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Großbritannien ist nicht mehr Teil der EU.

Foto: Reuters / Henry Nicholls

Es ist vollbracht: Großbritannien ist um Mitternacht aus der Europäischen Union ausgetreten. Bis in die Nacht auf Samstag hinein feierten mehr als 5.000 Brexit-Befürworter vor dem Parlament in London den Abschied aus der Gemeinschaft, der ihr Land 47 Jahre lang angehört hatte. Nach dem Ausscheiden Großbritanniens aus der EU zeichnen sich harte Verhandlungen über die künftigen Beziehungen ab.

Bis Ende des Jahres bleibt Großbritannien noch in einer Übergangsphase, während der sich praktisch kaum etwas ändert. So lange haben beide Seiten Zeit, sich zu einigen, sonst droht wieder ein harter Bruch mit schweren Folgen für die Wirtschaft. Die Frist ist allerdings sehr knapp bemessen. Eine Verlängerungsoption, die noch bis Juli offensteht, lehnt Premierminister Boris Johnson kategorisch ab.

Die Brexit Party von Nigel Farage feierte in London.

Ob in dieser Zeit ein Abkommen erreicht werden kann, ist fraglich, zumal sich beide Seiten hart geben. "Wir werden sehr fair verhandeln, aber sehr hart", sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Freitagabend dem ZDF. Die EU habe eine gute Ausgangsposition, weil sie bisher Absatzmarkt für fast die Hälfte aller britischen Exporte sei. Großbritannien habe großes Interesse am Zugang zu diesem Markt.

Berichte: Johnson will volle Zoll- und Grenzkontrolle

Von der Leyen stellte auch klar, dass die EU alle strittigen Punkte bei den künftigen Beziehungen nur im Paket vereinbaren will. Dazu gehören nicht nur die Handelsbeziehungen, sondern zum Beispiel auch Fischereirechte oder die Zusammenarbeit in Sicherheitsfragen. "Erst wenn alles durchverhandelt ist, machen wir den Sack zu und eine Unterschrift drunter, es gibt keine Rosinenpickerei vorher." In einigen Punkten sei die EU ganz klar im Vorteil, etwa beim Finanzsektor. Unterm Strich sei die EU in einer sehr starken Position.

Boris Johnson hat einerseits angekündigt mit der EU ein Freihandelsabkommen nach dem Vorbild Kanadas aushandeln zu wollen, also ohne Zölle und mengenmäßigen Import-/Exportbeschränkungen. Gleichzeitig berichtet aber die britische Zeitung Telegraph unter Berufung auf Regierungskreise, dass Johnson nach dem Brexit volle Zoll- und Grenzkontrollen auf alle Warentransporte von der EU ins Vereinigte Königreich einführen will. Damit wolle er offenbar den Druck auf die Europäische Union in den bevorstehenden Handelsgesprächen erhöhen.

"Wir planen vollständige Kontrollen auf alle EU-Importe – Zollerklärungen, Sicherheits-Angaben, Kontrollen zur Tiergesundheit, und alle Supermarkt-Waren werden durch Grenzkontrollstellen gehen müssen", zitierte die Zeitung ein ranghohes Regierungsmitglied. "Das wird die Herausforderung an der Grenze im Jänner 2021 praktisch verdoppeln", hieß es weiter.

Sturgeon fordert erneut Unabhängigkeit Schottlands

Trotz Feierstimmung bei den Brexit-Befürwortern besteht auch am Morgen danach keineswegs Einigkeit im Vereinigten Königreich. Schottlands Regierungschefin Nicola Sturgeon, deren Wahlvolk mehrheitlich gegen den Austritt gestimmt hat, hat bereits kurz nach Mitternacht erneut die Unabhängigkeit ihres britischen Landesteils gefordert. "Schottland wird zum Herzen Europas als ein unabhängiges Land zurückkehren", twitterte Sturgeon nach dem EU-Austritt Großbritanniens in der Nacht zum Samstag und stellte das Bild einer Flagge der Europäischen Union dazu.

Boris Johnson lehnt eine zweite Volksabstimmung in Schottland ab. Rund 55 Prozent der Schotten hatten sich bei einem ersten Referendum im Jahr 2014 gegen eine Abspaltung vom Vereinigten Königreich ausgesprochen. Sturgeon argumentiert jedoch, die Umstände hätten sich durch den Brexit geändert.

Ihr Bedauern über den Brexit haben in der Nacht auf Samstag auch britische Weltkriegsveteranen mit Hilfe einer riesigen Projektion auf den Klippen der Hafenstadt Dover ausgedrückt. "Ich bin sehr, sehr traurig über das alles", sagte ein 95 Jahre alter Veteran namens Sid in der von einer EU-freundlichen Kampagne veröffentlichten Aufnahme. "Ich mag es, ein Europäer genannt zu werden.", sagt auch der 97-jährige Stephen Goodall in dem kurzen Film, "Ich bin sehr bedrückt, dass wir Europa verlassen, weil es mir so viel bedeutet hat". Auf Twitter wurde die Aktion zehntausende Male geteilt.

Pompeo will Beziehungen zu London vertiefen

Mit Unterstützung kann London aber offenbar zumindest von Seiten der USA rechnen. US-Außenminister Mike Pompeo hat eine Vertiefung der Beziehung der beiden Länder zugesagt. "Wir werden unsere bereits starken, produktiven und erfolgreichen Beziehungen zu Großbritannien weiter ausbauen", schrieb er kurz nach dem Brexit in der Nacht auf Samstag im Kurzbotschaftendienst Twitter.

Er freue sich, dass Großbritannien und die EU sich auf ein Brexit-Abkommen geeinigt hätten, "das den Willen des britischen Volkes würdigt", sagte Pompeo. US-Präsident Donald Trump hatte im Gegensatz zu seinem Vorgänger Barack Obama immer Sympathien für den Brexit geäußert. Den von London mit den EU-27 geschlossenen Austrittsdeal kritisierte die Trump-Regierung jedoch, weil er Hemmnisse für den Abschluss eines Freihandelsabkommens mit den USA enthalte.

Scholz sieht UK nicht auf dem Weg zur Steueroase

Was die inneren Angelegenheiten der EU angeht sieht der deutsche Finanzminister Olaf Scholz nach dem Brexit eine besondere Verantwortung Deutschlands. "An uns liegt es, ob die EU zusammenhält. Die Sicherung der europäischen Souveränität ist das wichtigste nationale Anliegen für die Bundesrepublik", sagte der SPD-Politiker der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (Samstag).

Der "tragische" Brexit biete auch die Chance für einen Neustart der EU, sagte Scholz. So habe das Ausscheiden der Briten die Gemeinschaft zusammenrücken lassen. Die Befürchtung, dass Großbritannien nun zur Steueroase werde, sei nicht sehr realistisch. "Das Land ist zu groß, um Unternehmen damit zu ködern, dass sie nur sehr geringe Steuern zahlen müssen", sagte Scholz. "Im Gegenteil: Großbritannien ist unser Partner im Bemühen, Steuerdumping zu erschweren." (red, APA, 1.2.2020)