Bob Marley 1973 in London. In dem Jahr erschien sein Album "Catch A Fire". Heute wäre der Superstar 75 Jahre alt geworden.

Dennis Morris / Universal Music

An Talenten mangelte es nicht. Jamaikanische Musik in den 1960ern war lebenslustig, heiß und scharf und für viele die einzige Chance auf sozialen Aufstieg. Die Musik stand unter dem Eindruck von Stilen wie Mento und Calypso sowie eines kulturellen Imports, der aus dem Süden der USA kam: von Soul, Jazz und dem Rock ’n’ Roll eines Fats Domino. So entstanden Rocksteady und Ska; aufgeregte Partystile und die Vorläufer des Reggae.

Erst als man unter dem Eindruck der Hippie-Kultur und deren Affinität zur Rockmusik den Rhythmus bremste, die Bläser ausblendete und verstärkt auf Gitarre setzte, war Reggae geboren. Die erste Erwähnung des Begriffs wird dem Stück Do The Reggay von Toots Hibbert zugeschrieben, das er 1968 mit den Maytals veröffentlicht hat.

Toots & the Maytals bringen den Begriff Reggae zur Welt.
BigChrees

Der größte Star des Fachs wurde Bob Marley. Heute wäre er 75 Jahre alt geworden. 1977 stellte man bei ihm Hautkrebs fest, doch anstatt die betroffene Zehe amputieren zu lassen, ging er weiter auf Tour. Nachdem ihn ein bayerischer Quacksalber monatelang alternativmedizinisch behandelt hatte, starb er am 11. Mai 1981 in einem Krankenhaus in Miami: Der Krebs hatte Hirn und Lunge angegriffen.

Zwar wurde Marley nur 36 Jahre alt, doch als erster Superstar eines Entwicklungslandes veränderte er die Wahrnehmung der Popkultur für immer. Länder, die früher weiße Flecken auf der Landkarte der populären Musik waren, kamen sukzessive in den Fokus findiger Verwerter und Fans. Dass afrikanische Stile heute wie selbstverständlich als Ursprung großer musikalischer Ideen anerkannt sind, liegt nicht zuletzt an Marley.

Zum Klischee verkommen

Doch dieser Einfluss ist verstellt von einem kommerzialisierten Klischee. Die Wahrnehmung Marleys verkam über die Jahre zu der eines weichgerauchten Weltverbesserers. Seine Musik wurde zum Hintergrundgeplätscher degradiert, zum Urlaubssoundtrack: Sandstrand, Palmen, Meer – schon läuft irgendwo Buffalo Soldier oder Get Up, Stand Up – ihrer eigentlichen Bedeutung längst vollständig beraubt.

Stir It Up live.
Bob Marley

Dabei verstand der am 6. Februar 1945 geborene Sänger seine Musik als Rebel Music. Als Beitrag für soziale und politische Veränderung in seiner 1962 von den Briten in die Unabhängigkeit entlassenen Heimat. Dafür stellte er sich in turbulenten Zeiten auf die Bühne, dafür kassierte er 1976 bei einem Anschlag auf sich und seine Familie eine Kugel in die Brust, eine weitere in den Arm. Aufhalten ließ er sich davon nicht. Zwei Tage später stand er unter Schmerzen vor 80.000 Besuchern auf der Bühne des Smile Jamaica Concert, das der damalige Premierminister Michael Manley inszeniert hatte, um die sozialen Spannungen im Land abzukühlen.

Exil in England

Marley war die perfekte Identifikationsfigur. Als Kind einer Nachkommin afrikanischer Sklaven und eines Briten kannte er das Leben im Ghetto. Dort war er aufgewachsen, dort verteilte er später seinen Reichtum. Dennoch floh er nach dem Anschlag auf sein Leben nach England.

Über den Umweg der kalten Welt hat ihn Chris Blackwell in den frühen 1970ern berühmt gemacht. Der leitete mit Island Records das damals größte Independent-Label der Welt. Und als die jamaikanische Diaspora und andere Zuwanderer aus ehemaligen Kolonien des Vereinigten Königreichs die Diskriminierung in England nicht weiter ertragen wollten, Stichwort Notting Hill Riots (1976), kam Marley gerade recht.

Der Titelsong des Albums Natty Dread.
el perro reggae

Er war ein Protagonist dieser Revolution von unten. Seine umstürzlerischen Songs ermutigten die Unterdrückten, weshalb Reggae sogar im Punk von Bands wie The Clash Niederschlag fand. Umgekehrt stand Marleys 1977er-Album Exodus unter dem_Eindruck von Punk. Dieser Mix aus Einflüssen und Zeitgeist bescherte ihm in vielen Ländern Top-Ten-Hits.

Freigeist aus dem Ghetto

Als Anhänger der damals selbst in seiner Heimat geringgeschätzten Rastafari-Religion nahm er freiwillig die Rolle des Parias ein und veränderte sie. Er war angetan von Che Guevara, von den Idealen der Black Panther und getrieben vom Wunsch, die Welt für seinesgleichen besser und gerechter zu machen. Weisheit suchte er im Rauchgras, ob er fündig wurde oder als Produkt seiner Umgebung zu der herausragenden Persönlichkeit wurde, die er war – geschenkt. Marley war ein_Freigeist, der sich aus dem Ghetto gekämpft hat und dabei am liebsten alle mitgenommen hätte, denen das nicht aus eigener Kraft gelang.

Der Titelsong seines 1977er-Albums Exodus.
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Marley war kein großer Musiker, er brachte sich das Gitarrespielen nur unter großen Kraftanstrengungen bei. Doch er war ein begnadeter Songwriter. Er schöpfte aus eigener Erfahrung und setzte seine Lieder mit schweren Drums und Bässen in Schwingung: Seine die Welt umarmende Message One Love vermählte er 1977 mit dem Song People Get Ready der Band The Impressions. Marley war wie deren Curtis Mayfield unbeirrbarer Optimist, ein Verführer zum Guten in schlechten Zeiten.

Bob Marley und Curtis Mayfield – Brüder im Geiste.
GreatestHitsRadio

Seine Lieder überdauern nun schon seit über vier Jahrzehnten Trends und Moden. Nennen wir es Klasse, nennen wir sie Klassiker. Das 1984 posthum erschienene Best-of-Album Legend ist hierzulande jedes Jahr monatelang in den Charts – bezeichnenderweise immer nach der Urlaubssaison. Weltweit sollen wöchentlich immer noch 3.000 bis 5.000 seiner Alben über die Ladentische gehen. Schön für die 22 Kinder, die er mit seiner Frau Rita und anderen Damen gezeugt haben soll.

Riskiert man ein Ohr abseits der bekannten Hits, offenbart sich, dass auch die weniger bekannten Songs und Alben wahre Perlen sind und bergen. Es muss nicht immer No Woman, No Cry sein. Andererseits: Als die New Yorker Fugees 1996 mit ihrem Erfolgsalbum The Score Hip-Hop endgültig in den Mainstream überführten, haben sie genau den Song gecovert. (Karl Fluch, 6.2.2020)