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Gerngesehener Gast: Recep Tayyip Erdoğan suchte sich Kiew als Bühne für seine verbalen Angriffe gegen Moskau aus.

Foto: AP / Ukrainian Presidential Press Office

"Slawa Ukraine!" ("Ruhm der Ukraine"), begrüßte Recep Tayyip Erdoğan in Kiew die Ehrengarde. Ein vielkehliges "Slawa Herojam" ("Ruhm den Helden") schallte ihm entgegen. Ein wohl bewusster Affront gegen Moskau: Der Gruß stammt noch aus den Zeiten, als ukrainische Nationalisten gegen die Sowjetmacht kämpften. Zu neuer Popularität gelangte er während des Maidans 2014, der zum Sturz von Präsident Wiktor Janukowitsch und zum Bruch zwischen Russland und der Ukraine führte.

Überhaupt war der gesamte Besuch Erdoğans am Dienstag überschattet vom sich zunehmend verschlechternden russisch-türkischen Verhältnis. Eigentlich sollten die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der Türkei und der Ukraine im Mittelpunkt stehen; doch weitaus mehr Aufsehen riefen die Sticheleien Erdoğans Richtung Moskau hervor. So kritisierte er in Kiew noch einmal die "illegale Annexion der Krim" durch Russland.

Die Türkei setze sich für die territoriale Unversehrtheit der Ukraine ein und sei besorgt über die Lage der Krimtataren, erklärte der türkische Präsident. In diesen Punkten würden Ankara und Kiew zusammenarbeiten.

Zwar wiederholte er damit im Wesentlichen nur Punkte, die er im August 2019 bei seinem ersten Treffen mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj schon angesprochen hatte. Doch mit seinem Tonfall traf er im Kreml einen empfindlichen Nerv.

Erdoğan hätte die Chance gehabt, sich aus erster Hand über die Lage der Krimtataren zu informieren. Eine Einladung Russlands gebe es, wies Kremlsprecher Dmitri Peskow die Kritik zurück. Drastischer drückte sich der Duma-Abgeordnete Ruslan Balbek aus: Erdoğan solle die "dunkel getönte Washingtoner Brille" beim Blick auf die Krim abnehmen, forderte er.

Konflikt in Syrien eskaliert

Dabei dreht sich der Streit nur vordergründig um die Krim. Viel problematischer ist die Lage in Syrien. Die selbsternannten Partner im Nahost-Bürgerkriegsland werden dort mehr und mehr zu Rivalen: In der Region Idlib sind bei Angriffen der syrischen Armee am Montagmorgen sechs türkische Soldaten ums Leben gekommen. Es war die erste direkte Konfrontation zwischen der Türkei und dem Assad-Regime in dem Krieg.

Erdoğan macht für die Toten auch Russland verantwortlich. "Wir waren geduldig. Wegen der Attacken des syrischen Regimes, vor denen Russland seine Augen verschließt, fliehen mehr als eine Million Menschen zu unseren Grenzen", kritisierte er von Kiew aus die Kremlpolitik. Die Türkei werde sich mit dem Tod seiner Militärs nicht abfinden. Die Türken haben bereits am Montag Gegenschläge gegen die syrische Armee gestartet – und Erdoğan warnte Russland, "sich nicht in den Weg zu stellen".

Schon einmal, nach dem Abschuss eines russischen Kampfjets, führten Ankara und Moskau offen Streit. Die Versöhnung sollte den Interessen beider dienen. Inzwischen zeigt sich immer deutlicher, dass sie in Syrien nur für eine begrenzte Zeit übereinstimmten.

Gleiches gilt für Libyen, wo die Gegensätze auch größer werden. Noch schwelt der Konflikt auf kleiner Flamme: Russland und die Türkei haben sich bereiterklärt, eine diplomatischen Lösung zu unterstützen. Doch wenn die Lage in Syrien eskaliert, dann dürften Wladimir Putin und Erdoğan den Kampf um Einflusssphären auch aktiv auf Libyen ausweiten. (André Ballin, 4.2.2020)