Strahlender Sonnenschein und unberührte Hänge. Das Risiko Lawine bleibt, wird aber auch durch neue Entscheidungs- und Handlungskonzepte abschätzbarer.

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War einst der Skitourensport Angelegenheit einiger abenteuerlustiger Freaks und verschrobener Adrenalinjunkies, geht man heute in Österreich von rund 700.000 Aktiven aus. Skitourengehen ist längst zum Breitensport geworden. Die Gründe für den Trend sind vielfältig. Neben dem allgemeinen Bergsportboom und den oft als weniger attraktiv empfundenen harten Kunstschneepisten liegt der Hauptgrund wohl im technologischen Fortschritt der Skiindustrie. Die sperrigen Latten von einst sind spritzigen Tourcarvern gewichen, mit denen auch weniger Begabte elegant talwärts kommen. Schuhe und Bindungen wiegen einen Bruchteil der schweren Teile von damals, und die altvaterische Bekleidung der Vergangenheit ist durch stadttaugliche Stylings ersetzt worden.

Was auffällt: Trotz der rasant gestiegenen Zahl aktiver Skitourengeher steigt die Zahl der Lawinentoten nicht. Im Gegenteil: Im langjährigen Mittel weist die Kurve von 26 Toten pro Winter mit aktuell rund 24 Lawinenopfern sogar leicht nach unten.

"Modetouren"

Für diese Entwicklung sei "ein Konglomerat aus Gründen" verantwortlich, sagt Michael Larcher, Leiter der Abteilung Bergsport beim Österreichischen Alpenverein (ÖAV). Zuerst einmal müsse man festhalten, dass sich viele der Gelegenheitstourengeher auf oft begangene Modetouren beschränken würden. Dort sei das Lawinenrisiko geringer, da den ganzen Winter über "durchgeackerte Hänge" wesentlich seltener lawinengefährlich würden als "Steilhänge irgendwelcher Geheimtipps".

Als weiteren Teil des Bündels führt Larcher die stark verbesserten Lawinenlageberichte an, die inzwischen im Detail über Gefahrenmuster, Regionen und Seehöhe Auskünfte geben und deren grafische Aufbereitung inzwischen sogar auf die jeweilige Hangneigung fokussiere.

Konzept "Stop or Go"

Für alle, die sich dann ins "ernste, freie Gelände" wagen, gibt es längst auch Entscheidungskonzepte, die eine einfache Risikoeinschätzung erlauben. Der ÖAV hat vor 20 Jahren sein Konzept "Stop or Go" eingeführt und bildet die Mitglieder auch entsprechend aus. Stark vereinfacht bedeutet diese Entscheidungsstrategie: Je höher die Lawinenwarnstufe auf der fünfteiligen Skala ist, desto geringer ist die Steilheit der Hänge, die befahren werden dürfen.

Neue Technologien

Nicht zuletzt sei auch die Technologie für den Rückgang der Lawinentoten verantwortlich, meint Larcher. Das bekannteste Beispiel ist der Lawinenairbag. Laut Untersuchungen des Schweizer Instituts für Lawinenforschung reduziere der ausgelöste Airbag bei einem Lawinenabgang die Mortalitätsrate um 50 Prozent. Ebenso bedeutsam sind die Fortschritte bei den Lawinenverschüttetensuchgeräten. Die einst analogen, nur mit Ohrstöpseln zu bedienenden Pieps sind nun digitalisierte Drei-Antennen-Geräte, mit denen man "mit wenigen Übungsstunden" Verschüttete finden könne.

Die einfachere Bedienung und die höhere Effizienz führen wohl auch zu mehr Akzeptanz: Rund drei Viertel der Tourengeher würden inzwischen beim Tourenstart die Funktionstüchtigkeit der Geräte auch tatsächlich überprüfen, haben AV-Umfragen ergeben. Etwa ein Drittel könne mit den Geräten auch aktiv umgehen, lobt Larcher die gestiegene "Ausrüstungskompetenz".

Tabuthema Pin-Bindung

Wie sehr die Technologie zur Risikominimierung beitragen kann, zeigt das Detailbeispiel Bindung. Die längst gängigen Pin-Bindungen, bei denen der Skischuh ohne Rahmen nur mit zwei Dornen am Vorderbacken der Bindung fixiert ist, haben einen gravierenden Nachteil: Sie müssen im Aufstieg verriegelt werden und verlieren so die Funktion einer Sicherheitsbindung.

Damit können sie im Falle eines Lawinenabganges nicht auslösen und ziehen den Skifahrer in der Lawine wie ein Anker in die Tiefe. Inzwischen hat sich der Schweizer Produzent Fritschi des "Tabuthemas" (Larcher) angenommen und eine Bindung entwickelt, die bei starker Belastung auch im Aufstiegsmodus auslöst. (Thomas Neuhold, 31.1.2020)