Ein Polizist sitzt im Wiener Landesgericht für Strafsachen wegen schwerer Nötigung auf der Anklagebank.

Foto: APA / HANS PUNZ

Wien – Wenn Verteidiger Rudolf Mayer in seinem Eröffnungsplädoyer von "der einmaligen Tat meines Mandanten" spricht, will er Manfred T. nicht loben, sondern entschuldigen. Und zum Ausdruck bringen, dass es ein "Ausrutscher" gewesen ist, der den 58-jährigen Polizisten vor Richterin Sonja Weis gebracht hat. Er soll am 13. September bei einem Familienstreit den Schlauch aus dem Beatmungsgerät seines körperlich schwer behinderten Sohnes gezogen und erst nach 40 Sekunden wieder angesteckt haben.

Ursprünglich vermutete die Polizei einen Mordversuch, daher verbrachte ihr Kollege auch eine Woche in Untersuchungshaft. Angeklagt ist er nun aber lediglich wegen schwerer Nötigung – T. wollte mit der Aktion erreichen, dass seine Frau ihm einen Autoschlüssel aushändigt.

Schweigsamer Angeklagter

Es war Freitagabend nach 22 Uhr, als der familiäre Konflikt in dem Haus in Wien-Simmering endgültig eskalierte. Der Angeklagte bekennt sich schuldig, macht dann aber von seinem Recht Gebrauch, keine weiteren Angaben zu machen. "Er geniert sich so", entschuldigt ihn Mayer. Also sind die Zuseher darauf angewiesen, sich aus dem Aktenvortrag der Richterin ein Bild der Situation zu machen.

Sicher ist laut Sachverständigen-Gutachten, dass der Beamte damals zwischen 0,67 und 1,07 Promille hatte. "Haben Sie ein Alkoholproblem?", will Weis daher von T. wissen. Der verzichtet klugerweise auf die Schenkelklopfer-Antwort "Nur ohne" und sagt stattdessen: "Ich glaube nicht."

Die psychiatrische Sachverständige Sigrun Roßmanith kam in ihrer Expertise allerdings sehr wohl zum Schluss, dass der Angeklagte damals Alkohol als Selbstmedikamention benutzt hat. Mittlerweile trinke sein Mandant keinen Tropfen mehr, beteuert Mayer, der zu verdeutlichen versucht, dass dem Angeklagten damals alles zu viel geworden sei.

Sohn mit Behinderung geboren

"Er hat schon bei der Einvernahme gesagt: 'Wir hatten eine schwierige Situation'", führt der Verteidiger aus. 37 Jahre ist das Ehepaar T. bereits verheiratet, der Erstgeborene war ab der Geburt eingeschränkt und auf Rollstuhl und Beatmungsgerät angewiesen.

Für Streit sorgte auch immer wieder die Tierliebe der Gattin: Die betreute vier Hunde, zehn Katzen, Meerschweinchen und Hasen. Schon eine Woche vor der angeklagten Tat sei es deshalb zu einer Auseinandersetzung gekommen: T. wollte kein Geld für neue Möbel ausgeben, da die ohnehin von der vierbeinigen Mitbewohnern wieder beschädigt werden würden.

Opfervertreter bittet um mildes Urteil

Auch in der Tatnacht scheint es einen Streit ums Geld gegeben zu haben. Genau weiß man das nicht, da alle als Zeugen geladenen Angehörigen ihr Aussageverweigerungsrecht nutzen. "Die Familie ist wieder so heil wie es geht", erklärt Opfervertreter Wolfgang Renzl dazu. Der Angeklagte lebt wieder bei seiner Familie, nachdem seine Frau und der Sohn beim Bezirksgericht die Aufhebung des Betretungsverbotes erreicht haben. "Ich bin als Opferanwalt in der seltenen Rolle, im Namen meiner Mandanten um ein mildes Urteil zu bitten", führt Renzl aus.

Dass T. den Schlauch nach 40 Sekunden wieder eingesteckt hat, geht aus den technischen Daten des Gerätes hervor, die vom Hersteller ausgewertet worden sind. "Er wollte seinen Sohn nur schrecken", begründet Verteidiger Mayer die Handlung in seinem Schlussvortrag. "Aber hier ist der Rechtsfrieden mittlerweile bereits eingetreten", bitte auch er um ein mildes Urteil.

Weis entscheidet sich rechtskräftig für neun Monate bedingt, womit der Polizist nicht automatisch seinen Posten verliert. Über die interne Strafe entscheidet die Disziplinarkommission. (Michael Möseneder, 6.2.2020)