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Berlin/Brüssel/Wien – Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) ist wieder da. Und zum neuerlichen Amtsantritt gibt es am heutigen Montag einen Antrittsbesuch, der bis Dienstag andauert und nach Deutschland führt. Kurz trifft in Berlin Amtskollegin Angela Merkel sowie am Dienstag die Chefin der Regierungspartei CDU, Annegret Kramp-Karrenbauer. Außerdem ist eine Unterhaltung mit dem deutschen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier geplant. Am Montagabend werden im Axel-Springer-Haus auch Medien- und Politiker-Kontakte gepflegt. Erneut, könnte man sagen – denn ein Kontakt am Wochenende mit dem Springer-Blatt "die Welt" sorgt bereits jetzt für Debatten in Deutschland. Kurz lehnte in einem Interview mit der Zeitung die vom deutschen Finanzminister Olaf Scholz geplante Finanztransaktionssteuer ab.

Hauptthema des Gesprächs mit Merkel werden allerdings EU-Themen sein, allen voran der neue mehrjährige Finanzrahmen. Außerdem wird es um "Bilaterales" gehen. Dahinter verbirgt sich vor allem die Transitfrage. Kurz reist erstmals als Chef der türkis-grünen Bundesregierung nach Berlin. Die Bildung des neuen österreichischen Kabinetts wurde in Berlin mit großem Interesse verfolgt, könnte es doch in Deutschland nach der Bundestagswahl 2021 zu einer schwarz-grünen Regierung kommen. Auch der Kanzler selbst hat von "einer gewissen Vorbildfunktion" von Türkis-Grün für das Nachbarland gesprochen.

Freude bei Union, Skepsis bei Grünen

Aus Kreisen der konservativen Unionspartei wurden dem ÖVP-Vorsitzenden im Vorfeld Rosen gestreut. So äußerte CDU-Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (77) "großen Respekt" für die Politik des um 43 Jahre jüngeren Kurz. Schäuble würdigte jüngst in einem Podcast-Interview für das "Morning Briefing" des renommierten deutschen Publizisten Gabor Steingart, "was Sebastian Kurz in Österreich mit der ÖVP in den letzten Jahren zustande gebracht hat". Er habe sogar "mehr Respekt, als ich zum Teil in der deutschen öffentlichen Meinung so wiederfinde", sagte der langjährige frühere Finanzminister Deutschlands.

Die deutschen Grünen betrachten das türkis-grüne Projekt laut deutschen Medienberichten indes mit Skepsis. Anlässlich der Regierungsbildung in Österreich waren sie auf Distanz zu ihren österreichischen Kollegen gegangen. Parteichefin Annalena Baerbock sagte zu Jahresbeginn in einer Anfrage der linksausgerichteten deutschen Tageszeitung "Taz" im Hinblick auf den türkis-grünen Koalitionsvertrag: "So etwas wird es in Deutschland nicht geben." Die Koalitionsverhandlungen seien nicht einfach gewesen, zeigte Baerbock allerdings Verständnis. Da sollten die Deutschen nicht diejenigen sein, die "schlaue Tipps von der Seitenlinie" geben.

Doch auch andere deutsche Grüne sahen die Zugeständnisse, die die österreichischen Grünen gemacht haben, skeptisch. Die grüne Bundestagsabgeordnete Luise Amtsberg betonte laut "Taz": "Dieser Vertrag ist keine Blaupause für Deutschland." Und Erik Marquardt, Flüchtlingsexperte der deutschen Grünen im Europaparlament, sprach gar von einem "Armutszeugnis". Verwunderung gab es vor allem über den von ÖVP und den Grünen vereinbarten koalitionsfreien Raum im Falle einer neuerlichen Flüchtlingskrise.

Seehofer, Altmaier und Springer

Bei einem Abendessen am Montagabend im Axel-Springer-Haus sind anlässlich des Kurz-Besuchs in Berlin laut dem Wiener Bundeskanzleramt rund 30 Gäste geladen, darunter die deutschen CDU/CSU-Bundesminister Horst Seehofer (Inneres), Peter Altmaier (Wirtschaft), Andreas Scheuer (Verkehr), der sozialdemokratische Generalsekretär Lars Klingbeil (SPD), die grüne EU-Abgeordnete Sarah Wiener sowie namhafte deutsche Medienvertreter. So werden die Chefredakteure der Boulevardzeitung "Bild" (Julian Reichelt), der konservativen "Welt am Sonntag" (Johannes Boie) und des Nachrichtenmagazins "Spiegel" (Steffen Klusmann) dabei sein. Draußen bleiben müssen indes die mitreisenden österreichischen Journalisten. Der Termin gilt als "nicht medienöffentlich".

"Alles tun", um Pläne der SPD zu verhindern

Sehr wohl öffentlich war hingegen ein Interview Kurz' mit der "Welt" im Vorfeld des Besuches. Er bekräftigte seine Ablehnung des derzeit vorliegenden Plans für eine Finanztransaktionssteuer. "Ich bin sicher, dass sich die deutsch-französischen Vorschläge zur Finanztransaktionssteuer, die auch von Herrn (Finanzminister Olaf, Anm.) Scholz vertreten werden, so nicht durchsetzen. Wir werden jedenfalls alles tun, um das zu verhindern", sagte Kurz der Zeitung "Welt" (Montagausgabe) laut Vorausbericht.

Eine Gruppe von sogenannten Nettozahler-Staaten, darunter nach Kurz' Vorstellungen auch Österreich, will den Beitrag, den die EU-Länder zum Gemeinschaftshaushalt leisten, bei einem Prozent ihrer jeweiligen Wirtschaftsleistung belassen. Die EU-Kommission schlägt 1,114 Prozent vor, das EU-Parlament fordert sogar 1,3 Prozent. Ein Kompromissvorschlag der finnischen EU-Ratspräsidentschaft von 1,07 Prozent wurde abgelehnt. Der aktuelle EU-Ratsvorsitz Kroatiens will während seiner Amtszeit zu einer Einigung kommen, die Verhandlungen leitet aber EU-Ratspräsident Charles Michel. Dieser hat für den 20. Februar einen Sondergipfel zum Thema Budget einberufen und sieht die Zeit reif für eine Einigung. (red, APA, 3.2.2020)