Die eigenen Stiefkinder in spe wollen in der Schneehölle nicht und nicht parieren: Riley Keough erlebt fernab der Zivilisation ihr blaues Wunder.

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Frischgebackene Halbwaisen gemeinsam mit der Stiefmutter in spe zum ersten Kennenlernen in einer einsamen Berghütte einquartieren: Eine schlechtere Idee kann man sich kaum vorstellen. Da schlechte Ideen aber der Katalysator jedes Horrorplots sind, geht es schon in Ordnung, wenn Veronika Franz und Severin Fiala für ihre erste englischsprachige Produktion The Lodge mit Co-Autor Sergio Casci dieses Szenario wählen.

Vieles erinnert dabei an Ich seh Ich seh, das international erfolgreiche Spielfilmdebüt des österreichischen Regieduos. Zwei Kinder mit einer Vorliebe für urtümliche Haustiere (2014 Fauchschaben, diesmal Salzkrebse), eine nicht akzeptierte Mutterfigur und die ständige Ungewissheit, wem hier zu trauen ist. Damit werden teils ähnliche Themenfelder durchmessen, letztlich schlägt The Lodge aber einen anderen Weg ein. Die Schrecken, die auf dem düsteren Pfad lauern, sind jedoch wohlvertraute Elemente der Genre-Folklore. Dielen knarzen, Taschenlampen blenden, Nasen bluten, rissige Madonnenbilder krachen auf den Boden.

Hüttenzauber

Der Einstieg ist furios inszeniert. Laura (Alicia Silverstone) bringt ihre Kinder Mia und Aiden (Lia McHugh und Jaeden Martell) zu deren Vater Richard (Richard Armitage). Dessen Eröffnung, dass er und seine junge Freundin Grace heiraten wollen, kommt nicht gut an. Wenige Monate später ist Laura tot, das Verhältnis zwischen Vater und Kindern angespannt. Fehlt zu allem Unglück nur noch Richards Idee, die Weihnachtstage in der titelgebenden Hütte zu verbringen. Nicht nur, dass der wuchtige Holzbau voll von Erinnerungen an heile Zeiten ist – da Richard vor Heiligabend noch zu arbeiten hat, sollen Grace (Riley Keough) und die Kinder die ersten Tage zu dritt in der Abgeschiedenheit damit verbringen, miteinander warm zu werden.

KinoCheck

Als würden Mutterloyalität und Stiefmuttermalus noch nicht reichen, wissen Mia und Aiden von ihrer Mutter, dass Grace einen Knacks hat. Ihr Vater war der Führer einer christlichen Weltuntergangssekte, sie selbst ist die einzige Überlebende der Gruppenhimmelsfahrt. Der heimliche Griff zum Pillendöschen und die offensichtliche Reserviertheit gegenüber allen Relikten von Lauras Katholizismus sind deutliche Zeichen, dass das Trauma noch nicht ganz überwunden wurde.

Wie sich das Hüttenleben im weiteren Verlauf gestaltet, darf trotz gewisser Vorhersehbarkeiten nicht verraten werden. Bis zum finalen Akt, in dem der Film noch einen kleinen Haken schlägt, liegt der Fokus aber nun ganz auf Grace und der Frage, was diese in eine Abwärtsspirale treibt: die Dämonen der eigenen Vergangenheit, die jeden Annäherungsversuch unterlaufenden Kinder oder ein fauler Hüttenzauber?

Holz kann alles

Neben der Elvis-Enkelin Keough wird das Haus so oder so zum zweiten Hauptdarsteller. Was Holzvertäfelungsfetischisten zum Jauchzen bringen könnte, zeigt die bevorzugt die Decke entlangstreichende Kamera von Thimios Bakatakis als Sarg, in dem die Bewohner lebend begraben sind. Ständige Düsternis und in schrägem Winkel gefilmte Großaufnahmen drehen weiter an der Klaustrophobieschraube. Auch als Zuseher sehnt man sich danach, der Enge zu entfliehen. Doch die Ausflüge ins Freie bringen keine Erlösung. Im unendlich scheinenden Winterweiß können weder Auge noch Mensch Halt finden.

So geht es wieder hinein in die böse Stube, dem Horror der eigenen Familie kann man schließlich nicht entkommen. Franz und Fiala halten sich dabei mit Schockeffekten zurück, auch wenn sie sehr wohl wissen, wie man Zuckreflexe auslöst. Ruhe, enervierende musikalische Ausbrüche (Danny Bensi und Saunder Jurriaans) und eine Vielzahl falscher Fährten bilden das Material der Nervenprobe. Eine gewisse Monotonie und Unstimmigkeiten der Handlung nehmen die Filmemacher dabei in Kauf, eine vertiefende Reflexion etwa zur symbolisch dominanten Religiosität lassen sie außen vor.

The Lodge bleibt handwerklich überzeugend und erfreut zudem mit einer erwärmenden Darstellung des schon von Andreas Gabalier als österreichisches Kulturgut besungenen Scheitelkniens. Ein Auftritt der beschnäuztuchten Volkstolle bleibt aus. Wäre auch zu viel des Grauens. (Dorian Waller, 6.2.2020)