Im Gastkommentar erläutert der Historiker Oliver Rathkolb, warum der Bericht selbst aus zeithistorischer Sicht enttäuschend ist. Rathkolb fordert: FPÖ und Korporationen könnten als Beitrag zur kritischen Geschichtsschreibung Archive öffnen.

Historikerkommissionen haben in Österreich Tradition. Immer wenn es heikle geschichtspolitische Debatten gibt, rufen Politiker nach historischen Experten und Expertinnen, die ein umstrittenes Thema, das meist sehr emotional aufgeladen ist und auch zu internationaler Kritik und Verwunderung führt, versachlichen und möglichst schubladisieren sollen.

Schon 1971 realisierte der damalige SPÖ-Bundeskanzler Bruno Kreisky eine alte Lieblingsidee aus den späten 1950er-Jahren, um die Geschichte der umkämpften Ersten Republik zu versachlichen, und gründete mit dem ÖVP-Nationalratspräsidenten Alfred Maleta 1971 die "Wissenschaftliche Kommission des Theodor-Körner-Stiftungsfonds und des Leopold-Kunschak-Preises zur Erforschung der österreichischen Geschichte der Jahre 1927 bis 1938".

Causa Waldheim

Tiefe Spuren in der internationalen Öffentlichkeit hinterlassen hat aber nur der 202 Seiten starke Bericht der internationalen Historikerkommission über die Kriegsvergangenheit von Kurt Waldheim (Rudolf Kurz als Vorsitzender, James L. Collins Jr., Gerald Fleming, Manfred Messerschmidt, Jean Vanwelkenhuyzen, Jehuda Wallach und als Experte Hagen Fleischer). Kurt Waldheim war ebenso empört wie zahlreiche ÖVP-Spitzenfunktionäre. Das sachliche Urteil auf der Basis der Quellen von und zu Kurt Waldheim aus dem Zweiten Weltkrieg, dass dieser kein "Kriegsverbrecher", aber "ein gut informierter, an zentraler Stelle positionierter Mann" gewesen sei, provozierte fast eine Staatskrise.

Ausgehend von dem Modell der 1996 vom Schweizer Bundesrat eingesetzten "Unabhängigen Expertenkommission Schweiz – Zweiter Weltkrieg" für schlafende Konten von Holocaust-Opfern in Schweizer Banken setzen Nationalrat und SPÖ-ÖVP-Regierung unter Bundeskanzler Viktor Klima und Vizekanzler Wolfgang Schüssel eine Historikerkommission ein, die das Ausmaß der Sklaven- und Zwangsarbeit auf dem Gebiet des heutigen Österreichs ebenso untersuchen sollte wie den Vermögensentzug (euphemistisch von den Nazis "Arisierung" genannt) und die Restitution bzw. Entschädigung dieser Vermögensverluste nach 1945. Zwar wurden der brillant agierende Vorsitzende Clemens Jabloner und einige Mitglieder von der Bundesregierung und den Nationalratspräsidenten eingesetzt, aber zumindest die übrigen Mitglieder wurden von den zeitgeschichtlich arbeitenden Fachinstituten nominiert. Zwischen 1998 und 2003 hat diese Historikerkommission der Republik Österreich nicht nur einen 512 Seiten umfassenden Schlussbericht geliefert, sondern auch 45 Einzelberichte von über 160 Forscherinnen und Forschern publiziert.

Klare Forschungsziele

Wenn ich all diese – und auch internationale – Historikerkommissionen mit der Gruppe von 19 Autoren und einer Autorin der FPÖ-Initiative vergleiche, die auch von der ÖVP unterstützt wurde, komme ich zu einem eindeutigen Ergebnis: In all diesen Kommissionen waren die Mitglieder von Anfang an bekannt, und es gab klare Forschungsziele. Es wurden jahrelang gründlich neue Quellen durchgesehen und auch Maßnahmen getroffen, dass diese Quellen und ihre Kontextarchive für jeden zugänglich blieben. Die Kommissionen haben ihre Forschungen und Texte in intensiven Sitzungen miteinander verglichen und miteinander diskutiert.

Am 23. Dezember des vergangenen Jahres präsentierte die FPÖ ihren lange erwarteten Bericht der Historikerkommission, mit dem die Partei ihre "dunklen Flecken" beleuchten wollte.
Foto: Christian Fischer

Und die FPÖ-Gruppe? Bestenfalls 100 Seiten des auf fast 700 Seiten aufgeblasenen Berichts widmen sich dem Kernthema. Die Kommissionsmitglieder waren fast ein Jahr lang unbekannt, und es tauchten bis zum Schluss immer wieder neue Namen auf, wobei die Beiträge entweder am Thema vorbeigingen oder nicht wirklich neues Quellenmaterial ans Tageslicht förderten. Wissenschaftliche Kommissionsdebatten und Treffen hat es nicht gegeben. Bis heute ist unklar, ob die zitierten Quellen und Archive der FPÖ zugänglich sind, aus denen a. o. Univ.-Prof. Lothar Höbelt exklusiv zitiert und der Salzburger Universitätsprofessorin Margit Reiter der Zutritt verweigert wird. Aber ist denn zumindest das Forschungsziel dieser Autorengruppe, die keine Kommission war, erreicht worden?

Rassismus ist kein Thema

Der damalige Bundesparteiobmann der FPÖ H.-C. Strache hat anlässlich des Holocaust-Gedenktags 2018 angeregt, "dass sich die Korporationen und das dritte Lager einer Aufarbeitung der Vergangenheit widmen". Auch sein Nachfolger Norbert Hofer betonte am Wiener Akademikerball laut ihre zentrale politische Bedeutung in der Gegenwart: "Ihr seid der wahre, der harte Kern, auf den man auch weiter aufbauen kann." Trotzdem ist der FPÖ-Bericht ihrer Bedeutung für die FPÖ in Vergangenheit und Gegenwart nicht einmal ansatzweise gerecht geworden: Nur drei Beiträge beschäftigen sich mit dem burschenschaftlichen Liedgut, einer Überbaugeschichte der schlagenden Burschenschaften seit dem 19. Jahrhundert bis 1938 sowie der Rolle einzelner Burschenschafter bei Bombenattentaten gegen italienische Einrichtungen in Südtirol in den 1960er-Jahren. Kein Wort zum Antisemitismus und Rassismus oder zu der Verharmlosung des Nationalsozialismus und der Shoah in Korporationen nach 1948 und in der Gegenwart.

Selbst die neonazistische Vergangenheit von Strache, der ja – wie dies die "Süddeutsche Zeitung" getan hat – dazu hätte interviewt werden können, blieb völlig unerwähnt. Der ehemalige Generalsekretär der FPÖ, Nationalratsabgeordneter Christian Hafenecker, verglich antisemitische Einzelfälle von FPÖ-Funktionären auf Ebene der Presseaussendungen und Berichte, ohne in die Analyse und Tiefe zu gehen. Identitäre kommen nur einige Male in seinem Text vor, sie spielen insgesamt keine Rolle in dem Bericht. Das Forschungsziel, das H.-C. Strache korrekt vorgegeben hat, inhaltliche Kontinuitäten aus der NS-Zeit in den Korporationen und der FPÖ nach 1955 offenzulegen – abseits von der Aufzählung von NSDAP- und SS-Mitgliedsdaten –, wird ein Forschungsdesiderat bleiben. Zumindest die Öffnung der Archive könnten FPÖ und Korporationen als Beitrag zur kritischen Geschichtsschreibung beitragen, der Bericht selbst ist aus zeithistorischer Sicht enttäuschend und endet mit ständigen Relativierungen. (Oliver Rathkolb, 4.2.2020)