Die Indexierung der Familienbeihilfe war ein türkis-blaues Prestigeprojekt. Doch die ehemalige Regierung unter Kanzler Sebastian Kurz und Vizekanzler Heinz-Christian Strache (links) hat die Einsparungen weit höher angesetzt, als sie erzielt wurden. Die Differenz beträgt 52 Millionen Euro.

Foto: APA/Schlager

Es war eines der türkis-blauen Leuchtturmprojekte: die Indexierung der Familienbeihilfe. Im Vorjahr hatten ÖVP und FPÖ Sozialleistungen für im Ausland lebende Kinder an die Lebenshaltungskosten in ihrer Heimat angepasst, auch wenn ihre Eltern hierzulande in das Sozialsystem einzahlen. Treffen sollte das vor allem osteuropäische Arbeitskräfte: 24-Stunden-Betreuerinnen oder Pflegekräfte. Das Vorgehen war umstritten, unklar ist auch, ob die Maßnahme EU-Recht entspricht.

Die damalige Regierung erhoffte sich große Einsparungen. Doch die Erwartungen waren überzogen, wie die Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage der Neos an Familienministerin Christine Aschbacher (ÖVP) zeigt. Statt der veranschlagten 114 Millionen Euro wurden 62 Millionen Euro eingespart, das sind um 45 Prozent weniger als von Türkis-Blau kalkuliert.

"Reiner Populismus"

Neos-Familiensprecher Michael Bernhard sieht sich in seiner Kritik bestätigt. Nun sei klar, dass es sich bei der Indexierung der Leistungen um "reinen Populismus der damaligen türkis-blauen Regierung" gehandelt habe. "Hier wurde einzig und allein die eigene Wählerklientel bedient, indem man gezielt ausländische Kinder diskriminiert hat", sagt Bernhard im STANDARD-Gespräch.

Etwa 29.000 im EU-Ausland und im EWR-Raum lebende Kinder erhalten Sozialleistungen in vollem Umfang – insgesamt sind es 137. 100 – obwohl sie nicht bei ihren Eltern in Österreich leben. Die meisten Kinder leben in Ungarn oder in der Slowakei. Weil die Lebenshaltungskosten dort deutlich niedriger sind, mussten sie finanzielle Einbußen hinnehmen. Die Anpassung erfolgt aber auch in die andere Richtung. Kinder, die in Italien, Spanien, Frankreich, Schweden, den Niederlanden, in Norwegen oder der Schweiz wohnen, haben im Vorjahr mehr Geld erhalten. Für sie wurden 154.000 Euro mehr ausgegeben.

Europäisches Nachspiel

Nicht nur die Opposition kritisierte die Indexierung scharf. Auch auf europäischer Ebene hatte der Alleingang Österreichs ein Nachspiel. Wenige Tage nach Inkrafttreten der Regelung leitete die EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren ein. Die Maßnahme verletze den europäischen Gleichheitsgrundsatz.

Zwei Mahnschreiben erhielt Österreich seither von der Kommission. Zunächst musste die frühere Familienministerin Juliane Bogner-Strauß (ÖVP) die Maßnahme verteidigen. Und auch Ines Stilling, Ressortchefin der Übergangsregierung, folgte der türkis-blauen Argumentation. Die Familienbeihilfe sei eine bedarfsbezogene Sachleistung, die auf den jeweiligen Bedarf von Kindern abziele. Damit begründete Stilling, warum Österreich daran festhalte.

Klage steht bevor

Die Kommission könnte bald den nächsten Schritt setzen und Klage beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) einreichen. Bewertet der EuGH die strittige Anpassung als unionswidrig, droht eine Strafzahlung in Millionenhöhe.

Abgeordneter Bernhard hofft darauf, dass der EuGH die Indexierung als EU-rechtswidrig einstuft: "Die Ungleichbehandlung darf unter Türkis-Grün nicht weitergeführt werden", sagt er. Die Regelung sei "sinnbefreit und antieuropäisch".

Mögliche Belastung

Für mögliche finanzielle Sanktionen wurden allerdings noch keine Rücklagen gebildet. Auch das geht aus der Anfragebeantwortung hervor. Familienministerin Aschbacher erklärt das damit, dass die EU-Kommission noch gar keine Klage beim EuGH eingebracht habe. Unverantwortlich findet das der pinke Abgeordnete.

Sollte der EuGH die umstrittene Indexierung tatsächlich aufheben, könnte das die türkis-grüne Zusammenarbeit schwer belasten. Denn bisher waren die Grünen vehemente Gegner der Maßnahme und vertraten die Argumentation der Kommission, nicht jene des Koalitionspartners. Ob und wann sich die Kommission an den EuGH wendet, ist noch unklar. (Marie-Theres Egyed, 5.2.2020)


Aktualisiert um 10.36 Uhr: In einer früheren Version stand, dass 29.000 Kinder im Ausland Familienbeihilfe erhalten. Sie beziehen Familienbeihilfe in vollem Umfang, insgesamt sind es aber 137.100 Kinder, die auch Differenzzahlungen bekommen.