Konvention. Was nicht am klaren Design von Alexandra Pitz’ Kostümen liegt. Sondern an Sorgen, die man, rhetorisch gesprochen, gerne hätte. Kein schlechter Abend, aber ein mausetoter. (Ronald Pohl, 31.1.2020)