Diese Regierungskoalition besteht aus zwei sehr unterschiedlichen Parteien mit sehr unterschiedlichen Vorstellungen, das dürfte niemandem verborgen geblieben sein. Bundeskanzler Sebastian Kurz sagt, diese Koalition sei das Beste aus zwei Welten. Vizekanzler Werner Kogler wies darauf hin, es gebe nur diese eine Welt, es seien bloß die Weltanschauungen unterschiedlich.

In dieser einen Welt gibt es Fluchtbewegungen, etwa über das Mittelmeer Richtung Europa. Die Anschauungen dazu könnten unterschiedlicher nicht sein. Kanzler Kurz ist strikt gegen die Seenotrettung und gegen einen Neustart der EU-Mission Sophia. Diese habe sich immer mehr zu einer Rettungsmission entwickelt, die für tausende "illegale Migranten" zum "Ticket nach Europa" geworden sei. Die EU-Marinemission habe letztlich dazu geführt, dass mehr Menschen im Mittelmeer gestorben seien, "weil immer mehr Migranten durch die Aussicht auf Rettung angezogen wurden", argumentiert Kurz.

Österreichs Bundeskanzler Kurz hält Wiederaufnahme der EU-Rettungsmission "Sophia" für nicht zielführend.
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Sozialminister Rudolf Anschober sieht das ganz anders. Er hält die Seenotrettung im Mittelmeer für richtig und wichtig, man dürfe niemanden ertrinken lassen. Anschober argumentiert das auch persönlich: Wenn er an der Donau vorbeigehe und einen ertrinkenden Menschen sehe, werde er ins Wasser springen und versuchen, ihn zu retten. Bei Menschen im Mittelmeer sei das nicht anders.

Beide Standpunkte lassen sich argumentieren, und letztlich ist das auch eine Frage der Moral, über die man nicht oft genug reden kann. Dass diese Auseinandersetzung öffentlich ausgetragen wird, ist ein Fortschritt gegenüber früheren Koalitionen, in denen entweder alles in gespielter Harmonie zugedeckt wurde oder sofort eskaliert ist. Die Menschen können und sollen sich selbst ein Bild machen. Man kann auch anderer Meinung sein, ohne zu streiten. Das wäre ein sinnvoller Beitrag zu einer konstruktiven Debattenkultur, mit der wir uns ohnedies so schwertun.

Allerdings ist sofort Außenminister Alexander Schallenberg ausgerückt, um Anschober darauf hinzuweisen, dass seine Position nicht relevant sei, weil er gar nicht zuständig sei. Was für ein kleinlicher Versuch, einem Regierungskollegen das Wort zu verbieten. Die Position von Anschober ist sehr wohl relevant, und Konflikte lassen sich nicht bereinigen, indem man den anderen mundtot macht. Es ist nur eine Welt, aber es gibt unterschiedliche Anschauungen – vermutlich mehr als nur zwei. (Michael Völker, 4.2.2020)