Österreich war aus Sicht vieler Deutscher lange bloß ein putziges, kleines Land. Man fand die Berge herrlich, die Schnitzel toll, den Kaffee formidabel. Wie die österreichischen Bundeskanzler hießen, wussten die meisten Deutschen hingegen nicht. Gusen wer? Fay wie?

Mit Sebastian Kurz hat sich das geändert, nicht nur weil er ein äußerst selbstbewusstes Auftreten hat. Es ist auch die Wahl seiner Koalitionspartner, die ihm große Aufmerksamkeit in Deutschland verschafft.

Zuerst regierte er mit der FPÖ, was in Berlin als abschreckendes Beispiel betrachtet wurde. Man stelle sich vor, die Union würde mit der AfD am Kabinettstisch sitzen ... So mancher war zu schockiert, um zu Ende zu denken.

Mit dem Wechsel zu den Grünen bekam Kurz wieder jede Menge Aufmerksamkeit. Man bestaunt seine Geschmeidigkeit – übrigens auch die der Grünen –, und plötzlich gilt Österreich als Modell für Deutschland, nach dem Motto: Wenn Konservative und Ökopartei dort eine Koalition auf die Beine stellen, dann wird das hier ja auch möglich sein.

Annegret Kramp-Karrenbauer und Sebastian Kurz in Berlin.
Foto: APA/AFP/JOHN MACDOUGALL

Aber ganz so einfach ist es nicht. Zwar sind die politischen Systeme in Deutschland und Österreich ähnlich, weshalb sich der Vergleich natürlich aufdrängt. Aber die tatsächlichen Voraussetzungen sind andere. Kanzlerin Angela Merkel hätte gerne mit den Grünen koaliert. 2013 und 2017 hat sie es versucht. Beide Male klappte es nicht – zunächst, weil die Grünen vom Verhandlungstisch aufstanden, danach, weil die FDP die Jamaika-Runde verließ. Aber Merkel wird bei der nächsten Koalitionsbildung nichts mehr mitzureden haben, ihre Zeit läuft ab.

Wer ihr nachfolgt, ist offen. Annegret Kramp-Karrenbauer? Oder doch Friedrich Merz? Beide sind nicht so unumstritten wie Kurz in Österreich bei der ÖVP. Sie werden stärker auf die Partei hören müssen, und dort sehen bei weitem nicht alle Schwarz-Grün als den nächsten logischen Schritt. Die CSU will außerdem auch ein gewichtiges Wort mitreden – und dort gelten vielerorts die Grünen noch als natürlicher Feind der Schwarzen.

Und wenn die deutschen Grünen tatsächlich bei der nächsten Bundestagswahl ihre schönen Umfragewerte in prächtige Wahlergebnisse verwandeln, dann werden sie mit sehr breiter Brust zu Verhandlungen kommen. Koalitionsfreie Räume wie in Österreich lehnen sie ab. Die Wiener Koalition taugt daher allenfalls als Inspiration. Eine Kopie wird es davon in Deutschland nicht geben. (Birgit Baumann, 5.2.2020)