Der Gräberberg von Assiut hat sich als ergiebige Fundstätte erwiesen.
Foto: Fritz Barthel

Assiut ist kein klingender Name wie Luxor oder Theben – dabei war die Stadt in Mittelägypten vor rund 4.000 Jahren ein bedeutendes kulturelles Zentrum, wie die Universität Mainz berichtet. Doch ist sie auf mehrfache Weise versunken: zum einen unter den Ablagerungen von Nilüberschwemmungen, zum Teil wurde sie auch einfach überbaut. Die gleichnamige Stadt, die sich dort heute befindet, hat etwa 460.000 Einwohner.

Immerhin hat sich ein Gräberberg im Westen der Stadt gehalten. Erste Dokumentationen über einzelne Gräber stammen noch von der Ägypten-Expedition unter Napoleon Bonaparte im Jahr 1799. Nur wenig später brachten Steinbrucharbeiten Gräberdecken oder Eingänge zum Einsturz. Raubgrabungen und archäologische Unternehmungen im 19. und frühen 20. Jahrhundert führten zu Plünderungen, wertvolle Grabbeigaben gelangten meist ohne ausreichende Beschreibung des Fundkontextes in Museen in der ganzen Welt.

Wieder ans Licht geholt

Bis vor Kurzem sei daher nur wenig über die Geschichte des alten Assiut bekannt gewesen. Doch das Bild verändere sich, seitdem ein deutsch-ägyptisches Kooperationsprojekt mit der Erforschung des Gräberbergs Assiut al-gharbi im Westen der Stadt begonnen hat, das mittlerweile seit 16 Jahren läuft. Ans Licht kamen dabei monumentale Fürstengräber, Schachtanlagen, vielfältige Deckenmuster und farbenprächtige Wanddekorationen, Inschriften und Grabbeigaben.

"Die Funde erweitern unsere Kenntnisse über die Geschichte und Kunst einer Region, die in den Epochen der Ersten Zwischenzeit und des Mittleren Reichs einen kulturellen und wirtschaftlichen Aufschwung erlebte", sagt Ursula Verhoeven-van Elsbergen von der Uni Mainz. "Assiut spielt damit eine wichtige Rolle für das kulturelle Gedächtnis Ägyptens."

Wechselvolle Geschichte

Die großen Fürstengräber des "westlichen Wüstenbergs von Assiut" entstanden den Forschern zufolge in der Ersten Zwischenzeit und dem Mittleren Reich, also etwa 2200 bis 1900 vor unserer Zeitrechnung. Das 200 Meter hohe Kalksteinmassiv diente aber nicht nur Menschen der Pharaonenzeit als Friedhof, sondern später auch Christen und Muslimen. Außerdem war es Bestattungsplatz für Tiere, antiker und frühneuzeitlicher Steinbruch, Ausflugsziel, Rückzugsort für Eremiten, Standort von koptischen Klöstern und schließlich Jahrzehnte lang militärisches Sperrgebiet.

Aufgrund von Hinweisen eines lokalen Wächters wurde 2005 ein bislang gänzlich unbekanntes Grab entdeckt, das beinahe vollständig verschüttet war und das der Regionalfürst Iti-ibi(-iqer) etwa 2000 vor unserer Zeitrechnung angelegt hatte. "Dieses Grab N13.1 entstand in einer Zeit des politischen Umbruchs und ist daher historisch wichtig, aber es hat auch gut erhaltene und ungewöhnliche Wanddekorationen", sagt Verhoeven-van Elsbergen.

Aufschlussreiche Graffiti

Ein besonderer Schatz seien zudem 215 Tuschegraffiti, die 500 bis 900 Jahre später von Besuchern angebracht wurden: Sie enthalten lobende Erwähnungen der lokalen Tempel, Schreib- und Zeichenübungen und umfangreiche Auszüge von berühmten Lebenslehren, die bislang meist nur aus Theben überliefert waren. Der längste dieser Texte verläuft über mehrere Wände, misst 11 Meter und ermöglichte wichtige literaturgeschichtliche Erkenntnisse.

Die in den Besuchertexten enthaltenen Informationen über Personen, Gottheiten und Tempelanlagen von Assiut im Neuen Reich (ca. 1550-1070 v. u. Z.) sind für Archäologen besonders wertvoll, da der Friedhof dieser Epoche bislang nicht entdeckt wurde. "Das sind oft wunderbare Texte. Einzigartig ist etwa ein Lied, das in mehreren Strophen und mit phantasievollen Vergleichen die Schönheit des Gesichts der lokalen Göttin Hathor beschreibt", so Verhoeven-van Elsbergen.

Ein weiterer Höhepunkt war für die Projektbeteiligten die Entdeckung bis dahin unerforschter Bestattungsschächte, darunter ein 28 Meter tiefer Schacht in Grab I, der erst nach sechs Kampagnen vollständig freigelegt war. Dieses größte Grab auf dem Gebel Assiut al-gharbi, das in diesem Jahr für Touristen freigegeben werden soll, gehörte dem Fürsten Djefai-Hapi I. (um 1900 v. u. Z.). Es war in seiner ursprünglichen Form mindestens 120 Meter lang und ist heute noch auf einer Länge von 55 Metern erhalten. Die Decken sind bis zu 11 Meter hoch.

Der Öffentlichkeit präsentiert

Neben einer Ausstellung, die bis Ende Jänner an der Universität Mainz gezeigt wurde, veröffentlichen die Forscher ihre Grabungsergebnisse auch in der Reihe "The Asyut Project". 12 Bände sind bisher erschienen, weitere in Vorbereitung. "Durch die Forschungen am Gräberberg und unsere Dokumentation hat die Stadt ihre ursprüngliche Bedeutung zurückerhalten", sagt Verhoeven-van Elsbergen. "Assiuts Rolle in der Geschichte Ägyptens konnte wiederbelebt werden." (red, 9. 2. 2020)