Der Posten des Verfassungsgerichtshofpräsidenten ist vakant: Christoph Grabenwarter (zweiter von links) ist derzeit Vizepräsident und führt das Höchstgericht interimistisch. Es gilt als wahrscheinlich, dass er bald zum Präsidenten bestellt wird.

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Der Verfassungsgerichtshof besteht derzeit aus 13 Mitgliedern: neun Richter, drei Richterinnen und ein Vizepräsident. Sie alle können Parteien zugeordnet werden. Es gibt sechs schwarze, fünf rote und zwei blaue Richter. Verlassen können sich die Politiker trotzdem nicht darauf, dass ihre Richter der Parteilinie folgen. Das musste im Dezember die ÖVP erfahren, als das Höchstgericht Teile der türkis-blauen Sozialhilfereform aufhob. Sebastian Kurz bewertete das Erkenntnis offen: "Ich finde das schlecht." Der Kanzler war offensichtlich enttäuscht.

Bei kaum einer anderen Institution lässt sich die parteipolitische Besetzung so offen nachvollziehen wie beim Verfassungsgericht. Sie erfolgt streng nach der Farbenlehre der politischen Mehrheitsverhältnisse. Die Bestellung ist damit niemals objektiv. Präsident, Vizepräsident und sechs Mitglieder werden von der Bundesregierung bestellt, Nationalrat und Bundesrat ist jeweils die Bestellung dreier Richter vorbehalten.

Grabenwarter als Präsident wahrscheinlich

ÖVP und Grüne sind gleich am Anfang ihrer Regierungszusammenarbeit mit einer Neubesetzung konfrontiert. Seit Juni des Vorjahres gibt es wegen Brigitte Bierleins Intermezzo als Kanzlerin der Übergangsregierung keine Verfassungsgerichtshofpräsidentin. Ihr Vize Christoph Grabenwarter leitete interimistisch die Geschicke des Verfassungsgerichts. Es ist sehr wahrscheinlich, dass er dazu nun offiziell berufen wird. So oder so muss ein Richterposten nachbesetzt werden, denn sobald ein Richter das 71. Lebensjahr erreicht, wie das bei Bierlein der Fall ist, läuft die Amtszeit aus. Wen nun der Ruf des Höchstgerichts ereilen könnte, war mit großer Wahrscheinlichkeit bereits Gegenstand der türkis-grünen Koalitionsverhandlungen – die Öffentlichkeit soll das Anfang Februar erfahren. Nun könnte ein grüner Jurist in den Kreis der Höchstrichter aufsteigen. Eine Premiere, jahrzehntelang gab es nur Richter mit parteipolitischer Nähe zu SPÖ oder ÖVP. 2003 war Herbert Haller der erste Richter, der von der FPÖ nominiert wurde.

Trotz parteipolitischer Besetzung, Befangenheit kann man dem Höchstgericht wirklich nicht vorwerfen. Ob Bierlein oder ihr Vorgänger Gerhart Holzinger: Sie verstanden sich als Verfassungshüter und trotzten politischer Einflussnahme. Wie die einzelnen Richter abstimmen, bleibt zwar vertraulich, doch die überwiegende Mehrheit der Entscheidungen fällt einstimmig aus.

Hearing ohne Folgen

Der Bestellprozess ist ein häufiger Kritikpunkt der Opposition. Selbst wenn National- oder Bundesrat das Vorschlagsrecht haben, gibt es zwar seit den späten 1990er-Jahren ein nichtöffentliches Hearing aller Bewerber, dieses bleibt aber folgenlos. Die Regierungsparteien bestimmen, wer als Richter nominiert wird. Eine einfache Mehrheit in der jeweiligen Kammer genügt. In Deutschland müssen zwei Drittel der Abgeordneten der Bestellung eines Richters zustimmen. Die Politikwissenschafterin Tamara Ehs würde sich diese Regelung auch für Österreich wünschen. Das werte die Opposition auf, gleichzeitig wirke es sich auch auf die "ideologische Tendenz" der Richter aus, wie sie in einem Artikel für die Zeitschrift für öffentliches Recht schreibt.

Auffallend ist: Gesellschaftlich heikle Themen werden bevorzugt an das Höchstgericht ausgelagert. Politiker wollen sich an Entscheidungen wie der "Ehe für alle" oder dem Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare nicht die Finger verbrennen. Sie wollen wiedergewählt werden. Verfassungsrichter kennen dieses Problem nicht. (Marie-Theres Egyed, 31.1.2020)