Der Name Alfredo Häberli klingt nur zur einen Hälfte nach Schweiz. Die andere Hälfte, nämlich Alfredo, lässt schon mehr von seiner Herkunft durchklingen, nämlich Buenos Aires in Argentinien. Der Designer (Jg. 1964), der als Jugendlicher über den Großen Teich kam, gehört zu den profiliertesten Europas.

Jonas Kuhn fotografierte den Schweizer Designer Alfredo Häberli im Rahmen eines Projekts für den dänischen Textilhersteller Kvadrat.
Foto: Jonas Kuhn/Kvadrat

Sein Studio im Zürcher Seefeld arbeitet für so gut wie das gesamte Who’s who der gehobenen Designwelt. Er entwarf so ziemlich alles vom Teppich bis zur Deckenleuchte, seine Kunden heißen BMW genauso wie Vitra, Iittala, Moroso oder Zanotta. Nach vielen Jahren im Business fragen wir ihn, wie sich dieses verändert hat und wie es lange nach seinem Studium an der Zürcher Hochschule für Gestaltung ums Design steht.

STANDARD: Sie lieben ganz besonders jene Objekte, die Sie für Kinder entworfen haben. Warum?

Häberli: Kinder haben eine unglaublich direkte Art, einem zu sagen, ob ihnen ein Gegenstand gefällt. Das Schöne daran ist, dass dieser Zugang nicht über den Kopf gesteuert wird.

STANDARD: Sondern?

Häberli: Es passiert emotional. Das gilt auch für anderes. Wenn ein Kind zum Beispiel seinen Onkel von Anfang an nicht mag, dann ist das einfach so. Es liegt nichts Konstruiertes darin.

STANDARD: Das klingt brutal.

Häberli: Ist es auch. Wenn ich einen Entwurf von mir nach Hause brachte, kam es immer wieder vor, dass die Kids sagten: "Gefällt mir nicht. Punkt, aus und Schluss." Es handelt sich um eine brutale Ehrlichkeit. Und die liebe ich. Sie kommt aus dem Herzen und aus dem Bauch heraus. Ich hab Design-Studenten getroffen, die mir erzählten, dass sie als Kind mein Besteck zu Hause verwendeten. Da sag ich dann nur: "Wow!" Für mich ist so etwas wie ein Oscar. Vielleicht hat das Besteck das ganze Leben dieser Studenten beeinflusst.

STANDARD: Apropos brutal: Lassen Sie uns übers Business reden: Man könnte meinen, dass allen voran das Möbelgeschäft seine Zyklen der Modewelt anpassen möchte. Ist das nicht absurd? Ein Sessel ist doch kein T-Shirt.

Häberli: Ich plädiere seit Jahren dafür, dass zum Beispiel die Mailänder Messe mit ihren hunderttausenden Besuchern nur alle zwei Jahre stattfindet. Es gibt auch Firmen, die das so sehen, doch da spielen viele Interessen mit – vor allem finanzielle. Die Messe sagt: "Probiert das nur, dann bekommt ihr nie wieder einen Stand." Ein weiteres Problem ist, dass viele große italienische familiengeführte Unternehmen von Investorengruppen geschluckt wurden. Deren Marketing hätte zu gern den Rhythmus der Mode.

STANDARD: Und Sie?

Häberli: Ich möchte weiterhin gegen diese absurden Zyklen ankämpfen. Ich folge keinen Trends, ich will Authentizität und Beständigkeit. Man kann ein Sofa doch ein Leben lang behalten, wenn es von hoher Qualität ist.

Von Zürich aus beliefert der 55-jährige, mit vielen Preisen ausgezeichnete Alfredo Häberli die Designwelt mit seinen Entwürfen. Sein Credo lautet: "Beobachten ist die schönste Form des Denkens."
Foto: Jonas Kuhn/Kvadrat

STANDARD: Kostet ein Sessel 400 Euro, rümpfen viele die Nase. Für ein Paar Sneaker wird mitunter dasselbe ausgegeben.

Häberli: Genau. Und wie lang hält ein Paar Turnschuhe? Um an dem Modekuchen mitzunaschen, holen sich sogar Unternehmen wie Vitra Kreative wie Virgil Abloh, den Herren-Designer von Louis Vuitton. Die Firmen suchen nach neuen Wegen, denn der Markt ist eindeutig übersättigt. Es gab auch seit langer Zeit nichts Neues mehr. Ich denke an Strömungen wie das Bauhaus und Memphis, eine Bewegung, die sich fragt: "Hey, was machen wir da eigentlich?"

STANDARD: Aber Sie sind selbst Designer und werden wohl auch darüber nachdenken, oder?

Häberli: Natürlich, aber die Rahmenbedingungen haben sich total geändert. Recherche funktioniert heute ganz anders, auch der Feedback-Rhythmus gegenüber Auftraggebern. Da bleibt wenig Platz für große Theorien, die sich eine ganze Gruppe gemeinsam ausdenkt. Auch die Unternehmen sind gegenüber solchen Überlegungen nicht mehr so euphorisch, wie sie es einmal waren. Und es fehlen vielerorts auch die Persönlichkeiten, die sich mit in dieses Boot setzen würden.

STANDARD: Philippe Starck sagte mir vor kurzem, das moderne Design werde in den nächsten 30 Jahren verschwunden sein. Wahre Intelligenz liege nicht in einem Objekt an sich, sondern im Service, den es für uns bereithält. Das iPhone ist ein gutes Beispiel dafür. Geben Sie ihm Recht?

Häberli: Das ist so ein richtiger Starck-Spruch, aber der Starck ist schon okay. Er macht seit vielen Jahren verblüffende Dinge und ist in einem positiven Sinn sehr crazy. Viele seiner Sachen würde ich wahrscheinlich nicht kaufen.

STANDARD: Er selbst wahrscheinlich auch nicht.

Häberli: Das mag sein, aber er spielt eine wichtige Rolle und hat Charisma. Er polarisiert. Ich denke nicht, dass das Design so schnell verschwinden wird. Wir werden weiterhin unsere Möbel und Alltagsgegenstände brauchen. Aber natürlich muss man sich bewusstmachen, wie sehr die Digitalisierung die Welt verändert. Das iPhone ist gerade einmal zehn Jahre alt. Das muss man alles erst einmal verdauen. Dass Service wichtiger wird, ist klar. Aber davon gibt es viele Formen. Mittlerweile lassen sich ganze Einrichtungen mieten. Das ist auch eine Form von Service.

Armlehnsessel "DS-110" für de Sede
Foto: Hersteller

STANDARD: Sie entwarfen so ziemlich alles von Gläsern über Möbel bis hin zu Küchenmaschinen und Fonduetöpfen. Zuletzt waren Sie für die Textilfirma Kvadrat im Einsatz. Es handelt sich um sehr unterschiedliche Objekte. Wie kriegen Sie das hin?

Häberli: Das ist gar nicht so leicht, aber je länger man an verschiedenen Projekten arbeitet, desto lockerer wird man. Das hat mit Erfahrung auf den einzelnen Gebieten zu tun. Und die generiert erstaunliche Querverbindungen. Man darf aber auch nie den Respekt vor den Spezialisten der einzelnen Produktsparten verlieren. Also ich glaube nicht, dass Philippe Starck rasend viel von Yachten versteht. Dennoch sind seine Entwürfe beeindruckend. Zum Schwimmen bringen sie andere.

STANDARD: Sie haben auch für BMW entworfen. Ein Auto scheint mir doch etwas komplexer als ein Geschirrservice.

Häberli: Das war ein komplett freier Entwurf, und der kam sensationell an. Ich hatte die richtigen Ideen, auf denen ein konkreter Auftrag für die Gestaltung eines Elektro-SUV basierte. Was ist das Geheimnis daran? Dass ich vieles anders gesehen habe als die Leute aus der Autobranche. Letztendlich war es dann doch zu viel Häberli und zu wenig BMW, aber immerhin wurden Prototypen gebaut. Ich war sehr stolz, und man hätte das Auto auch so realisieren können.

STANDARD: Würden Sie nicht gern an jeder Ecke einen Häberli-BMW sehen?

Häberli: Schauen Sie, ich würde am liebsten Dinge entwerfen, die ich täglich in der Hand habe. Von der Zahnbürste am Morgen bis hin zur Nachttischleuchte am Abend. Und ich benütze erstaunlich viele Dinge von mir. Es ist toll, in ein Restaurant zu kommen, in dem meine Gläser stehen, oder in ein Flugzeug zu steigen, in dem ich aus meinem Geschirr esse. Ich denk mir jedes mal: "Wow." Als ich die Fabrik gesehen habe, in der pro Tag 25.000 meiner Gläser produziert werden, sind mir die Tränen gekommen.

Stoffe aus der Kollektion "Airfield" für Kvadrat
Foto: Hersteller

STANDARD: Für den dänischen Hersteller Kvadrat – ein Stoffproduzent, auf den die ganze Interieur-Szene abfährt – haben Sie Polsterstoffe entworfen. Das klingt im Vergleich zum Entwurf eines Autos nicht sehr spannend.

Häberli: Auf jeden Fall ist ein Stoff weniger komplex als ein Bürostuhl oder gewisse Leuchten. Aber: Auch dieses Projekt hat seine komplexe Eigenart. Einen Stoffentwurf auf eine Breite von 1,60 Meter Breite und 35 Meter Länge hinzukriegen mag einfach klingen. Aber die Industrie ist knallhart. Jedes Design muss in einer gewissen Geschwindigkeit gewoben und Qualität umgesetzt werden können. Da spielen viele technische Bedingungen bei der Verwendung eine große Rolle, zum Beispiel Feuerfestigkeit oder Strapazierfähigkeit. Wir haben zwei bis drei Jahre daran gearbeitet. Unglaublich, oder?

STANDARD: Lassen Sie uns über das Image des Designers sprechen. Diesem haftet bei der breiten Bevölkerung noch immer etwas Eigenartiges an, nach dem Motto: Typ im dunklen Anzug und blauer Brille, der irgendwelche Kaffeemaschinen oder sonst was entwirft, das dann Designerding heißt.

Häberli: Ja, solche Vorurteile gibt es immer noch, auch gegenüber Architekten. Das liegt zum Teil an Friseuren oder Nagelstudios, die sich "Hair-Design" oder "Nails-Design" nennen. Das macht den Begriff noch schwammiger. Leider. Dennoch ist der Erklärungsbedarf bezüglich der Bedeutung von Design nicht mehr so hoch wie früher.

STANDARD: Aber seien wir ehrlich. Das Wort "Designersofa" ist doch schon fast ein Schimpfwort, auf jeden Fall aber eher negativ konnotiert.

Häberli: Das stimmt. Aber man muss sich den Entwurf halt anschauen. Wenn die Menschen etwas derart abtun, dann ist das jeweilige Stück vielleicht zu laut, zu willkürlich oder zu abgehoben. Menschen neigen dazu, rasch zu schubladisieren.

STANDARD: Sie sagen, man soll sich den Entwurf anschauen. Um gutes Design erkennen zu können, benötigt es auch ein gewisses Maß an Bewusstsein für die Dinge, mit denen man sich umgibt. Dies scheint bei vielen Menschen nicht besonders ausgeprägt zu sein.

Häberli: Viele setzen sich zu wenig mit den Objekten ihres Alltags auseinander. Dafür benötigt es Zeit. Und die nehmen sich viele für anderes, nicht für ihre Wohnsituation.

Schale "Origo" für den finnischen Hersteller Iittala
Foto: Hersteller

STANDARD: Glauben Sie wirklich, es liegt nur an der Zeit? Wie gelangt man zum Bewusstsein, einschätzen zu können, ob ein Glas gut oder schlecht gestaltet ist.

Häberli: In der Kunst verhält es sich ähnlich. Mit der muss man sich ja auch auseinandersetzen. Die Oberflächlichkeit in Sachen Design liegt aber auch an den vielen günstigen Angeboten. Man denkt sich: "Ach, jetzt nehm ich mal dieses oder jenes Sofa, kostet ja nicht so viel." Dadurch vertiefen sich viele nicht in ein Objekt.

STANDARD: Sie vergleichen Design mit Kunst. Ein Bild schau ich mir im Museum an, ein Sofa umgibt mich vielleicht Jahrzehnte und das jeden Tag. In diese Beziehung sollte man doch einiges mehr an Energie investieren, oder?

Häberli: Ja, so ist es. Sie sprechen mir aus dem Herzen. Und das Thema gehört sogar zu meinem täglichen Kampf. Sogar innerhalb meiner Familie. Für viele ist es auch eine große Hemmschwelle, in ein Fachgeschäft zu gehen und sich mit der Materie wirklich auseinanderzusetzen. Entweder hat man den Hintergrund dafür oder eben nicht.

STANDARD: Sie sagten einmal: "Zu beobachten ist die schönste Art nachzudenken." Was beobachten Sie?

Häberli: Ich sagte das, weil ich mehrere Sprachen spreche, aber keine davon perfekt. Darum dachte ich mir: "Rede lieber nicht so viel, sondern beobachte." Diese Methode reizt mich seit vielen Jahren enorm. Es ist sehr spannend, zu beobachten, gerade wenn man auf so vielen Gebieten tätig ist wie ich. Ich beobachte eine Bewegung genauso wie ein Objekt und frage mich, wie es sich im Raum verhält. Ich habe eine enorm große Sammlung von anonymen Gegenständen, von Dingen, von denen ich zu Beginn nicht einmal wusste, wofür sie gebraucht werden. Ich beobachte sie und versuche andere Verwendungszwecke in ihnen zu entdecken.

STANDARD: Was halten Sie vom Möbel als Repräsentationsobjekt?

Häberli: Ich stelle immer wieder fest: Wenn ich einen Entwurf herausbringe, der gleich viel kostet wie ein Klassiker, entscheiden sich Kunden oft für den Klassiker. Ganz einfach, weil sie sich auf der sicheren Seite fühlen. Deshalb müssen jüngere Designer mit ihren Entwürfen oft laut schreien, um aufzufallen. So läuft es. Viele Firmen würden gar nicht mehr existieren, wenn sie nicht ihre Klassiker im Programm hätten. Andererseits ist es traurig, weil es zeigt, wie träge Menschen sind, wenn es darum geht, Neues zu akzeptieren. Man braucht keinen Geschmack, und alle haben dasselbe. Wenn das das Spiegelbild von jemandem ist, dann ist es halt so. Das ist eine Entscheidung, die man akzeptieren muss.

STANDARD: Wie ist das mit Ihren Bestsellern?

Häberli: Erstens habe ich mit ihnen Glück gehabt, zweitens gilt für sie dasselbe. Wenn jemand mein Porzellanservice Origo von Iittala kauft, entscheidet er sich ebenso für die sichere Seite und hat sich vielleicht auch nicht beobachtet.

STANDARD: Viele Designer sagen, Design sei heute international. Es gäbe kein italienisches, deutsches oder skandinavisches Design mehr. Ist das so?

Häberli: Nein. Design ist schon internationaler geworden, aber es gibt weiterhin ganz klare Geschmäcker und Traditionen, die so schnell nicht verschwinden werden. Nehmen Sie das skandinavische Design mit seiner hölzern-warmen und freundlichen Atmosphäre. Das ist zurzeit total angesagt. Die Skandinavier setzen das Licht anders ein als die Italiener, ihre Stühle schauen anders aus, ihre Sofas sowieso. Der Italiener würde zu Hause niemals die Schuhe ausziehen, der Spanier ist immer noch kolonial unterwegs.

STANDARD: Können Sie noch ein Beispiel nennen?

Häberli: Nehmen Sie die ovalen Tische aus Skandinavien. Sie stehen dafür, keine Hierarchie zuzulassen. Das gilt auch für Tische in Konferenzräumen von Unternehmen. Da sitzt der Chef nicht am Kopfende, sondern irgendwo. In Ländern wie Italien oder Spanien ist das viel machohafter. Auch in Deutschland ist die Hierarchie total zugespitzt, und das sieht man auch dem Interieur an. Der Chinese wiederum möchte Glitzer-Bling-Bling im Auto haben. Damit hat die Industrie ein Riesenproblem. Unsere Ästhetik ist eine ganz andere.

STANDARD: Der Stellenwert des Autos ist ebenfalls im Wandel begriffen.

Häberli: Auf jeden Fall. Ich sehe das auch bei meinen jüngeren Mitarbeitern. Auch das Wohnen hat nicht mehr den Stellenwert wie in meiner Generation oder der meiner Eltern. Es ist nicht mehr das Topziel, ein schönes Zuhause anzustreben. Ich stelle fest, dass vielen das Reisen wichtiger ist, oder das À-jour-Sein mit der Kommunikationstechnologie. Das Smartphone und das Tablet sind ihnen wichtiger als das Auto. Wie auch immer, ich finde es schön, dass es so viele Unterschiede gibt. Da lässt sich mehr beobachten. (Michael Hausenblas, RONDO, 8.2.2020)

Weiterlesen:

Philippe Starck: "In zehn Jahren ist die Mode tot"

Monica Förster: "Guter Geschmack kommt mit Bildung"

Stefan Diez: "Viele fühlen sich nicht an die Moral gebunden"