Für gewöhnlich wird an dieser Stelle keine Gelegenheit ausgelassen, die gastronomische Mutlosigkeit der Wiener Luxushotellerie samt ihren Restaurants zu geißeln. Umso mehr gehört es sich, jene vor den Vorhang zu bitten, die aus dem Trott schablonenhafter Filet-Behübschung ausscheren und überlegen, wie man als Hotelrestaurant nicht nur müde Zimmermieter, sondern auch den einen oder anderen Einheimischen anlockt.

Max Stiegl, sonst für drei Hauben in Purbach und seinen satten Schmäh im deutschen Koch-TV gut, kocht dieser Tage in Wien.
Foto: Gerhard Wasserbauer

Christian Zandonella, der aus Südtirol gebürtige Direktor der Wiener Ritz-Carlton-Dependance am Schubertring, ist so einer. Wie er das Dstrikt zum luxuriösen Steakhouse aufpoliert und mit Sindy Kretschmar eine außerordentlich gute Sommelière verpflichtet hat, war schon sehr gelungen. Auch für die Lobby fand Zandonella mit dem Pastamara eine ambitionierte, charmante Lösung. Der Ableger des sizilianischen Zweisterners Ciccio Sultano samt Aperitivo-Bar und aufsehenerregendem Negroni-Wagerl löst nämlich das ein, was man sich eigentlich von der Campari-Bar im Goldenen Quartier erwartet hatte: regional verortetes, moderat überkandideltes Italo-Essen, dazu fantastische Drinks und eine Batterie an Bar-Snacks der höher entwickelten Art.

Showinstinkt

Auch im Dstrikt wird immer wieder umgerührt: Nach dem Gastspiel von Christian Petz im Vorjahr konnte Zandonella sich jetzt Max Stiegl vom Gut Purbach angeln, um den notorisch bleiernen Februar mit Glanz zu erfüllen. Bis Ende des Monats, eventuell auch darüber hinaus, soll der Mann seine Idee vom guten Essen am Schubertring präsentieren. Stiegl wird oft als ausgerissener Innereienextremist porträtiert, dem keine Provokation fremd ist.

Dass er Showinstinkt besitzt und seine regelmäßigen Buchungen im deutschen Koch-Hauptabend dementsprechend quotenfördernd wirken, verstärkt dieses Bild natürlich. Wer genau hinsieht, wird Stiegls angeblichen Innereien-Spleen aber als nachhaltige, dem Respekt vor dem Tier geschuldete Produktphilosophie erkennen. Wer die vorgeblichen "Igittereien" (©Wolfram Siebeck) einmal kostet, die dieser fantastische Koch aus dem Inneren des Tiers zu schaffen versteht, wird unweigerlich mit Horizontgewinn belohnt.

Gebackener Barsch auf Erdäpfel-Salzgurkensalat
Foto: Gerhard Wasserbauer

Zum Wiehern

Im Dstrikt sind Stiegls Sardinen-Kutteln so ein Fall, da fügt er gleich zwei als schwierig gebrandmarkte Komponenten zu einer harmonischen Komposition zusammen. Die frischen, roh marinierten Fischfilets sind auf zarte, mit Paprika, Ingwer, Chili geschmorte Kutteln gebettet und drängeln sich keineswegs vor – wie noble, zart schmelzende Geschmacksverstärker.

Oder das Tartare vom Pferd mit Sauce Gribiche von fermentierten Enteneiern und einer Garnitur aus fantastisch knackiger Puntarelle: Natürlich darf, wer solches auf die Karte setzt, mit empörter Gratiswerbung von Fiakerkutschern und anderen Tierfreunden rechnen. Wer diesen notorisch geschundenen Klassiker jedoch mit so viel Eleganz und Flair zu interpretieren weiß wie hier, der darf gern auch jene Empörten als Message-Verstärker nutzen, denen nur Fleisch aus der Tierfabrik als ethisch vertretbar erscheint.

Spitzkraut aus dem Josper-Grill, mit Currycreme und zart mariniertem Oktopus, ist ein Gericht, in dem das Gemüse die Hauptrolle übernehmen darf, ganz wunderbar knackig, rauchig, würzig, einer der besten Gänge des jungen Jahres. Auch Stiegls gebackener Barsch auf Erdäpfel-Salzgurkensalat ist (siehe Bild) so feingliedrig paniert, wie man das in der Stadt kaum kennt. Sogar die legendäre Poularde en Vessie, ein abenteuerlich luxuriöses, in der Schweinsblase gedämpftes Hendl mit Trüffel und Gänseleber, bekommt man nun erstmals in Wien. Bisher musste man dafür zu Ducasse nach Monte Carlo reisen – oder zu Stiegl nach Purbach. (Severin Corti, RONDO, 7.2.2020)

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