Die chinesischen Behörden gaben am Montag den bislang stärksten Anstieg von Infektionen und Todesfällen innerhalb eines Tages bekannt: Mit insgesamt 17.302 bestätigten Fällen waren es 2.926 mehr als noch am Tag zuvor. Mehr als 20.000 Patienten stehen im Verdacht, sich mit 2019-nCov angesteckt zu haben. Die Zahl der Todesfälle stieg in China auf 361. Weltweit sind 183 Erkrankungen in zwei Dutzend anderen Ländern bestätigt.

Inzwischen erwarten die Behörden den Höhepunkt der Krankheit später als ursprünglich angenommen. "Wir gehen davon aus, dass der Höhepunkt der Epidemie in zehn Tagen bis zwei Wochen eintreten wird", sagte der Chef des nationalen Virusexpertenteams, Zhong Nanshan. Er korrigierte damit seine Vorhersage von vor einer Woche, als er den Höhepunkt für Ende dieser Woche vorhergesagt hatte.

Die WHO hat zwar den internationalen Notstand ausgerufen, das neuartige Virus ist allerdings deutlich weniger gefährlich als ähnliche Viren wie Sars oder Mers. Europäer müssen sich nicht fürchten, sagen Experten. Ein Erklärvideo.
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Die entscheidende, noch unbeantwortete Frage der sich in China weiterhin exponentiell ausbreitenden Epidemie ist derzeit, wie leicht sich Menschen nach engem Kontakt mit Infizierten anstecken können. "Leider haben wir bisher noch keine Details zu der genauen Übertragungskinetik, das heißt der Viruslast, die für eine Ansteckung nötig ist. Es kann sein, dass es eine ganze Reihe von Menschen gibt, die symptomlos bleiben, die aber trotzdem potenzielle Überträger des Virus sein könnten", sagt Bernd Salzberger, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie.

Fehlender Test

Die Abteilung für Infektiologie und Tropenmedizin der München-Klinik Schwabing versucht derzeit in Kooperation mit dem Labor der Charité Berlin und dem Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr die Zellkultur von 2019-nCoV zu etablieren und das Erbgut der Erreger zu sequenzieren, um deren Evolution besser zu verstehen. Eine wichtige Frage ist, ob das Virus, an dem Menschen außerhalb Chinas erkrankten, bereits eine mutierte Variante darstellt.

Das neue Coronavirus wird über Tröpfcheninfektion – etwa durch Husten, Niesen oder beim Sprechen – übertragen. Mundschutzmasken helfen dagegen nur wenig.
Foto: APA/HANS KLAUS TECHT

Über die Prävalenz, also die Häufigkeit einer Krankheit oder eines Symptoms in einer Bevölkerungsgruppe zu einem bestimmten Zeitpunkt, kann derzeit noch nichts gesagt werden. Zur genauen Bestimmung dieser wichtigen Kenngröße ist ein serologischer Test erforderlich, der Antikörper gegen das Virus auch nach überstandener Infektion noch nachweisen kann. Ein solcher Test ist bislang noch nicht verfügbar, wird aber derzeit entwickelt. Die sogenannte RT-PCR-Diagnostik kann nur akute Infektionen nachweisen, bei denen das Erbgut des Virus direkt aufgespürt wird.

Wissenschafter gehen aktuell davon aus, dass eine Übertragung von Mensch zu Mensch einen engen oder längeren Kontakt erfordert. Als enger Kontakt gilt, dass man sich mindestens 15 Minuten lang im Umkreis von zwei Metern um einen Infizierten aufgehalten haben muss. "Dies erscheint eine vernünftige Definition und ähnelt der, die seit einigen Jahren zur Definition enger Kontakte zum Beispiel bei Windpocken verwendet wird", sagt der britische Mediziner Paul Hunter von der University of East Anglia in Norwich.

Unterschiedliche Schätzungen

Um das Ansteckungsrisiko seriös abschätzen zu können, sind außerdem verlässliche klinische Berichte über den Verlauf der Infektion bei angesteckten Kontaktpersonen nötig. "Dazu gibt es noch keine wissenschaftlichen Informationen, sondern nur klinische Befunde von Patienten, die bereits eine Lungenentzündung entwickelt hatten", erklärt Clemens Wendtner, Chefarzt für Infektiologie und Tropenmedizin an der München-Klinik Schwabing.

Bisherige Studien schließen eine Übertragung durch Infizierte, die nur sehr milde oder keine Krankheitssymptome zeigen, nicht aus. Eine solche Infektion dürfte aber nicht der hauptsächliche Verbreitungsweg sein. Was als sicher gilt: Der Krankheitserreger wird über Tröpfcheninfektion – etwa durch Husten, Niesen oder beim Sprechen – übertragen. Eine reine Übertragung über die Luft konnte bislang noch nicht nachgewiesen werden, ebenso ist unklar, ob eine Übertragung über Fäkalien, Urin oder Blut möglich ist.

Die geschätzten Werte für die Übertragungsrate gehen derzeit noch stark auseinander. Die chinesischen Behörden geben eine Basisreproduktionszahl R0 – also die Anzahl der Menschen, die ein Infizierter im Schnitt ansteckt – zwischen 1,5 und 3,5 an. Damit wäre das neue Coronavirus ähnlich ansteckend wie Sars, aber niedriger als Mers. Andere Studien gehen von höheren Werten zwischen 3,6 und 4,0 beziehungsweise zwischen 3,3 und 5,5 aus. Damit wäre die Ansteckungsrate höher als bei Sars und Mers.

Wann Virus verschwinden wird

Ist die Basisreproduktionszahl größer als eins, kann sich das Virus weiter von Mensch zu Mensch ausbreiten. In diesem Fall ist es nötig, die Reproduktionszahl durch Kontrollmaßnahmen zu senken. Dazu gehören etwa die rasche Erkennung von infizierten Personen, deren Isolation und das Auffinden der Kontakte einer Person. Nur wenn die Reproduktionszahl unter eins fällt, kann sich das Virus nicht mehr weiter ausbreiten und wird langsam verschwinden. (gueb, 3.2.2020)