Kritik an sich wiederholenden Festival-Line-ups wie beim Nova Rock kommt häufig – aber nicht von denen, die die Karten kaufen.

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Das Angebot an Pop- und Rock-Konzerten in Wien ist so groß wie nie zuvor. Wie und von wem der Live-Markt gestaltet wird, ist eine komplexe Frage. Eine Annäherung in fünf Punkten:

1. Die Player

Die drei wichtigsten Veranstalter, die in Österreich tätig sind, sind das heimische Unternehmen Barracuda Music (unter anderem verantwortlich für Nova Rock und Frequency-Festival), Arcadia Live und der internationale Gigant Live Nation.

Barracuda wurde 2019 vom Ticketing-Konzern CTS Eventim mehrheitlich übernommen, der über den großen deutschen Tourneenveranstalter FKP Scorpio auch eine Mehrheit an Arcadia Live hält. 2016 eröffnete auch der internationale Konzertriese Live Nation ein Büro in Wien und wurde aktiver. Live Nation organisiert die Touren der ganz großen Stars und wird 2020 etwa Ozzy Osbourne oder Harry Styles nach Wien bringen.

2. Das Angebot – quantitativ

Das Konzertangebot im Pop- und Rockbereich ist quantitativ gesehen stattlich. Oeticket allein hatte im Vorjahr 8699 Vorstellungen im Bereich Pop/Rock im Verkauf, die meisten davon in Wien und Umgebung.

Hannes Cistota, Musikchef des Wiener Wuk, erinnert sich an Zeiten, in denen kaum ein Musiker seinen Weg nach Wien gefunden hat. "Mit dem Fall des Eisernen Vorhangs und der Öffnung der Grenzen hat sich alles zum Positiven gewendet", sagt Cistota.

Hannes Tschürtz, Gründer des Wiener Musikagentur Ink Music, beobachtet, dass das Angebot in der Hauptstadt fast schon zu groß sei, besonders in den letzten zwei bis drei Jahren habe es so viele Stadionkonzerte gegeben wie nie.

3. Das Angebot – qualitativ

Das Konzertangebot qualitativ zu beurteilen, ohne dabei geschmäcklerisch zu werden, ist schwierig. Gründe dafür, warum die Lage ist, wie sie ist, lassen sich aber feststellen.

Das österreichische Publikum gilt im Pop- und Rockbereich allgemein als reserviert, wenig aufgeschlossen für Neues und etwas hinten nach. Diese Mentalität trifft auf Veranstalter, die alle – teils aus schlechter Erfahrung, teils aus Prinzip – wenig Risiken eingehen und die Publikumserziehung nicht als ihre Aufgabe sehen. Filip Potocki, Geschäftsführer von Arcadia Live, sieht dennoch eine Entwicklung: "Zu sagen, dass es zu wenig Erneuerung gibt, halte ich für falsch – wenn man sich Line-ups 2020 ansieht, dann sind die auf ganz vielen Ebenen anders als vor fünf oder zehn Jahren. Am Ende bestimmt der Publikumsgeschmack, was Veranstalter auf eine Bühne stellen. Da können wir aus eigener Erfahrung sagen, dass es selbstmörderisch ist, ein Line-up voller Lieblingsacts zu bauen, für das dann 50 Leute ein Ticket kaufen."

Abwechslungsreichere Line-ups findet man in den Nachbarländern: Das Colours of Ostrava in Tschechien oder das Off-Festival in Polen sind nur zwei Beispiele.

4. Nie und immer in Österreich

Hat man nicht das Glück und Gespür, wie Barracuda es auf dem letzten Frequency mit Billie Eilish hatte, einen Act im genau richtigen, noch bezahlbaren Moment vor dem Durchbruch zu buchen, ist der Zug abgefahren. Dann werden Acts schnell zu teuer. Andere Gründe, warum gewisse Acts nie in Österreich spielen, sind noch viel banaler: Wien liegt routentechnisch für viele Bands einfach schlecht. Wie Tschürtz erklärt, haben ähnlich kleine Städte wie Köln den Vorteil größerer Einzugsgebiete. Weitere Gründe lassen sich aus dem vorher Geschilderten zusammenreimen: Das zu geringe Interesse des Publikums trifft auf Veranstalter, die aus wirtschaftlichen Gründen kein "kreatives" Risiko eingehen können oder wollen.

Andere Bands sind dafür immer in Wien, weil sie hier zu Hause sind. Der Bereich "Domestic Repertoire" hat in den letzten Jahren, durch den Erfolg von Bilderbuch und Wanda angekurbelt, stark zugenommen. Weil Internationales gerade so stark gebucht wird, ist es für heimische Acts schwieriger, Termine in Locations zu bekommen. Ob Gratiskultur in Form von Festivals wie dem Pop- oder dem Donauinselfestival eher Freund (Katalysator) oder Feind (niemand will für Konzerte zahlen, wenn man sie gratis sehen kann) von heimischen Acts ist, bleibt eine Streitfrage.

5. Neue Locations in Wien

Immer wieder wurde diskutiert, dass es zu wenige Konzertlocations in Wien gäbe. Filip Potocki von Arcadia Live sah den Bedarf einer Open-Air-Location für zirka 5.000 bis 8.000 Besucher. "Um hier Abhilfe zu schaffen, haben wir die Metastadt Open Airs in einer bis dahin ungenutzten Location in Wien-Stadlau aus dem Boden gestampft", sagt Potocki.

Die Wien Holding, in deren vollständigem Besitz als einzige Konzertlocation die Stadthalle ist, wird eine weitere Halle in St. Marx für 20.000 Besucher bauen, die 2024 eröffnet werden soll. Den Bedarf an einer solchen Arena begründet das Büro von Stadtrat Peter Hanke (SPÖ) mit einem Blick in Vergangenheit und Zukunft: "War es früher der Verkauf der klassischen Tonträger, der für die Einnahmen sorgte, ist es heute der Erlös aus dem Live-Entertainment-Geschäft, der fast 90 Prozent zu den Branchenerlösen beiträgt. Aktuelle Prognosen lassen erwarten, dass sich dieser Trend in den kommenden Jahrzehnten fortsetzen wird, nicht zuletzt weil neue digitale Trends (z. B. Augmented Reality, Virtual Reality) die Anzahl von Eventformaten erhöhen werden. Dafür braucht es auch geeignete moderne Eventlocations." (Amira Ben Saoud, 5.2.2020)