Van Eyck steigt wie ein Stern aus der mittelalterlichen Malerei empor: Zwei Ausstellungen zeigen seine Werke in Gent, darunter die "Madonna am Brunnen".

Lukasweb / Hugo Maertens

Gestern schaute es noch "dumm wie ein Schaf", heute wirft es einen scharfen Blick auf die Kirchgänger: Das Lamm Gottes, das der Maler Jan van Eyck vor rund 600 Jahren zur Hauptfigur seines Genter Altars kürte, symbolisiert Jesus Christus. Jedoch haben spätere Künstler das Lamm übermalt, um es tierischer aussehen lassen.

Nachdem Restauratoren nun diese Farbschichten auf dem Meisterwerk entfernt hatten, trat der Heiland im Opfertier wieder zutage. Weil das Lamm nun menschelt und christliche Ikonografie nicht zu den Stärken von Social Media gehört, wurde es kürzlich zur viralen Lachnummer, nach dem Motto: "Van Eyck konnte nicht mal ein Schaf malen!"

Göttliche Erleuchtung abbilden

Wer direkt vor dem Werk in der St.-Bavo-Kirche steht, kann die Details des Lammkopfes nur schwer erkennen. Der Flügelaltar mit seinen 26 Bildtafeln ist vier Meter hoch, das göttliche Tier misst aber gerade mal zwölf Zentimeter. Über Jahrhunderte durften die Gläubigen die Innenseite nur an Feiertagen sehen, ansonsten blieb das aufklappbare Wunderwerk zu. Ausnahmen wurden für Gäste wie Albrecht Dürer gemacht, der van Eycks Malereien als "über köstlich" pries.

Mit der Ausstellung Van Eyck. Eine optische Revolution bietet das Museum für Schöne Künste in Gent die einmalige Chance, ganz nahe an die Außenbilder des berühmten Altars heranzutreten. Schon allein die darauf dargestellte Verkündigungsszene ist ein Highlight: Den prächtig gestalteten Engel und die Jungfrau Maria verbindet ein schlichter Bogengang mit Waschkrug, der dem Drama um Christi Empfängnis Raum gibt.

Rezepturen zur schnellen Trocknung

Der um 1400 geborene van Eyck galt lange als der Erfinder der Ölmalerei. Auch wenn das nicht stimmt – der Flame entwickelte lediglich Rezepturen zur schnelleren Trocknung der Farbschichten –, so taucht er wie ein neuer Stern aus der mittelalterlichen Malerei auf. Sein Realismus mutet teilweise fotografisch an und lässt doch nie Atmosphäre vermissen. "Van Eyck war besessen von Licht und Reflexion", betonte der Kurator der Schau, Maximiliaan Martens. Angesichts der raffinierten Glanzeffekte, Lichtbrechungen und Spiegelungen versucht er zu belegen, dass der flämische Künstler optische Theorien kannte und göttliche Erleuchtung darstellen wollte.

Jan van Eyck sei Mikroskop und Teleskop zugleich gewesen, lobten andere Kunsthistoriker. Die Goldfäden von Brokatstoff oder die Schamhaare von Adam und Eva stellte er ebenso virtuos wie ferne Türmchen und Schiffe dar. Heute existieren nurmehr 20 Bilder des burgundischen Hofmalers, von denen jetzt im Paarlauf mit den Außenseiten des Genter Altars die Hälfte präsentiert wird.

Freilich fehlen Hauptwerke wie das Arnolfini-Porträt aus der Londoner National Gallery oder die Rolin-Madonna aus dem Louvre, denn diese werden nie verborgt. Aber allein die großartige Verkündigung aus Washington, der kleinformatige Hl. Franziskus aus Philadelphia und van Eycks einzige Buchmalerei lohnen schon eine Pilgerfahrt nach Gent. Verblüffend auch der Realismus im Saal mit den Porträts, wo das Stifterpaar vom Genter Altar unter anderem mit dem Goldschmied Jan de Leeuw aus dem Wiener Kunsthistorischen Museum zusammenkommt.

Lamm, 3D und Merchandising

Die 2012 gestartete Restaurierung des Genter Altars, der einst von den Nazis im Altausseer Bergwerk versteckt wurde, entpuppte sich als Mammutprojekt. Die Untersuchungen zeigten, dass die Außenseite nicht nur schmutzig, voller Risse und Gelbstich war, sondern dass 70 Prozent übermalt worden waren. Die Entfernung all dieser "Ausbesserungen" war goldrichtig: Die Tableaus strahlen nicht nur frisch, sie offenbaren auch die grafische Qualität von van Eycks Gewandfalten oder architektonischen Details.

Wiewohl van Eyck in Brügge lebte, findet heuer in Gent ein wahrer Tanz um sein Lamm statt. Unter dem Motto "OMG! Jan van Eyck was here" läuft 2020 ein Veranstaltungsreigen, Van-Eyck-Pralinen inklusive. Einen Höhepunkt bildet im Oktober die Eröffnung des neuen Besucherzentrums zum Genter Altar. Wer dann das Lamm in Streichelnähe erleben möchte, kann eine Augmented-Reality-Brille aufsetzen. (Nicole Scheyerer aus Gent, 1.2.2020)