Wenn Patrick Mahomes zum Wurf ausholt, hält die Footballwelt ihren Atem an.

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Miami – Mindestens 15 Yards brauchten die Kansas City Chiefs. Spielstand 10:20, sieben Minuten vor Schluss, ausgefeilte Rechenmodelle gaben ihnen eine Siegeschance von unter fünf Prozent. Es war der dritte Versuch, vier hat man im Football, um sich ein First Down zu erarbeiten und vier frische Versuche für die nächsten zehn Yards zu bekommen. Für die San Francisco 49ers hieß das auf der anderen Seite: zweimal noch den Gegner stoppen und dann am Sekt nippen.

15 Yards also. Angesichts der Chiefs-Performance davor fühlte sich das in etwa so hoffnungslos an, als müsste man in einem überbeladenen Zweisitzer ohne Schneeketten auf den vereisten Großglockner fahren. Offroad. Star-Quarterback Patrick Mahomes hatte bis dahin überfordert gewirkt und zwei Bälle zum Gegner geworfen. Nun kam der wichtigste Spielzug seiner bisherigen Karriere. Mahomes nahm den Ball, machte ungewöhnlich viele Schritte zurück, das First Down war jetzt schon fast 30 Yards entfernt, und dann warf er.

Etwa 18 Minuten Netto-Sport stecken in einer etwa dreieinhalbstündigen Football-Übertragung, der Rest ist Werbung, Wiederholungen und Wiederholungen von Werbungen. Das klingt an der Oberfläche erst einmal schrecklich und, zugegeben, ist für viele Sportfans auch unerträglich. Und doch gibt es auch in Österreich viele, die den Sport lieben. Weil jede der 1080 Sekunden Netto-Action so bedeutsam sein kann.

3&15.

Mahomes warf, und der Ball hing in der Luft. Das ist der Moment, wo Super-Bowl-Partys kollektiv einatmen. Der Pass geht viel weiter als bis zum First Down. Aufgerissene Augen sehen, wie Tyreek Hill ins Bild kommt. Der Wide Receiver ist frei, man weiß sofort: Wenn es der Ball bis zu ihm schafft, fängt er ihn. Sekundenbruchteile. Man hört die ersten Schreie, je nach Teamzugehörigkeit mehr oder weniger jugendfrei. Und dann fängt Hill das Eierlaberl, vor den Fernsehern wird geklatscht, aufgesprungen, auf die Couchlehne geschlagen, und plötzlich fühlt sich das Spiel wieder ganz offen an. Football eben.

Die Aufholjagd

Was folgte, ist Footballgeschichte. Kansas City gelangen drei Touchdowns binnen fünf Minuten, aus einem 10:20 wurde ein 31:20. Den 49ers gelang offensiv nichts mehr, Quarterback Jimmy Garoppolo misslang bei 20:24 ein entscheidender Wurf. Emmanuel Sanders wäre kurz vor der Endzone völlig frei gewesen, das war wieder so ein Moment des Einatmens. Auch US-Präsident Donald Trump griff nach dem Spiel daneben, er gratulierte via Twitter zuerst dem falschen Bundesstaat. Das Kansas City der Chiefs liegt in Missouri, nicht in Kansas.

Das Original kam noch ohne Pirouetten aus, die Single-Wing-Formation mitsamt Direct Snap zum Running Back war aber vorbildlich.

Auch abseits der Aufholjagd hatte das Endspiel viel von den Dingen, die American Football ausmachen. Chiefs-Assistenztrainer Eric Bienemy griff zu einem kuriosen Trickspielzug, vor dem vier Spieler ihre Positionen mit Pirouetten änderten. Abgeschaut hatte er sich das Manöver vom College-Team Michigan Wolverines. Die hatten es bei der Rose Bowl 1948 so gemacht.

Alle lieben Andy.

Auf der anderen Seite kostete 49ers-Cheftrainer Kyle Shanahan seinem Team mit übervorsichtigen Entscheidungen Punkte. Und ob der Ball beim vorentscheidenden Touchdown von Damien Williams wirklich die Linie überquert hatte, ließ sich auch mit fünf verschiedenen Superzeitlupen nicht wirklich sagen. Sport eben. Wer Super Bowl sagt, muss auch Halftime-Show sagen. Alsdann: Shakira und Jennifer Lopez lieferten Party ohne Durchschnaufen, Hüftschwünge und ein bisschen Protest gegen Trumps Politik des Kinder-in-Käfige-Sperrens.

Nach dem Spiel stand Andy Reid im Zentrum. Der in der ganzen Liga beliebte 61-Jährige sagte nach seinem ersehnten ersten Super-Bowl-Sieg als Headcoach: "Ich werde den größten Cheeseburger essen, den ihr je gesehen habt. Vielleicht sogar einen doppelten." Mahomes sagte: "Er arbeitet so viel ... ich weiß nicht, ob er schläft." Zum MVP wurde der Quarterback selbst gewählt, auch wenn Runningback Williams oder der überragende Defensive Lineman Chris Jones die Lorbeeren mindestens genauso verdient hatten. Aber das war allen egal. (Martin Schauhuber, 3.2.2020)