Das dänische Model Josephine Skriver bei der Fashion-Show von Victoria's Secret im November 2018 in New York. Ein Jahr später wurde die Veranstaltung abgesagt.

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Während Harvey Weinstein, mit dem #MeToo so richtig Fahrt aufnahm, derzeit in New York vor Gericht steht, hat die Bewegung nun auch Victoria's Secret erreicht. Laut einem Bericht der "New York Times" herrschte beim weltbekannten US-Dessouslabel jahrzehntelang ein Klima der Frauenfeindlichkeit und des sexuellen Missbrauchs.

Victoria's Secret steht schon länger für sein Frauenbild in der Kritik. Ende 2018 etwa erklärte der mächtige Marketing-Chef Edward "Ed" Razek in einem Interview mit der "Vogue", Plus-Size- und Transgender-Models sollten in der alljährlichen Fashion-Show des Labels nicht vorkommen, "weil die Show eine Fantasie ist". Dies wurde als transphobe Bemerkung kritisiert und führte zu einem Shitstorm in den sozialen Medien. Die Folge: Die ohnehin schon schwachen Verkaufszahlen sanken weiter, einige Monate später trat Razek zurück. Seit 2015 fiel die Aktie um 75 Prozent.

Fashion-Show gestrichen

Die Krise setzte sich Ende 2019 fort. Victoria's Secret strich die Fashion-Show, bei der unter anderem schon Heidi Klum, Gisele Bündchen oder Miranda Kerr als Victoria's-Secret-Engel aufgetreten sind. Flügel erhält, wer einen Vertrag mit der Dessousmarke unterzeichnet und so als Sprecherin des Labels auftritt. Wer das erreicht, hat es als Model geschafft.

Nun also #MeToo. Die "New York Times" hat mit mehr als 30 Models, einstigen und jetzigen Führungskräften sowie Angestellten der Firma gesprochen und Gerichtsunterlagen ausgewertet. Das Fazit: Victoria's Secret stehe "für eine tief verwurzelte Kultur voller Frauenfeindlichkeit, Mobbing und Belästigung". Im Detail ging das vor allem von zwei Männern aus: Ed Razek und Leslie Wexner, Vorstandsvorsitzender von L Brands Corporation, dem Mutterkonzern von Victoria's Secret.

Ersterer soll Models über Jahrzehnte belästigt haben. Ein Auszug: Razek soll versucht haben, Models zu küssen, soll sie aufgefordert haben, sich auf seinen Schoß zu setzen, soll einem Model vor der Fashion-Show zwischen die Beine gegriffen haben. Dem Model Bella Hadid soll er gesagt haben, sie solle auf dem Catwalk ihr Höschen weglassen und "diese perfekten Titten" herzeigen.

"Es war wie Gehirnwäsche"

Das Model Andi Muise erklärte, sie habe sich lange gegen die Annäherungsversuche Razeks gewehrt. Als sie endgültig Nein sagte, wurde sie zum ersten Mal seit vier Jahren nicht mehr für die Fashion-Show berücksichtigt. Eine ehemalige PR-Beraterin des Labels erklärte, dass der Missbrauch "einfach weggelacht oder für normal befunden wurde". Außerdem sagte sie: "Es war wie Gehirnwäsche. Wer etwas dagegen machen wollte, wurde nicht einfach ignoriert – er wurde bestraft."

Wexner soll all das gewusst und gedeckt haben. Und noch mehr: Er stand jahrelang in engem Kontakt mit Jeffrey Epstein, dem verurteilten Sexualstraftäter, der im Gefängnis Suizid beging. Dieser soll Models damit gelockt haben, er arbeite für Victoria's Secret und könne ihnen dort zum Durchbruch verhelfen. Mindestens zwei Frauen soll er bei diesen falschen Castings angegriffen haben.

"Bedauern"

Razek weigerte sich, auf die Vorwürfe einzugehen. Stattdessen erklärte er, all das sei "unwahr und aus dem Zusammenhang gerissen". Die Reaktion von Victoria's Secret: Man reagiere mit "Bedauern" auf die Anschuldigungen. (Kim Son Hoang, 4.2.2020)