Schulen setzen weltweit auf Digitalisierung – zu sehen ist etwa hier eine Berliner Grundschule, die mit Mini-Computern arbeitet.

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Das mit den unbegrenzten Möglichkeiten des Web hat eben auch irgendwo seine Grenzen. Eigentlich sollte Direktor Manfred Wacker am neuen Schulstandort nur noch Whiteboards in den Klassen hängen haben. Aber auch wenn die 400 Jahre alte Grazer Bildungsinstitution "Ferdinandeum" mittlerweile die Wandlung zur Digitalmittelschule vollzogen hat: Die alten Kreidetafeln sind vorerst geblieben – jetzt eben mit weißer Folie beklebt. Immerhin: In zwei Klassen gibt es bereits jene beschreibbaren Wände, die der Schulleiter beim Besuch bei Internetgigant Microsoft einst voll Vorfreude gesehen hat.

Mit dem Unternehmen ist die Schule eine engere Bindung als andere heimische Einrichtungen eingegangen. Sie ist eine von nur 17 Microsoft Flagship Schools weltweit. Und will sich zur "Showcase-School" hocharbeiten. Das sind Institutionen, an denen die Zusammenarbeit mit dem privaten Partner besonders gut funktioniert. Was bedeutet das in der Praxis?

Das englische Reading, eine 230.000-Einwohner Stadt westlich von London, ist bereits dort, wo die Grazer hinwollen. An der UTC Reading, inmitten einer unscheinbaren Wohngegend, sollen die IT-Experten und Ingenieure der Zukunft ausgebildet werden. Dafür wurde eine digitale Unterrichtsstrategie erarbeitet, auch bei der Ausbildung der Lehrkräfte ist man weit voran. Alle rund 500 Schülerinnen und Schüler arbeiten mit Laptop – entweder mit dem eigenen oder einem von der Schule finanzierten. Über die cloudbasierte Software Office 365 schreiben sie mit, greifen ortsunabhängig auf ihre Notizen zu, tauschen in Chat-Gruppen ihr Wissen aus. Auch Aufgaben werden im Netz erledigt.

Nicht die reine Lehre

In Österreich vertritt Direktor Manfred Wacker nicht die reine Lehre. Er will die technischen Helferlein nur dort verwenden, wo diese einen Mehrwert hätten: "Google Maps ist zwar super." Aber es sei auch wichtig, dass man einen Ort auf der realen Karte finden könne. Hier in Graz will man sich als "moderne Bildungsstadt" positionieren – dafür hat die Stadt nicht nur mehr als 2,5 Millionen Euro investiert, auch mit Unternehmen wie Microsoft wird eng zusammengearbeitet.

Ganze 1000 "Surface Devices" von Microsoft hat die Stadt Graz bereits gesponsert – alles Lehrer-Geräte. Für die technische Ausrüstung der Schülerinnen und Schüler sieht die Stadt den Bund zuständig. Und tatsächlich: Im türkis-grünen Regierungsprogramm haben sich die Koalitionäre vorgenommen, "digitale Endgeräte" für alle ab der fünften Schulstufe zur Verfügung zu stellen – mit "privatem Finanzierungsanteil".

Partner mit Interessen

Tablets für alle: Hier landet man schnell, wenn man in die Debatte über digitale Unterrichtsmethoden einsteigt. Dabei sind sich vom Ministerium abwärts eigentlich alle einig: Mit der technischen Ausrüstung alleine ist es noch lange nicht getan. In Österreich nähern sich die Schulen dem Thema in ganz unterschiedlichen Geschwindigkeiten. An einem Ende stehen Bildungseinrichtungen, wie jene in der Steiermark, die auf eigene Faust vorne wegzischen. Am anderen Ende finden sich jene, die noch nicht einmal ordentliche Leitungen haben (s. unten). Gleichzeitig scharren hierzulande Unternehmen wie Microsoft, Apple und Co in den Startlöchern, um das beste Kuchenstück am finanziell vielversprechenden Bildungsmarkt zu ergattern. Mangels bundeseinheitlichen Gesamtskonzepts haben sie dabei derzeit weitgehenden Gestaltungsfreiraum. Und der wird auch genutzt.

Die Firmen kommen zur Lehrerfortbildung an die Schulen, holen sich Feedback zu den eigenen Anwendungen und hoffen, "die Tools und Ressourcen von Microsoft zu verbessern". Gleichzeitig läuft ein ehrgeiziger Wettbewerb um den Schulbuchmarkt. Eine Entwicklung, die Erziehungswissenschafter Michael Schratz mit Skepsis beobachtet. Derzeit könnten Lehrkräfte die von ihnen verwendeten Lehrbücher frei auswählen, weiß der Gründungsdekan der Schook of Education an der Universität Innsbruck, und er fragt: "Wenn heute die Lehrbücher als der heimliche Lehrplan gelten, was bedeutet es dann, wenn Softwaregiganten hier den Fuß in der Tür haben?

"Flipped Classroom"

Gleichzeitig weiß Schratz um die positiven Effekte von digitalen Unterrichtsmethoden. "Flipped Classroom" nennt sich einer jener Ansätze, mit denen Lernen mehr als nur die Wiedergabe bereits vorproduzierten Wissens sein soll. Die Idee ist einfach: Schülerinnen und Schüler bekommen daheim, als Hausübung, neue Lehrinhalte mittels Video-Tutorial vermittelt. Mit diesem Vorwissen kommen sie in die Klasse – um hier, unterstützt von den Lehrkräften, über das Gesehene zu diskutieren oder Fragen zu stellen, die sich ergeben haben. Katja Edlinger, zuständig für das Lernangebot bei Microsoft Österreich, ist sowieso überzeugt: "Durch Technologie kann man den Unterricht spannender gestalten, die Kinder nehmen mehr davon mit." Etwa wenn sie mittels Virtual-Reality-Brille im Biologieunterricht regelrecht in den menschlichen Körper eintauchen.

Jenes Argument, das besonders gern für die Verwendung neuer Medien im Unterricht verwendet wird, ist die Personalisierung. Lehrkräfte bekommen Unmengen an Daten über jene, die in ihren Klassenzimmern sitzen. Ein Kind hat eine Leseschwäche? Microsoft hat eine Plug-in-Lösung, die nicht nur die Schriftgröße adaptiert, sondern auch Textpassagen vorliest. Ein Kind hat Deutsch nicht als Muttersprache? Die Software übersetzt in Echtzeit.

Wer jetzt Gänsehaut wegen möglicher Datenschutzprobleme bekommt, wird von Schulbehörden und IT-Unternehmen beruhigt. Aber auch Datenschützer Dietmar Jahnel vom Institut für Verfassungs- und Verwaltungsrecht der Universität Salzburg sieht keinen Grund für Alarmismus – sofern ein paar wichtige Basics eingehalten werden. Nämlich: Wichtig sei, dass die Speicherung der Daten auf einem Server in Europa oder den USA erfolgt. Und die Daten dürfen nur für den definierten Zweck, nicht aber für eine Weiterverwertung verwendet werden. Heißt übersetzt: Microsoft darf die Daten nicht einfach selbst auswerten. Auch wichtig: Microsoft habe eine Informationspflicht und müsse auf Anfrage auch Auskunft über die gesammelten Daten geben.

Gesperrte Seiten und Bedenken

In Österreich hat das Ministerium Rahmenverträge mit diversen Techkonzernen abgeschlossen. Für größtmögliche Datensicherheit wird festgehalten, dass "personenbezogene Daten (...) immer nur in der dafür vorgesehenen Fachanwendung zu speichern" sind, nicht in der Cloud. In Graz liegt das Computerhirn in der Stadt selbst, verwaltet von einer IT-Tochterfirma. Bestimmte Seiten sind für den Unterricht gesperrt – was Direktor Wacker kurzfristig vor das Problem stellte, wie er seinen Jugendlichen die Gefahren von Facebook erklären soll, ohne die Seite öffnen zu können.

Auch Datenschützer Hans Zeger hat mehr pädagogische als sicherheitstechnische Bedenken: "Wir übernehmen die Rolle des Konsumenten und verkaufen das dann als Teil eines Bildungsplans" – das reiche einfach nicht. Das sieht man auch im Ministerium so. Dort heißt es: Infrastruktur und Lehrerfortbildung sind relativ leicht ausbaubar. Was richtig viel Zeit und Hirnschmalz brauche, sind die pädagogischen Konzepte zur sinnvollen Verwendung von Technik im Unterricht. (Peter Mayr, Karin Riss, Selina Thaler, 3.2.2020)

Die Recherchereise zu Microsoft nach London erfolgte auf Einladung des IT-Konzerns.