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Johnson kann das Schlimmste vielleicht noch abwenden. Erfolg wird der Brexit aber keiner mehr.

Foto: REUTERS/Toby Melville

Die Scheidung ist vollzogen, die Jubel- und Trauernacht vorbei, und schon ertönen auch auf dem Kontinent ernsthafte Stimmen, die den Briten zu diesem Schritt gratulieren. Befreit von den Fesseln der EU-Regeln, so tönt es, könnte das Vereinigte Königreich an Wettbewerbsfähigkeit gewinnen und einen wirtschaftlichen Aufschwung erleben.

Tatsächlich? Abgesehen von der Frage, wie vereint das Königreich in ein paar Jahren noch sein wird, ist die Vorstellung realitätsfern, dass eine Industrienation im 21. Jahrhundert durch Alleingänge besser für das Wohl seiner Bürgerinnen und Bürger sorgen kann als im Verbund mit anderen Staaten. Keine der großen Herausforderungen unserer Zeit – vom Terrorismus über Migrationsbewegungen bis hin zum Klimawandel – lässt sich auf nationaler Ebene lösen. Viren machen an den Grenzen ebenso wenig halt wie Daten.

Trump schwächt die Wirtschaft täglich

Und wenn der britische Premier Boris Johnson nun in seinen Verhandlungen mit der EU mit der Einführung von Zöllen droht, dann verfällt er dem gleichen ökonomischen Irrglauben wie sein Freund Donald Trump: Die industriellen Lieferketten sind heute international so eng miteinander verflochten, dass jede Handelsschranke zwar einen kleinen Sektor vor Wettbewerb schützt, in zahlreichen anderen Branchen aber für höhere Kosten und letztlich für Jobverluste sorgt. Mit seiner "America first"-Handelspolitik schwächt Trump Tag für Tag die Wirtschaft seines Landes. Und dass er den Briten einen so großzügigen Zugang zum US-Markt öffnet, dass dies den EU-Binnenmarkt ersetzen kann, ist doch nicht sehr wahrscheinlich.

Natürlich kann Johnson den britischen Umwelt- und Arbeitnehmerschutz lockern und die Steuern senken, um so neue Investitionen anzuziehen. Aber all das hat einen Preis, den britische Arbeiter und die britische Natur zu spüren bekommen. Mit einer Schuldenquote von rund 85 Prozent ist der fiskale Spielraum in London außerdem höchst beschränkt. Nur Kleinstaaten eignen sich als Steueroasen. Wenn große Länder Steuerwettbewerb betreiben, zahlen sie die Zeche dafür selbst.

Der Schaden ist schleichend

Nationale Souveränität ist in der heutigen Welt kaum das Papier wert, auf dem die patriotischen Reden der Politiker gedruckt werden. Wenn Bundeskanzler Sebastian Kurz nun in Brüssel wie ein Löwe darum kämpft, dass nicht zusätzliche 0,11 Prozent des österreichischen Bruttoinlandsprodukts ins EU-Budget fließen, dann sei ihm gesagt: Die rund 450 Millionen Euro, die er sich sparen will, wären in gesamteuropäischen Projekten – von der Forschung bis zum Außengrenzschutz – besser angelegt als in inländischen Förderungen.

Das bedeutet nicht, dass der britischen Wirtschaft nach dem Brexit eine Katastrophe droht. Das wäre nur dann der Fall, wenn Johnson mit einer verpatzten Verhandlungstaktik beim Auslaufen des Übergangsabkommens zu Jahresende die Abkoppelung vom EU-Markt riskiert. Auch die Amerikaner spüren die Folgen der Trump’schen Bocksprünge nur vereinzelt. Der Schaden ist schleichend und nicht stark genug, um den Glauben an den Wert der nationalen Selbstbestimmung zu entkräften, an dem weite Teile der Bevölkerung, auch in der Wirtschaft und den Medien, ungebrochen festhalten.

Mit etwas Geschick kann Johnson für sein Land das Schlimmste abwenden. Aber den Brexit zum Erfolg zu machen, das würde auch ein politischer Zauberer nicht schaffen. (Eric Frey, 3.2.2020)