Justizministerin Nicole Belloubet musste im Fall des Mädchens Mila zurückrudern.

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Mila ist 16, und die in den französischen Voralpen lebende Mittelschülerin schaut mit ihren hellen Augen drein, als könne sie kein Wässerchen trüben. Außer als sie im Jänner mit Altersgenossen über sexuelle Dinge chattete. Als sie befand, sie stehe nicht auf Maghrebinerinnen, wurde sie von einem Jugendlichen, der sie zuerst umworben hatte, wegen ihrer Homosexualität beleidigt. Der Livechat artete aus, Mila befand, sie hasse Religionen. "Der Islam ist eine Religion des Hasses, das ist Scheiße. Eure Religion ist Scheiße, eurem Gott stecke ich den Finger in den A..."

Sofort war Feuer am Dach. Mila sah sich nun schwerstens attackiert, ihre Identität wurde enthüllt und herumgereicht. Sie erhielt auch Morddrohungen und kann seitdem nicht mehr zu Schule gehen. Als der Fall in die Medien kam, eröffnete die Justiz zwei Untersuchungen, eine wegen "Anstachelung zum Hass wegen Zugehörigkeit zu einer Religion" gegen Mila, eine zweite wegen Belästigung und Bedrohung gegen unbekannt.

Justizministerin Nicole Belloubet meinte daraufhin, die Beleidigung einer Religion stelle eine Attacke auf die Gewissensfreiheit dar, auch wenn dies noch lange nicht eine gewalttätige Reaktion rechtfertige. Weniger bemüht um einen Ausgleich, stellte sich Marine Le Pen dezidiert hinter Mila. Die Vorsteherin des Rassemblement National (RN) zog einen Vergleich zum Satiremagazin "Charlie Hebdo" und seinen Mohammed-Karikaturen, die 2015 zu einem mörderischen Terroranschlag auf die Redaktion mit elf Todesopfern geführt hatten. Alsbald tauchte auf Twitter der Hashtag #jesuismila auf.

Justizministerin rudert zurück

Die aggressiven Voten waren allerdings nicht angetan, eine Grundsatzdebatte über Religions- oder Islamkritik auszulösen. Das Reizthema polarisiert in Frankreich ohnehin zu stark. Die vermittelnde Justizministerin musste zurückrudern und erklären, ihre Kritik an Mila sei "ungeschickt" gewesen. Der Vertreter des französischen Muslimrates CFCM, Abdallah Zekri, geriet unter Beschuss, weil er erklärte, Mila habe die Reaktionen "gesucht". Zugleich hatte er aber auch die Morddrohungen als inakzeptabel verurteilt.

Über das – in Frankreich ungeschriebene – Recht auf Blasphemie ließe sich durchaus diskutieren. Die friedfertige Mehrheit der französischen Muslime hätte dazu durchaus etwas zu sagen. Anderen Franzosen gehen die bewusst provokativen Karikaturen ebenfalls zu weit. Doch die Instagram-Falle schnappte zu: Differenzieren ist nicht mehr gefragt; das Wort haben die Extremisten. Le Pen sucht auch nicht die Debatte. Wenn sie sich vor linke Magazine wie "Charlie Hebdo" stellt, geht es ihr nicht um Blasphemie oder Meinungsfreiheit, sondern um den Islam. Die ihr nahestehende Zeitschrift "Causeur" bezeichnet die Attacken auf Mila als "schulischen Jihad".

Mila unter Polizeischutz

Die französische Justiz versucht sich von der aufgeheizten Atmosphäre nicht beeinflussen zu lassen. Sie ermittelt mit Nachdruck gegen die Urheber der Morddrohungen. die Abklärungen gegen das Mädchen hat sie nach einer ersten Prüfung eingestellt. Innenminister Christophe Castaner hat Mila und ihre Familie mittlerweile unter Polizeischutz gestellt, obwohl die Verbalangriffe abflauen.

Mila selbst hat diese Woche erstmals Stellung genommen. In einem Interview erklärte sie, sie habe nicht Personen angreifen wollen, sondern eine Religion. "Ich entschuldige mich ein klein bisschen bei den Personen, die ich verletzt haben mag und die ihre Religion im Frieden ausüben", führte sie aus.

Das klang dann doch etwas überlegter als ihre vulgären Instagram-Sprüche. Langsam mehren sich auch besonnenere Stimmen zu Wort. Die sozialistische Ex-Präsidentschaftskandidatin Ségolène Royal, die auf dem rechten Flügel ihrer Partei sonst eher islamkritische Positionen vertritt, erklärte, sie wolle sich nicht einem der beiden Extreme anschließen. "Wir haben die Freiheit der Religionskritik. Aber man kann das auch respektvoll tun. Ich verweigere mich einer Debatte aufgrund von biederen Erklärungen eines Teenagers. Mit einem solchen Verhalten kann man nicht ernsthaft über die Frage der Laizität diskutieren." (Stefan Brändle aus Paris, 6.2.2020)