Der Blick auf die eigene Psyche war schonungslos: Patricia Highsmith (1921-1995) ging auch als Zeichnerin mit sich und der Welt scharf ins Gericht.

Foto: Diogenes/Schweizerisches Literaturarchiv Bern

Hinweise auf eine besondere Vorliebe für unsere Alpenrepublik wird man im Werk der großen Prosakünstlerin Patricia Highsmith nur spärlich finden. Im rätselhaften späten Roman "Elsies Lebenslust" (1986) taucht, inmitten der pulsierenden Kunstwelt von New York, ein vierschrötiger junger Maler namens Sylvester auf.

Dessen Schöpfungen bilden die Attraktion einer hippen, neuen Galerie namens "Katz". Für die Katz scheinen seine Ölschinken tatsächlich: Sie wirken, wie Highsmith mit dem ihr eigenen stoischen Zynismus schreibt, "wie von Hundertwasser beeinflusst". Allenfalls Sylvesters Themen seien interessanter. Die österreichische Kunst, so viel wird deutlich, weist aus dem Labyrinth des Lebens wohl keinen befriedigenden Ausweg.

Highsmith (1921–1995) hat man nicht so sehr ihrer Themen wegen gefeiert. Die introvertierte Texanerin pflegte von früh an das Image der notorischen Einzelgängerin. Ihre 22 Romane und zahllosen Short Stories gehorchen auf geradezu ehrfurchtgebietende Weise den Gesetzen des "Suspense". Und sind doch glattpolierte, gegenüber zudringlichen Blicken völlig opake Kunstwerke.

Gläser und Kinder

Man blickt durch die Augen sanfter Psychopathen auf die US-Moderne. Auf die Reihenhäuser, die adretten Hausfrauen, die von ihnen weggeschobenen Kleinkinder, auf die Whiskeygläser mit den unvermeidlich klackernden Eiswürfeln. Ganz allmählich verrutscht unter den kühlen Blicken solcher Außenseiter das Gefüge der Gesellschaft.

Deren stramme, angelsächsische Borniertheit schreit zum Himmel, aber eher lautlos, wie in einem Bild von Munch. Man hat häufig genug versucht, Highsmiths eigene, widersprüchliche, von Ticks und Schrullen dominierte Persönlichkeit für die mörderische Eleganz ihrer Täterfiguren verantwortlich zu machen. "Pat", das attraktive Kind einer Buchillustratorin und eines verhassten Stiefvaters, kultivierte früh den Status der lebenslangen, notabene lesbischen Außenseiterin.

Highsmith war Handwerkerin. Einen Ausgleich verschaffte ihr in ihren Domizilen in Frankreich oder, zuletzt, im Schweizer Tessin der Umgang mit Schnecken und Katzen. Und mit ihren Verbrechern, deren vermeintlich klare Umrisse sie, die filterlose Gauloise im Mundwinkel, in ihre "Olympia" hämmerte.

Nachgeburten eines Schocks

Alles erscheint völlig kausal in Highsmith-Büchern. Folgerichtig abgeleitet und auf darstellerisch glänzendem Niveau reflektiert. Ehe der gutmütige Familienvater Vic van Allen (in dem Roman "Tiefe Wasser", 1963) die Liebhaber seiner nymphomanischen Ehefrau nacheinander abmurkst, mit freilich befremdlicher Kälte, ergötzt er sich am Liebesspiel der Zuchtschnecken. Ihrem Tummelplatz, von ihm eingerichtet in der eigenen Garage, gilt sein klinisch kühles Interesse. Wird die eine Schnecke, nur um zu ihrem Partner zu gelangen, den schmalen Grat des Rasiermesserblattes überwinden?

Highsmiths Irre und Verbrecher sind Nachgeburten eines metaphysischen Schocks. Sie finden sich zu absoluter Diesseitigkeit verurteilt, zum Horror reiner Immanenz. Insofern haben sie auch keine Gewissensfragen mehr zu beantworten.

Sie trachten danach, die gottlose Welt in einem völlig prekären Gleichgewicht zu erhalten. Vor Mord? Braucht man nicht zurückzuschrecken. Er kann ein zuträgliches Mittel sein, um die Welt vor dem nächsten ästhetischen Kollaps zu beschützen.

Vor dem restlosen Triumph der Inhumanität wird Highsmith dennoch bewahrt: von ihrem feinen Gespür für das Außenseitertum. In diesem Licht wird man auch der "Karriere" ihrer berühmtesten Romanfigur, dem kunstsinnigen, "talentierten Mr. Ripley", viel abgewinnen können. Dessen fünf Romane liegen, wie alle übrigen Bücher der Highsmith, in der wunderbaren Diogenes-Ausgabe auf Deutsch vor. Heute vor 25 Jahren starb die kühle Hexenmeisterin. (Ronald Pohl, 4.2.2020)