Jungtiere profitieren auch während der Wintermonate vom Körperkontakt mit den erwachsenen Tieren.
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Pflanzenfressende Tiere haben es im Winter nicht leicht: Sie müssen nicht nur der Kälte trotzen, sondern finden auch kaum Nahrung. Viele Arten entziehen sich dem Problem, indem sie einige Monate Winterschlaf halten. Was so gemütlich klingt, ist in Wirklichkeit ein komplexes Geschehen, das bei verschiedenen Arten recht unterschiedlich ablaufen kann. In jedem Fall hat es mehr mit dem Tod gemeinsam als mit Schlaf.

Die gängige Vorstellung, dass sich Winterschläfer im Herbst in ihren Bau zurückziehen, die nächsten Monate durchschlafen und im Frühling wieder aufwachen, entspricht nicht der Realität. Echter Winterschlaf bedeutet nämlich eine enorme Reduktion aller Stoffwechselvorgänge: Die Körpertemperatur sinkt auf zwei bis drei Grad, die Atemfrequenz auf durchschnittlich einmal pro Minute, der Herzschlag auf durchschnittlich fünfmal pro Minute, und die Hirntätigkeit setzt fast aus. In der Wissenschaft nennt man diesen Zustand Torpor, nach dem lateinischen Begriff für "Erstarrung".

Vorübergehende Torporphasen

Solche Torporphasen können mehrere Tage bis maximal zwei Wochen dauern, aber nie den ganzen Winter. Und was machen die Tiere dazwischen? "Sie schlafen", wie Carina Siutz vom Department für Verhaltensbiologie der Universität Wien erklärt. Gemeinsam mit Eva Millesi vom selben Department arbeitet sie seit vielen Jahren an einem gefährdeten heimischen Winterschläfer, dem Feldhamster. Dabei haben die beiden auch über seine Winterschlafgewohnheiten Erstaunliches herausgefunden.

Prinzipiell gibt es zwei Möglichkeiten, den Winter im Bau zu überleben: entweder durch das Anfressen entsprechender Fettreserven oder durch das Anlegen von Nahrungsvorräten. Welche Variante bevorzugt wird, ist gewöhnlich artspezifisch – beim Feldhamster hängt das jedoch eher vom Geschlecht ab. Hamster-Weibchen sammeln im Herbst Vorräte, die sie für den Winter im Bau lagern, und suchen diesen gewöhnlich ab Oktober auf. Die Männchen hingegen horten deutlich weniger Vorräte im Bau. Stattdessen fressen sie sich einen größeren Fettvorrat an und beginnen schon einen Monat früher mit dem Rückzug unter die Erde. Verantwortlich für diese Unterschiede ist die Fortpflanzung.

Feldhamstermännchen fressen sich für den Winter fett, die Weibchen legen dagegen Vorräte an.
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Horten und fressen

Während viele winterschlafende Arten oft eine oder sogar mehrere Saisonen auf Reproduktion verzichten, ziehen Feldhamster jedes Jahr bis zu drei Würfe auf. Genauer gesagt: Feldhamster-Weibchen, denn die Männchen beteiligen sich nicht daran. Zum Anlegen großer Fettreserven bleibt den Weibchen dann kaum noch Zeit, also tragen sie mehr Vorräte ein. Die Männchen ihrerseits verbrauchen enorme Energien, indem sie sich während der Fortpflanzungszeit mit so vielen Weibchen wie möglich paaren, deren Baue sie aufsuchen. Dabei müssen sie ihren eigenen Bau immer wieder wechseln, und unter diesen Umständen dürfte sich das Vorräte-Anlegen nicht auszahlen.

Die Weibchen gehen jedoch nicht nur später unter die Erde, sie beginnen auch später mit den Torporphasen: erst zwischen Mitte November und Anfang Jänner, wie Siutz und Kolleginnen mithilfe von winzigen Temperatur-Loggern zeigen konnten, die sie den Tieren implantierten.

Unterschiedliche Strategien

"Das Anlegen von Vorräten erlaubt den Hamstern, ihren Winterschlaf extrem flexibel zu gestalten", sagt Siutz, "sie können die Häufigkeit und Länge der Torporphasen nach der Quantität und der Qualität der Vorräte im Bau gestalten." Das zeigte sich auch, als Siutz und ihre Kolleginnen den Hamstern im Herbst Sonnenblumenkerne vor den Bau legten: Ausgestattet mit dieser energiereichen Nahrung gingen auch die Männchen später in den Bau und legten weniger Torporphasen ein.

Völlig anders gestaltet sich der Winterschlaf bei Murmeltieren. Zwar senken sie Körpertemperatur und Stoffwechsel genauso dramatisch ab und durchlaufen dieselben Wechsel von Torpor und Schlaf, aber damit enden die Ähnlichkeiten. Im Unterschied zu den einzelgängerischen Hamstern setzen Murmeltiere auf Gruppenkuscheln gegen die Kälte. In jedem Territorium leben ein Paar und dessen Nachkommen, die teilweise vier bis fünf Jahre alt sein können. Auf diese Weise können sich in einem Bau bis zu 20 Tiere befinden, die während der sechs bis sieben Winterschlafmonate ausschließlich von ihren Fettreserven leben.

Im Unterschied zu den Hamstern setzen Murmeltiere auf Gruppenkuscheln gegen die Kälte.
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Energiespareffekt

Das Gruppenkuscheln ist dabei überlebenswichtig – ganz besonders für Jungtiere, wie Walter Arnold vom Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie der Veterinärmedizinischen Universität Wien und seine Mitarbeiter herausgefunden haben. Während sich im Sommer nur die Weibchen um die Jungen kümmern, sind es im Winter die Männchen, die für deren Durchkommen sorgen. Nicht nur nehmen sie die Jungen in die Mitte, sie bleiben auch im tiefen Torpor etwas wärmer als diese und wärmen sie dadurch sozusagen aktiv.

Zusätzlich profitieren die Jungtiere von einem weiteren Faktor: Bei den hoch synchronisierten Aufwärmepisoden zwischen den Torporphasen wachen die älteren Männchen etwas früher auf, halten dabei aber Körperkontakt mit den Jungen. "Dadurch werden die Juvenilen auf bis zu zwölf bis 15 Grad passiv aufgewärmt", sagt Arnold, "und das bedeutet eine gewaltige Energieersparnis für ihr eigenes Aufwärmen."

Dementsprechend reduziert sich die Sterblichkeit von Murmeltieren, je nachdem wie viele Tiere in einem Bau überwintern. "Wenn eine Familie nur aus dem Gründerpaar und seinem ersten Wurf besteht und das Männchen etwa erschossen wird, stehen für den Rest die Chancen, den Winter zu überleben, schlecht", sagt Arnold, "und mit jedem erwachsenen Männchen in der Gruppe sinkt die Wintermortalität exponentiell."

Energiesparen für die Fortpflanzung

Gibt es keine oder nur sehr entfernt verwandte Junge im Bau, heizen die Erwachsenen übrigens nicht: Dann sinkt ihre Körpertemperatur auf den Wert der Jungen. Die Weibchen beteiligen sich an diesen Aktionen in jedem Fall kaum bis gar nicht – "die müssen ihre Energie für die Fortpflanzung sparen", sagt Arnold.

Bei allem Energiespareffekt ist Winterschlaf jedoch nicht kostenlos. "Während der Torporphasen kommt es zu Zell- und Hirnschäden", sagt Siutz. Kognitive Beeinträchtigungen durch den Torpor konnte Eva Millesi schon vor einigen Jahren an Zieseln zeigen: Sie brachte den Tieren bei, in einem Labyrinth schnurstracks zur Belohnung zu finden. Dann hielt eine Hälfte der Ziesel Winterschlaf, die andere wurde warm und wach gehalten. Danach fanden nur noch Letztere den Weg durchs Labyrinth – die Torpor-Ziesel hatten ihn offenbar vergessen. Davon abgesehen, werden Schäden, die im Zuge des Torpors entstehen, aber während der Aufwärmphasen wieder repariert. (Susanne Strnadl, 5.2.2020)