Er duzt mich, und das irritiert mich gewaltig, denn es ist ein Du, so freundlich und bewusst und doch so aufgesetzt, dass ich jedes Mal aufschrecke. Eigentlich möchte mir der Typ im Video erklären, wie ich meine Firma deutlich erfolgreicher gestalten könnte, etwas, das meiner Firma ganz bestimmt nicht schaden würde, aber alles, worauf ich mich konzentrieren kann, ist dieses Du. Da, schon wieder!

Werbeprofi Philipp Maderthaner hat die türkise ÖVP zum Erfolg geführt. Jetzt bietet er seine Skills gratis an. Kostprobe gefällig? "Anziehungskraft schafft Anhängerschaft."
Foto: Der Standard

Er kennt mich doch gar nicht. Er weiß nicht einmal, dass er mit mir spricht, zumindest wusste er das noch nicht, als er das Video aufgenommen hat. Er duzt da also nicht nur mich, sondern alle, die dieses Video sehen, und wer weiß, wer das alles ist? Jeder hat heutzutage gute Gründe, etwas erfolgreicher zu sein, Heinz-Christian Strache genauso wie der Erzbischof oder sogar Andreas Treichl, aber man kann doch nicht mit denen allen per Du sein. Wahrscheinlich sieht er das selbst auch so, deswegen klingt sein Du so irritierend irritiert. So wie beim Skiausflug mit der Firma, wenn der Oberboss aus Hamburg auch dabei ist und der schon einmal gehört hat, dass man ab 1000 Meter Seehöhe mit allen per Du ist.

Experte mit Experience

Sonderbare Sache, aber vielleicht muss das so sein, wenn man erfolgreich sein will? Ich hab davon wenig Ahnung, er aber schon, denn er – das ist Philipp Maderthaner: Gründer, Marketingexperte, Coach, Berater, einer, der absolut jeden überall hinbringen kann, sogar den Obmann der Wiener JVP ins Kanzleramt, kein Witz.

Und genau diese Experience, wie er wohl sagen würde, die hat er auch mir versprochen – mir und allen anderen, die sich für sein Kurs "Begeistern. Wachsen. Großes Bewegen" angemeldet haben. Es ist ein Gratiskurs im Internet, in handlichen zehnminütigen Portionen zu konsumieren, es gibt einen Arbeitsbehelf zum Download und einen sehr überraschenden Ansatz: "Die meisten wollen nichts von der Politik lernen, die meisten sind aber auch nicht erfolgreich." Hieß es bisher nicht umgekehrt, dass die Politik aus der Wirtschaft lernen soll? Maderthaner meint: Nein, Unternehmer können sich etwas von der Politik abschauen, vor allem von der neuen ÖVP, und das klingt ja mal nicht schlecht: Man kann als Unternehmer vom Aufstieg des Sebastian Kurz profitieren und muss nicht einmal auf die Senkung der Körperschaftssteuer warten, und einen Platz in einem Aufsichtsrat kann auch nicht jeder haben.

Menschen, Daten, Emotionen

Sieben Lektionen hat Maderthaner zusammengestellt, und die Überschriften klingen wie aus einem Partei- oder Regierungsprogramm: "Leidenschaft schafft Anziehungskraft", "Menschen kaufen Verwirklichung, Zugehörigkeit und Emotionen", "Führen heißt skalieren", "Kultur ist Wachstumsermöglicher Nummer eins". Okay, eher ein Regierungsprogramm von ÖVP und Neos, aber seit Türkis-Grün muss man immer mit allem rechnen.

In jedem dieser Kapitel wohnt unglaublich viel "Spirit", Maderthaner spricht von der "Substanz", von "persönlichen Werten" und von der "Emotionalität", die ein "gutes Business" haben soll. "Arbeite nicht im Unternehmen, sondern am Unternehmen", sagt er an einer Stelle, "Dein Job ist Führung, nicht Facharbeit." Oder: "Alle kämpfen nach den Regeln des Wettbewerbs: schneller. Billiger. Lauter. Aber ganz ehrlich: Wie wahrscheinlich ist es, dass du schneller bist als die Logistik von Amazon? Wie wahrscheinlich ist es, dass du billiger bist als ein Konzern wie Ikea und lauter wie die Marketingmaschinerie von Cola?"

Und Maderthaner zitiert gerne. "Wie hat schon Henry Ford gesagt: Wenn ich das entwickelt hätte, was die Menschen wollten, dann hätte ich schnellere Pferde erfunden", sagt er an einer Stelle, an anderer zitiert er David Ogilvy oder Richard Branson oder "den guten Abraham Maslow" mit seiner Bedürfnispyramide. Es soll ja Menschen geben, die nicht an der Wirtschaftsuniversität studiert oder nie eine TEDx-Konferenz besucht haben, aber nach fünf oder sechs Webinarfolgen von Maderthaner kann jeder problemlos auf eine Start-up-Night im Wexelerate gehen und hat dort wahrscheinlich mehr Erfolg als Harald Mahrer bei den WU-Festen in den Neunzigern. Wer nach den Klassikern der Managementliteratur der Neunziger- und Nullerjahre sucht, aber keine Zeit zum Lesen hat – Philipp Maderthaner hat sie nicht nur gelesen, sondern sehr schön zusammengefasst.

"Menschen, die an das glauben, was du glaubst, sind bereit, von dir alles zu kaufen."

Floskeln fürs Volk

Seit Sebastian Kurz in der Regierung sitzt, gehört Philipp Maderthaner (38) zu seinem engsten Beraterteam. Es gibt nicht wenige, die meinen, Kurz wäre ohne ihn nie bis ins Kanzleramt gekommen. Maderthaner hat sich nach seiner Zeit in der niederösterreichischen Volkspartei auf Kampagnenmanagement spezialisiert, und ausgehend von US-Wahlkämpfen war er der Erste, der in Österreich die politische Dimension von Social Media erkannt hat. Anders als die FPÖ, die über ihre Facebook-Seiten vor allem eine direkte Kommunikation zu ihren Fans aufbauen wollte, ging es Maderthaner aber vor allem um Daten. Sie sind sein Asset, und den Wert dieses Kundenkontakts bringt er auch in seinem Webinar immer und immer wieder unter.

"Der Erfolg deines Produkts liegt in deinen Beziehungen", sagt er deswegen, er erzählt von der Wichtigkeit der "Customer Journeys" und meint, dass man sich immer fragen muss, "was deine Kunden für dich tun können: Wenn du den Kontakt direkt und kontinuierlich aufbaust, dann kannst du auf diese auch bauen: egal was für ein Wirbelsturm da draußen tobt. Wer das nicht hat, der ist auf die Medien angewiesen."

Die neue ÖVP

Das klingt alles nach ganz brutalen Binsenweisheiten. Andererseits: Wie oft hat Sebastian Kurz in den vergangenen zehn Jahren wohl diese und andere "Prep-Talks" "face-to-face" erhalten? Und irgendwann kippt es, irgendwann beginnt man, sich das Webinar mit den Augen und Ohren von Sebastian Kurz vorzustellen: "Es braucht jemand, der ein Leuchtfeuer zündet, um den scharen sich die Menschen", ist so ein Maderthaner-Satz, und so geht es weiter: "Menschen, die an das glauben, was du glaubst, sind bereit, von dir alles zu kaufen", "Nur wer führt, kann wachsen", "Wer Verwirklichung verspricht, der hat Zukunft", "Leidenschaft schafft Anziehungskraft. Und Anziehungskraft schafft Anhängerschaft". Keine Ahnung, wie oft Kurz das gehört hat, aber im Grunde ist das ziemlich genau die neue ÖVP.

""Wer Verwirklichung verspricht, der hat Zukunft."

Und überhaupt: Wer redet da jetzt eigentlich? Maderthaner? Kurz? Die Intonation ist gleich, die Gestik, die Handbewegungen, und hat Maderthaner nicht auch diese Verzögerung in der Bewegung, wenn er den Kopf leicht nach vorn beugt? Okay, Maderthaner hat die schlechteren Anzüge, aber die bessere Frisur und weniger Schminke im Gesicht, doch insgesamt wirkt es so, als hätten die beiden in den letzten Jahren sehr viel Zeit miteinander verbracht.

Aber was soll man dann mit diesem Satz anfangen? "Wir werden täglich geflutet mit schönen Bildern und perfekten Inszenierungen. Mit Bildern und Inszenierungen kannst du niemand mehr überzeugen. Echte Begeisterung schafft nur, wer die Erwartungen des Publikums übertrifft." Wäre Sebastian Kurz also nicht so ein Superstar geworden, wenn er als Wiener JVP-Chef nicht so unglaublich peinlich auf dem Geilomobil gesessen wäre?

Warum tut der das?

Gemessen daran kann man als Teilnehmer am Webinar ja eigentlich auch so gut wie nicht underperformen. Ich muss nur dafür sorgen, dass die Erwartungen in mein Produkt möglichst gering sind, dann werde ich die zukünftigen Kunden positiv überraschen? Gut, das ist leicht. Aber warum erzählt mir Maderthaner das überhaupt? Und warum gibt er sein Wissen, dass er in den vergangenen Jahren relativ teuer an große österreichische Unternehmen verkauft hat, plötzlich gratis her?

Philipp Maderthaner hat gerade eine neue Firma, die Business Gladiators, gegründet und angekündigt, dass er mit Politikberatung erst einmal fertig ist. Das steht angeblich in keinem Zusammenhang mit der Geschichte, wonach er vor der ersten Wahl von Kurz beim sehr umstrittenen Datenanalysedienstleister Cambridge Analytica unverbindlich um eine Produktdemo angefragt hatte. Die neue Firma soll offenbar auch andere Menschen beraten, und darum tritt er längst nicht mehr so zurückhaltend auf wie bisher. Die neuen Kunden sitzen wohl auch eine Etage tiefer und sind vor allem jünger als der alte Kundenstamm. Oder wollen zumindest so wirken.

Und da kann man auch problemlos duzen. (Markus Huber, 01.02.2020)