Wie nicht nur vielen Wienerinnen und Wienern bekannt, ist der Karlsplatz ein spannender Ort im Herzen der Bundeshauptstadt! Verständlich also, dass im Zuge der anstehenden Umbauarbeiten für das Wien-Museum archäologische Untersuchungen eingeplant wurden. So war es Martin Mosser, Archäologe und Projektleiter der Stadtarchäologie Wien, und seinem Grabungsteam in Kooperation mit der Grabungsfirma Novetus zwischen 7. Oktober 2019 und 17. Jänner 2020 möglich, die neuzeitliche Geschichte des Platzes zu erforschen. Ausgangspunkt der aktuellen Maßnahme bot der geplante Tiefenspeicher am Vorplatz des 1959 vom Architekten Oswald Haerdtl errichteten Historischen Museums der Stadt Wien.

Die Ergebnisse der Ausgrabung bieten einen Einblick in die jüngere Geschichte inklusive der Entwicklung von einer Verkehrsfläche zum Platz und die – damit im Zusammenhang stehenden – sich verändernden topografischen Verhältnisse.

Die Straßenoberfläche um 1.700 mit Radspuren und Ausbesserungen.
Foto: Stadtarchäologie Wien
Pfostengruben im Straßenuntergrund des späten 19. Jahrhunderts erinnern an das probeweise aufgestellte Fassadenmodell des von Otto Wagner geplanten Stadtmuseums.
Foto: Stadtarchäologie Wien

Vor gar nicht allzu langer Zeit

Knapp unter dem heutigen Gehniveau wurden Fundamente aus Magerbeton freigelegt, die einen beinahe vergessenen, dem Verkauf von Luxuswaren dienenden Bau wieder zutage brachten. Die "Verkaufshallen" (1922–1934) sollten in der Zwischenkriegszeit der Ankurbelung der Wirtschaft dienen. Eine darunter angetroffene Pfostenstellung lässt schließlich aufgrund ihrer Ausmaße und ihrem der damaligen Parzellengrenze folgenden Verlauf annehmen, dass sie auf die 1909/1910 probeweise vor Ort aufgestellte Fassadenschablone des von Otto Wagner geplanten Stadtmuseums zurückgeht. Ihr Aufdecken stellt damit durchaus eine Sensation dar und bestätigt die Entscheidung, den Aushub bereits von Beginn an archäologisch zu betreuen.

Beim weiteren Abtiefen wandelte sich das Erscheinungsbild allerdings. Galt es doch seither, Planierschichten, Schwemmsande und Straßenreste freizulegen. Die für die Platzentwicklung nicht unwesentlichen Schichtpakete führten dazu, dass das Gehniveau am Karlsplatz um mehr als 4,5 Meter anstieg. Während die verschiedenen Planierungen mit den Wienflussregulierungen der Jahre 1867 und 1899 im Zusammenhang stehen, sind die angetroffenen Schwemmsande auf die belegbaren Wienflusshochwasser zurückzuführen.

Mächtige Schichtpakete und Straßenschotterungen charakterisieren Grabungsprofil und Untergrund des Wien-Museums.
Foto: Stadtarchäologie Wien
Der zweitälteste Straßenkörper mit seinen signifikanten Rillen.
Foto: Stadtarchäologie Wien

Täglich grüßt der Straßenschotter

Gleichzeitig wurden fünf Straßen angeschnitten, die innerhalb von nur 200 Jahren – leicht nach Norden oder Süden versetzt – errichtet wurden, um das südliche Wienflussufer zu begleiten. Wie sollte man die aber zeitlich einordnen? Während das frisch geborgene Fundmaterial noch auf die Erstversorgung in Form von Reinigung und Grobansprache wartet, konnte man sich vorerst auf altes Planmaterial stützen. In diesem Zusammenhang ist mit dem Plan von Steinhausen (1710) bis zum Stadtplan aus dem Jahr 1887 – übrigens allesamt über den digitalen Stadtplan der Stadt Wien abrufbar – davon auszugehen, dass die älteste Straße vor 1710 errichtet wurde, während die jüngste vor 1887 angelegt worden sein musste.

Mit der zeitlichen Zuordnung fällt auch auf, dass die älteste angetroffene Straße Zeitzeugin der Errichtung der benachbarten Karlskirche war, die zwischen 1716 und 1739 nach der Pestepidemie von 1713 auf den damals noch wahrnehmbaren Ausläufen eines Hügels erbaut wurde. Und während sich der Sakralbau in unserer heutigen Wahrnehmung kaum vom Gehniveau auf dem Karlsplatz absetzt, betrug der beachtliche Niveauunterschied anno dazumal immerhin rund sechs Meter.

Blickwinkel von der ältesten angetroffenen Straße auf die Karlskirche zur Zeit ihrer Entstehung.
Foto: Stadtarchäologie Wien

Insgesamt bieten die aufgedeckten, bis zu rund 16 Meter breiten Straßenkörper aus verschiedenen Schotterpaketen hinsichtlich ihrer Zusammensetzung und ihres Aufbaus natürlich auch einen wunderbaren Einblick in die Geschichte des neuzeitlichen Straßenbaus. Eine Verfeinerung der Aussage ermöglichen ebenfalls dokumentierte Radspuren, Ausbesserungsmaßnahmen, Straßengräben oder Baumreihen sowie ab dem 19. Jahrhundert nachweisbare Kopfsteinpflasterungen mitsamt funktioneller Infrastruktur. In diesem Zusammenhang ist erwähnenswert, dass die gepflasterte Straße des fortgeschrittenen 19. Jahrhunderts bereits über eine Gaslaternenbeleuchtung – in Künetten verlegte Gasleitungen boten ein eindeutiges Indiz – und einen aus Ziegeln gemauerten Kanal verfügte, der der Entwässerung zum Wienfluss diente. Aufgrund des zwischen 1858 und 1869 produzierten Baumaterials von Heinrich Drasche aus den Werken Guntramsdorf, Biedermannsdorf und Vösendorf ist eine Erbauung im Zuge der Regulierung des Wienflussbettes 1867 anzunehmen. Et voilà: Fund- und Planmaterial bestätigen die zeitliche Einordnung der jüngsten auf dem Karlsplatz angetroffenen Straße.

Das aussagekräftige Baumaterial des aus Ziegeln gemauerten Kanals des späten 19. Jahrhunderts.
Foto: Stadtarchäologie Wien

Wiener Schluss

Nach Abschluss der Grabung gilt es, neu gewonnene Fragen zu beantworten und alte Annahmen zu hinterfragen. So bleibt es spannend, ob die untersten, von der Stadtarchäologie Wien dokumentierten Schichten mit der zweiten Türkenbelagerung 1683 oder der Errichtung der frühneuzeitlichen Befestigung im Zusammenhang stehen. Aber auch die bereits durch Altfunde verifizierte römerzeitliche Limesstraße wartet auf ihre neuerliche Aufdeckung. Während nämlich beim Bau des Künstlerhauses 1865 die Limesstraße – sie verband die Lagervorstadt von Vindobona in der Wiener Innenstadt mit der Zivilsiedlung im Bezirk Landstraße – angeschnitten wurde und rund 30 Jahre später bei der Einwölbung des Wienflusses Architekturteile von Grabädikulen aufgedeckt wurden, erbrachte die aktuelle archäologische Maßnahme keine entsprechenden Ergebnisse. Auch in welcher Tiefe die Strukturen liegen, bleibt bislang unbeantwortet, macht den Karlsplatz mit dem Wienfluss aber weiterhin zu einem archäologischen Verdachtsgebiet. (Constance Litschauer, 6.2.2020)