Ein typischer Tag im Leben des Michael Wagner (44) verläuft absolut unspektakulär. Der Wecker läutet um sechs Uhr, das ist eindeutig zu früh, aber eine Notwendigkeit. Der vierjährige Sohn, ein Nachzügler, lechzt nach dem Kindergarten. Der große, 19-jährige, ist diesbezüglich aus dem Schneider, er hat maturiert, absolviert das Bundesheer. Die Wagners, Michael ist mit seiner Jugendliebe verheiratet, haben ein Haus in Seebarn bei Korneuburg, das ist ein beschauliches Nest mit 400 Einwohnern, der Bär steppt vermutlich woanders.

29.10.2003: Michael Wagner gegen Rapids Martin Hiden, die Austria gewinnt 2:0, Wagner netzt.
Foto: APA/Artinger

Der Unternehmer

Michael Wagner staut nach und durch Wien, er besitzt mit drei Partnern mehrere Firmen, sie sind in der SW Holding GmbH zusammengefasst. Personalmanagement, Reinigungsbranche, 24-Stunden-Pflege, Immobilien, Zimmervermietung, Kaffeehaus. "Wir haben alles selbst entwickelt." Das Büro liegt schräg vis-à-vis vom Austria-Stadion, der Generali-Arena. "Ich war vorbereitet auf die Zeit nach dem Fußball, hatte keinen Schock, mich hat immer die Privatwirtschaft interessiert. Meine Zukunft war nicht, Trainer zu sein und rausgehaut zu werden. Ich bin vom Naturell her ein Entwickler, mag keine Abhängigkeiten."

Die Anfänge

Wien-Donaustadt im Jahr 1980. Die Wagners haben eine Wohnung in der Rennbahnweg-Siedlung bezogen, ein überdimensionales Beispiel für den Sozialbau. Der Vater arbeitet in einem Elektroniklager, die Mutter halbtags im Baumarkt, mehr Arbeiterkind geht fast nicht. "Eine wunderschöne Kindheit, finanziell war sie nicht sehr toll. Wir hatten kein Auto, aber ich war behütet."

Der Michi ist fünf Jahre alt, er ist einer der letzten Vertreter der Käfiggeneration. Wobei der Käfig am Rennbahnweg ein Hof ist. Sie kicken bis nach der Dämmerung, der Beton hinterlässt Kratzer. Die Nachbarn schreien herunter, "schleichts eich" und "gusch jetzt". Das Wiener Herz kann besonders golden sein.

Violettes Blut

Die Familie ist sozusagen zweigeteilt, Michis Vater und Bruder sind der Austria zugetan, das Blut war quasi violett. Der Onkel wiederum vergötterte Rapid, also Grün und Weiß. Man mochte einander trotzdem. Die Austria veranstaltete beim Praterstadion einen Tag der offenen Tür, ungefähr 500 Buben verteilten sich auf fünf Plätze. Und mittendrin der kleine Michael. Als er einen Ball in die Kreuzecke fetzte, hat das zufällig Robert Sara gesehen. Er sprach den Knirps an, er solle doch zur Austria kommen.

Michael Wagner im Jahr 2020: Er ist fit wie ein Fußballschuh.
Foto: Privat

Nach harten Verhandlungen mit den Eltern durfte er, sie gaben w. o. "Sara war mein Entdecker." Damals gab es weder Akademien noch Internate. "Es war Schule gegen Fußball oder Fußball gegen Schule." Im Fall von Wagner gewann der Fußball.

"Ich war ein Kilometerfresser"

1994 schaffte er es in den Profikader der Austria. Ein Filigrantechniker, kein Riese, Kampfgewicht 72 Kilogramm, ein klassischer Zehner, ein Organisator, der auch als Achter oder Sechser reüssierte. Einer, der den Ball streichelte. "Ich war in Wahrheit nicht der Launische. Ich war ehrgeizig, ein harter Arbeiter, bei den Leistungstests immer ganz vorne dabei. Es hat nur leicht ausgeschaut. Ich stopfte Löcher, war ein Kilometerfresser."

Wagner hat einen Leitsatz: "Wer aufhört, besser zu werden, hört auf, gut zu sein." 1996 wechselte er nach Freiburg in die deutsche Bundesliga. Trainer Volker Finke wollte Wagner nach dem Abstieg halten, um ihn herum eine neue Mannschaft aufbauen. Aber der Michi aus Wien hatte einen Traum, ein Ziel. "Ich wollte unbedingt ins Nationalteam. Das schien mir von der Zweiten Liga aus unmöglich."

Plötzlich klopfte Rapid an

Auch Stuttgart bekundete Interesse, Franz Wohlfahrt hütete das Tor, vorne zauberte das magische Dreieck Bobic-Balakov-Elber. "Da hätte ich keine Einsätze gehabt." Egon Coordes, Chefscout bei Bayern München, war einer Verpflichtung nicht abgeneigt. "Als Perspektivspieler für die Amateure. Ich wollte aber ins Nationalteam."

Und dann geschah völlig Unerwartetes. Rapid meldete sich, Ernst Dokupil war hartnäckig. "Sie haben sich extrem bemüht." Wagner unterschrieb einen Dreijahresvertrag, mit der Austria-Vergangenheit hatte er kein Problem. "Ich sah die Rivalität immer positiv und lustig. 99 Prozent der Leute denken so. Das eine Prozent steht dann leider in der Zeitung. Fußball ist Sport und Spaß, nicht Hass und Krieg."

Zurück zur Austria

Er fühlte sich ganz wohl in Hütteldorf, wurde Vizemeister. Drüben in Favoriten begab sich derweil Wundersames. Frank Stronach betrat die Bühne, investierte groß in die Austria. Er fragte Friedl Koncilia, den damaligen Sportdirektor, welchen Spieler er denn haben möchte. Koncilia: "Der Michi Wagner wäre genial."

Cupsieg 2003: Wer erkennt sie noch alle? Posten, sich beweisen!

Warum Koncilia nicht Zinedine Zidane gesagt hat, bleibt ein Rätsel. Wagner erfuhr übrigens aus der Zeitung, dass er ab 1998 wieder Austrianer sein sollte. "Stronach hat mich angerufen, ich dachte, es ist der Callboy." Die Bilder mit dem Scheck über zehn Millionen Schilling sind österreichische Fußballgeschichte. Wagner hat Austrias Aufstieg und Fall hautnah miterlebt. 2003 wurde er als Kapitän Meister und Cupsieger. "Es wurden viele Fehler gemacht. Licht zieht eben Motten an."

Enormer Verschleiß

Bereits 2002 wurde Wagner in der von Mäßigkeit geprägten Ära des Hans Krankl endlich Teamspieler, er kam auf zehn Einsätze. Wie der Krankl so war? "Ein Unikat." Die Karriere klang bei der Admira (2005) und in Schwadorf aus. Wagner diente in 17 Profijahren unter 27 Trainern (u. a. Daum, Hrubesch, Löw, Schachner, Prohaska, Hickersberger, Constantini). "Bei der Austria waren es manchmal zweieinhalb pro Saison. Absurd."

Seit elf Jahren trainiert er ehrenamtlich TSU NeuMed Obergänserndorf, einen familiär geführten Verein aus der zweiten Landesliga Ost. Wagner hat bis 2019 selbst mitgekickt, dann war die Partie gegen Vösendorf, er überknöchelte. "Ich wusste nicht, wie viele Bänder reißen können."

Ob er mit dem Erreichten zufrieden ist? "Natürlich wäre mehr möglich gewesen. Aber das Perfekte schaffst du nicht. Ich bin ein demütiger Mensch, kein Raunzer, hatte großes Glück. Es wäre auch viel weniger gegangen."

Um sechs Uhr läutet der Wecker. "Und das ist gut so." (Christian Hackl, 3.2.2020)