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Premier Boris Johnson schlug freundliche, aber harte Töne an.

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Ähnliches hatte zuvor, mit umgekehrten Zielen, schon EU-Chefverhandler Michel Barnier getan.

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London – Drei Tage nach dem Brexit sollte alles ganz schnell gehen. Und dabei ging es auch um Stunden – und darum, der Erste zu sein. EU-Chefverhandler Michel Barnier verlegte am Vormittag hastig eine eigentlich für den Nachmittag geplante Rede vor, als ruchbar wurde, dass der britische Premier Boris Johnson sich kurz nach Mittag zu den Plänen für die Verhandlungen um einen Handelsdeal äußern würde. Wie berichtet, war davon ausgegangen worden, dass Johnson dabei versuchen würde, die EU unter Druck zu setzen. Dem kam Barnier mit dem Angebot für einen "sehr ehrgeizigen Handelsdeal" an die Briten zuvor – stellte dabei aber freilich eigene Bedingungen. Diese, machte Johnson kurz darauf in seiner Rede klar, werde London nicht erfüllen.

Konkret geht es dabei um die Frage, ob sich die Briten auch nach einem Brexit weiter an die Vorgaben der EU bei Arbeitnehmerinnenschutz, Umweltgesetzgebung und der Frage staatlicher Hilfen für Unternehmen halten werden. Brüssel befürchtet andernfalls Dumping durch die Briten in diesen Bereichen. Johnson stellte das am Montag energisch in Abrede – die Briten würden Derartiges nicht planen. Eine Einhaltung der EU-Vorgaben wolle er trotzdem sicher nicht garantieren – immerhin, so Johnsons Argument, habe man sich nicht mühsam von der EU gelöst, nur um weiterhin deren Regeln zu befolgen. "Wir werden hohe Standards einhalten, auch ohne uns dazu zu verpflichten", sagte er.

Loblied auf den Freihandel, Drohung mit Zöllen

Gleichwohl sang der britische Premier in seiner Rede enthusiastisch ein Loblied auf den Freihandel – wohl auch, um Vorwürfen zu begegnen, er strebe insgeheim eine No-Deal-Lösung mit der EU an, die neue Zollschranken und Kontrollstellen zwischen der Insel und dem Kontinent nötig machen würde. Die Welt sei sogar "auf Großbritannien angewiesen", wenn es um den Kampf für den freien Handel gehe, so der Konservative. Dass es solche Barrieren ab Ablauf der Übergangsfrist mit 1. Jänner 2021 auch wirklich nicht geben werde, wollte Johnson dennoch nicht versprechen. Zwar wolle Großbritannien mit der EU ein Freihandelsabkommen nach Vorbild des EU-Deals mit Kanada (Ceta) erreichen. Wenn nicht, werde man sich aber auch mit einer Lösung, "wie sie Australien hat", begnügen. Das klingt ausgefeilt, verschweigt aber: Mit Australien handelt die EU weitgehend nach den Regeln der WTO, also jenen Mindeststandards, auf die man in Ermangelung eines Deals 2021 ohnehin zurückfallen würde.

Genau das, "Zölle und Einfuhrquoten auf alle Waren, die aus Großbritannien in den Binnenmarkt kommen", wolle die EU vermeiden, hatte kurz zuvor Barnier gesagt. Für solch ein Abkommen gebe es aber eben zwei Bedingungen. Darunter falle einerseits die Einhaltung der Standards durch die Briten, andererseits eine Einigung im Bereich der Fischerei. In diesem Feld, das im Brexit-Wahlkampf 2016 noch prominentes Thema war, gab Johnson den Willen zu einer Einigung zu verstehen. Ob es sich dabei aber um den von der EU geforderten vollständigen Zugang aller EU-Mitglieder zu britischen Gewässern handeln wird, ist freilich offen. Er schlug am Montag jährliche Verhandlungsrunden zu Fangquoten vor.

Eine neue Welt

Barnier hatte in seiner Ansprache Unternehmen gewarnt. Auch wenn es eine Einigung auf einen guten Deal mit den Briten geben werde: Jene Idealzustände, wie sie während der EU-Mitgliedschaft der Briten geherrscht hätten, werde es künftig nicht mehr geben. Firmen sollten sich auf die sehr wahrscheinliche Möglichkeit einstellen, dass es künftig wesentlich umfangreichere Kontrollen beim Handel zwischen der Union und der EU geben werde. Zwei getrennte Märkte würden neue Regeln für Herkunftsbezeichnungen ebenso wie für Zollformalitäten notwendig machen.

Bleibt – abseits des Handels – noch die Frage nach den künftigen Beziehungen in der Sicherheits- und Außenpolitik. Und da bemühte sich Johnson um freundliche Worte. "Wir sind keine europäische Macht nach Vertrag mehr, aber nach der Geschichte", sagte er. Man werde immer mit der EU kooperieren, wenn es um Fragen der Außen- und der Sicherheitspolitk gehe, das sei sowohl im staatlichen wie auch im ideellen Interesse der Briten. Ebenso aber sei es im Interesse seines Landes, "die volle Souveränität" wiederherzustellen.

Viel zu wenig Zeit

Formell starten sollen die vermutlich harten Verhandlungen um die künftigen Beziehungen im März. Bis Ende Juni muss Premier Johnson bekanntgeben, ob er eine Verlängerung der Übergangsfrist – in der in Großbritannien de facto die EU-Regeln weiter gelten – für ein oder zwei weitere Jahre wünscht. Das hat Johnson bisher immer ausgeschlossen. Tut er das nicht, bleibt Zeit bis Ende des Jahres, um einen Deal abzuschließen und anschließend zu ratifizieren.

Damit das funktioniert, müssten die Gespräche wohl in etwa im Oktober abgeschlossen sein. Experten halten das für ambitioniert bis unmöglich. Scheitert das Vorhaben, fallen die EU und Großbritannien mit 1. Jänner 2021 weitgehend auf die Regeln der WTO zurück – was Zölle und Kontrollen bedeuten würde. (Manuel Escher, 3.2.2020)