Ein Besuch bei Morgentau im Morgengrau. Christian Stadler hat am Besprechungstisch Platz genommen. Schnell wird klar: Für den Biopionier ist es mehr als Arbeit. Zwischen Pastinaken, Chioggia-Rüben, Kartoffeln, Karotten und Herbstrüben hat der 52-Jährige seine Mission gefunden.

STANDARD: Macht Bio tatsächlich schön?

Stadler: Sicher macht Bio schön. Aber schön ist ja nicht nur eine Folge dessen, was man isst. Sondern auch wie man lebt und denkt.

Christian Stadler ist seit den 1980er-Jahren im Geschäft, die Skepsis des Markts hat ihn angespornt.
Foto: Alexander Schwarzl

STANDARD: Sie bezeichnen sich selbst gerne als Andersmacher. Was machen Sie anders?

Stadler: Primär ist es der gedankliche Zugang. Wenn ich mir die Bioszene heute ansehe, die neuen Betriebe, die da dazukommen, dann haben die einen anderen Zugang, als ich ihn damals hatte. Es ist ein tendenziell kaufmännischer Zugang, etwa im Gemüse- und Ackerbau. Was mehr und mehr in den Hintergrund tritt, ist der idealistische Ansatz.

STANDARD: Ich merke, es keimt Unzufriedenheit im Biobauern.

Stadler: Natürlich. Bio ist heute Geschäft geworden. Was natürlich auch gut ist. Es muss ja irgendwann in der Realität, im normalen Leben ankommen. Aber es ist halt auch ein Wermutstropfen, dass beim Wachsen des Ökonomischen der Idealismus abnimmt. Aber es ist trotzdem gut, denn jedes Hektar, das nicht mit Kunstdünger zugemüllt wird, ist etwas wert für den Planeten. Aber ganz klar: Die Biorichtlinien, wie sie vor 20 Jahren in den Lebensmittelkodex aufgenommen und von der EU gesetzlich verankert wurden, reichen nicht mehr aus, dass verantwortungsvolle Bauern sagen können: "Ja, damit kann ich mich voll identifizieren." Es fehlt Biodiversität. Auch wir Biobauern haben noch Monokulturen. Und 30 Hektar Monokultur sind für den Käfer, den Fasan, den Hasen nicht lustig. Wir wissen, wie wir Mischkulturen anbauen könnten. Trotzdem tun es nur wenige.

STANDARD: Würde es in der benötigten Menge tatsächlich dann funktionieren? Bio ist, wie gesagt, Geschäft, und die Regale müssen stets gut gefüllt sein.

Stadler: Natürlich würde es funktionieren. Und: Wenn der Planet das braucht, dann muss es halt so sein – fertig. So einfach ist das. Und es gibt viele Konsumenten, die das so sehen.

STANDARD: Sie sind auf einem klassischen Hof mit Ackerland aufgewachsen. Mit 18 konnten Sie Ihre Eltern überzeugen, vom konventionellen Ackerbau auf Bio umzustellen. Gab es da eine Initialzündung?

Stadler: Es war ein schleichender Prozess. Ich bin in meiner Jugend sehr katholisch sozialisiert worden. Ich war Jungschar- und Ministrantenführer und der Zugang zur Schöpfung war vorgegeben. Einfach das, was uns umgibt, auch als Schöpfung zu sehen. Nicht nur als Zufallsprodukt der Evolution. Zuerst war also der Schöpfungszugang, dann habe ich Botanik und Zoologie gelernt. Von Ökologie hat damals noch keiner gesprochen. Aber mir war damals rasch klar: Wenn man an dem einen Ende zieht, gibt es am anderen Ende einen Ausschlag. Ich bin dann in das Alter gekommen, wo ich daheim am Betrieb immer mehr Einsicht bekommen habe. Um dann zu erkennen: Nein, so mach ich das nicht. Und irgendwann habe ich dann halt gesagt: "Mama, Papa, ich nehme gern den Hof. Aber ich werde Biobauer."

STANDARD: Wie fiel die elterliche Reaktion aus?

Stadler: Zunächst ablehnend und negativ. Aber meine Eltern waren für ihr Alter doch sehr aufgeschlossene Leute. Und ich hab ihnen letztlich glaubhaft darlegen können, dass ich mich bemühen werde und nicht zum Ziel habe, den Hof herunterzuwirtschaften.

STANDARD: Jetzt ist es schon schwer, die eigenen Eltern zu überzeugen. Ungleich schwerer muss es doch gewesen sein, ein Biogeschäft aufzubauen. Wir reden von den frühen 80er-Jahren. Da war Bio doch noch in der Freakecke daheim. War es schwierig, die Masse von der Qualität ihrer Produkte zu überzeugen?

Stadler: Da ich katholisch und nicht durch die Landjugend sozialisiert wurde, war mir das damals völlig wurscht. Die Skepsis hat mich motiviert. Wenn heute einer zu Biodiversität sagt "Vergiss den Schas", dann ist es mir erst recht ein Ansporn, zu zeigen, dass es doch geht.

STANDARD: Spannend – ein Ökorebell mit katholischen Wurzeln.

Stadler: Eben der Andersmacher. Wobei der katholische Anteil heute nahezu verschwunden ist.

STANDARD: 1993 haben Sie dann das Patent für Ihre Marke Morgentau – Österreichs erste Biolebensmittelmarke – angemeldet. Ab 1995 zogen Sie damit in die Supermärkte ein. Gab es den Moment der Genugtuung nach all der Skepsis der Kunstdüngerjünger?

Mit Werner Lampert hat Stadler so seine Sträuße ausgefochten.
Foto: APA/Barbara Gindl

Stadler: Natürlich gab es diesen Moment. Es war ja zu Beginn tatsächlich nicht einfach. Die Schwierigkeiten am Anfang waren primär produktionstechnischer Art. Wie kriegt man das Unkraut in den Griff, fressen einen die Schädlinge? Und natürlich dann die Vermarktung. Da hat es damals nichts gegeben. Es gab ja kein Internet. Ich habe ein Telefonbuch, eine Bahnkarte und ein Auto gehabt. Dann bin ich halt nach Wien gefahren und habe alles, was im Branchenverzeichnis mit Bio vermerkt war, besucht. Unsere erste Ernte haben wir an eine Firma mit dem Namen Naturwarenkontor GmbH verkauft. Da musste ich dann gleich einmal den damaligen Geschäftsführer, lustigerweise hieß er Werner Lampert, klagen, damit ich mein Geld bekomme. Ich hatte wenig Erfahrung – aber ich war jung, voller Energie, hatte Visionen.

STANDARD: Der bittere Aufschlag im Biobeet ist exakt zu dem Zeitpunkt gefolgt, als Morgentau so richtig ins Laufen kam. Die großen Lebensmittelketten haben eigene Biomarken gegründet. Das ewige Schicksal der Pioniere?

Stadler: 1993 hat eben auch Karl Wlaschek erkannt, dass Bio im Regal gut geht, und die Eigenmarke "Ja! Natürlich" ins Leben gerufen. Und lustigerweise gleich den Herrn Lampert als Geschäftsführer eingestellt. Da war es dann gleich einmal vorbei für uns. Nach dem Gerichtsurteil Stadler gegen Lampert war eben die Chemie etwas getrübt. Wir sind dann aber rasch mit Spar ins Geschäft gekommen, und so war klar, ich muss den Kniefall vor dem Lampert nicht machen. Und ich muss nicht "Ja! Natürlich" machen, weil die anderen meine Marke "Morgentau" nehmen. Was bis 1996 gut lief. Dann kam halt "Spar Natur*pur".

STANDARD: Aber nochmals die Frage: Waren diese Momente nicht irrsinnig bitter?

Stadler: Natürlich gab es die Momente des Haderns. Aber es war mir schon klar: Wenn man eine eigene Marke wie "Ja! Natürlich" entwickelt, dann ist das marketingtechnisch schon ein gutes Gegenargument. Und wenn eben der Herr Lampert dort Geschäftsführer ist, kann ich mich dort verabschieden. Was soll’s.

STANDARD: Hat es jemals eine Aussprache bei einem Karottensaft gegeben?

Stadler: Wir laufen uns immer wieder einmal über den Weg. Wir sind auch per Du. Da wird nicht gestritten. Er hat ja sehr viel für den Markt geleistet.

STANDARD: Aber ist das heutige Supermarktbio noch Bio nach Ihren Vorstellungen?

"Du kriegst per App die Info, dass die Radieschen zu ernten sind. Wir Menschen distanzieren uns immer weiter von der Natur."
Foto: Hans Punz

Stadler: Nein, mein Ideal ist es nicht mehr. Im Grunde müssen wir als Gesellschaft wieder mehr Menschen in die Landwirtschaft bringen. Du kannst eine Gesellschaft ruinieren, wenn nur mehr drei Prozent der Menschen beruflich den größten Teil ihrer Tageszeit mit der Natur verbringen. Es gibt Apps für jeden Schmarrn. Du kriegst per App die Info, dass du die Balkonblumen gießen musst und die Radieschen zu ernten sind. Wir Menschen distanzieren uns immer weiter von der Natur. Der konventionelle Bauer ist doch heute so weit, dass ihm ein Sensor auf dem Traktor sagt, in welchen Bereichen am Feld die Pflanzen schlechter mit Stickstoff versorgt sind und es mehr Dünger braucht.

STANDARD: Der Marktanteil von Bio liegt derzeit bei etwas über zehn Prozent. Welche Steigerung ist da noch drinnen?

Stadler: Ich glaube, dass Bio normal wird. Also ein Anteil von 51 Prozent. Es werden noch Lebensmittelskandale kommen, an die wir heute noch gar nicht denken.

STANDARD: Nach wie vor gibt es aber eine Ungleichheit bei Lebensmitteln. Bio, also gut, ist immer noch das elitäre, teurere Produkt. Warum eigentlich?

Stadler: Die Gruppe jener Menschen, die bereit ist, für Lebensmittel mit Wert mehr zu zahlen, ist weiter im Steigen. Und ja, wenn man ein Biohendl, ein Bioschnitzel und einen ausgefallenen Biokäse kauft, wird es teuer. Aber ich muss das nicht essen. Von einem Biokrautkopf kann man lange leben. Und der kostet 1,80 Euro.

STANDARD: Aber wer lebt nur von Krautköpfen?

Stadler: Natürlich nicht. Ich kann mir aber auch ein Sackerl Biodinkel kaufen. Da kostet ein halbes Kilo 2,49 Euro. Wenn ich das durch meine Flockenmühle jage und mit Milch und Wasser vermenge, habe ich einen wunderbaren Brei. Ganze zehn Portionen. Das weiß ich, weil ich esse so. (Markus Rohrhofer, 1.2.2020)