"Zufriedenheit zahlt keine Pensionen", sagte Sebastian Kurz unlängst auf der internationalen Bühne des Weltwirtschaftsforums in Davos. Damit kritisierte er die Idee einer "Postwachstumsgesellschaft" (im Englischen oft auch "Degrowth" genannt), die angesichts der Klimakrise in letzter Zeit immer mehr Aufmerksamkeit erhält. Ein Ende des wirtschaftlichen Wachstums, so der Bundeskanzler, würde das Ende des Sozialstaats bedeuten. Stattdessen sei Innovation der Schlüssel, um das Klima zu schützen.

Also "Ja" zum Klimaschutz – aber nicht auf Kosten des Wirtschaftswachstums. Mit dieser Haltung sind Kurz und die österreichische Regierung Teil einer neuen politischen Welle, die sich dem Klimaschutz widmet, jedoch ohne das endlose Streben nach Wachstum in Frage zu stellen, das seit Jahrzehnten den Klimawandel befeuert. Auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sieht ihre Klimapolitik als eine "neue Wachstumsstrategie". 

Produktion und Konsum senken

Es ist aber leichtsinnig, die Hoffnung allein auf technologische Verbesserungen zu setzen. Die Politik folgt dieser Strategie nun schon seit über drei Jahrzehnten und ist der Lösung keinen Schritt nähergekommen – im Gegenteil: Trotz technologischem Fortschritt steigen die globalen Emissionen unentwegt weiter. Natürlich ist vieles effizienter geworden, aber das Wachstum der Wirtschaft als Gesamtes ist bis dato stark an einen Anstieg an Emissionen gekoppelt geblieben – und der Traum vom grünen Wachstum damit ein Märchen.

Sogar, wenn wir annähmen, dass Wachstum ohne weitere Emissionen möglich ist, wäre das Problem damit noch lange nicht gelöst. Es geht für das 1,5-Grad-Ziel schließlich nicht darum, Emissionen konstant zu halten, sondern sie bis 2050 auf netto null zu reduzieren. Laut dem neuesten Bericht der UN-Klimaforscher (IPCC) können wir dieses Ziel mit der uns zur Verfügung stehenden Technologie nur dann erreichen, wenn wir Produktion und Konsum insgesamt reduzieren. Klimapolitik, die effektiv Emissionen verringert, steht damit automatisch im Konflikt mit dem Wachstumsziel. Oder anders herum: Klimapolitik, die nicht im Konflikt mit dem Wachstumsziel steht, wird höchstwahrscheinlich nicht effektiv sein.

Aus dieser Perspektive ist es nicht maßgeblich, ob wir nun über einen CO2-Preis, öffentliche Investitionen (Green New Deal), oder ein direktes Verbot des Abbaus oder Imports von fossilen Treibstoffen (Kohleausstieg) diskutieren. Es macht ebenfalls wenig Unterschied, wohin wir unsere Milliarden investieren oder wie viel wir später wieder zurückbekommen. Wir sollten uns in jedem Fall entweder auf ein im Großen und Ganzen geringeres Produktionsniveau oder auf einen Klimakollaps vorbereiten.

Keine Wunderlösungen

Natürlich ist es möglich, dass Innovationen uns Lösungen bieten werden, die wir heute noch nicht vorhersehen können. Viel Hoffnung wird zum Beispiel auf Technologien gesetzt, die Treibhausgase wieder aus der Luft saugen könnten. Solche Wunderlösungen werden allerdings von Wissenschaftern wie Kevin Anderson und Glen Peters als "ungerechtes und risikoreiches Glücksspiel" eingestuft. Es ist ungewiss, was das tatsächliche Potential solcher Ideen ist, was die Nebeneffekte wären, und wie lange es dauern wird, bis sie einsatzbereit sind. 

Schon die Reduzierung des Autokonsums hilft dem Klima.
Foto: AP/Jacqueline Larma

Andere klimafreundliche Technologien verschärfen unter Umständen ökologische und soziale Konflikte. Man bedenke zum Beispiel den Flächen- und Ressourcenbedarf von erneuerbaren Energien und die oft tragischen Arbeitsbedingungen beim Abbau dieser Ressourcen. Wir dürfen daher unseren Blickwinkel nicht auf das Klima reduzieren, denn die Menschheit ist auch mit anderen Problemen wie der globalen Ungleichheit, massivem Artensterben und dem Verlust von Bodenfruchtbarkeit konfrontiert.

Der blinde Glaube an Innovation ist also eine riskante und gefährliche Wette. Angesichts der wenigen Jahre, die uns noch bleiben, um einen ökologischen Kollaps zu verhindern, brauchen wir einen verantwortungsvolleren Plan. Dies ist kein Argument gegen Innovation, sondern eine Warnung davor, auf technologische Wunderlösungen zu hoffen: Mit einer solchen Strategie haben wir geringe Chancen, die Klimakrise zu überwinden.

Kann Wirtschaft ohne Wachstum funktionieren?

Wir brauchen also eine grundlegende Transformation unserer Wirtschaft, die ein gutes Leben für alle ohne Wachstum ermöglicht. Ähnliches fordern bereits die Umweltagentur der Europäischen Union und über zweihundert Wissenschafterinnen und Wissenschafter in einem offenen Brief an die EU. Die Möglichkeit endlosen Wachstums wurde schon vor Jahrzehnten vom Club of Rome, eine NGO für Nachhaltighkeit, und zuletzt auch vom prominenten Umweltforscher Vaclav Smil in Frage gestellt. Und sogar die OECD als auch Wirtschaftsnobelpreisträgerinnen und -träger wie Joseph Stiglitz, Abhijit Banerjee und Esther Duflo kritisieren mittlerweile die Verwendung des Bruttoinlandsprodukts (BIP) als Indikator für Fortschritt.

Der erste und einfachste Schritt zur Postwachstumsgesellschaft ist es, Wachstum (in der Form des BIP) nicht weiter als ein gesellschaftliches Ziel zu sehen, welches über allen anderen sozialen und ökologischen Problemen steht. Laut dem Ökonomen Tim Jackson war der Drang nach Wachstum die Motivation hinter fast allen staatlichen Fehlhandlungen, die zur Wirtschaftskrise von 2008 geführt haben. Probleme stammen also oft nicht von einer tatsächlichen Abhängigkeit vom Wachstum, sondern von der Besessenheit der Politik an diesem Maßstab.

Die Welt könnte auch gerechter werden, wenn die Wirtschaft im Westen schrumpft. Die Früchte des Wachstums kommen hauptsächlich nur dem reichsten ein Prozent der Gesellschaft zugute. Viele Länder müssen dennoch ihre Wirtschaft expandieren, um die grundlegendsten Bedürfnisse der Bevölkerung zu decken. Wenn wir zum einen die globalen Emissionen senken wollen, und zum anderen ärmeren Ländern die Chance geben wollen, sich zu entwickeln, dann müssten reiche Länder wie Österreich ihren unverhältnismäßig großen Anteil an Emissionen besonders stark reduzieren.

Trotzdem sind Sorgen darüber gerechtfertigt, ob die Wirtschaft ohne kontinuierliches Wachstum funktionieren kann. Finanzmärkte können ohne Wachstum instabil werden. Schuldenblasen können platzen. Arbeitslosigkeit steigt. Außerdem gibt es ohne Wachstum weniger Einkommen zu verteilen: Das kann Ungleichheit verschärfen. Doch dies ist kein Argument gegen den Klimaschutz, sondern ein Argument für eine Transformation der Wirtschaft. Kurz‘ Sorge zur Bezahlung von Pensionen sollte in diesem Sinne als Kritik am Pensionssystem gesehen werden.

Die obigen Beispiele zeigen auch, wo erste konkrete Schritte gesetzt werden können. Die Regulierung von Finanzmärkten kann Spekulationen und Privatverschuldungen einschränken. Arbeitszeitverkürzung und eine Arbeitsplatzgarantie können die Arbeitslosigkeit bekämpfen. Maßnahmen gegen die Ungleichheit – beispielsweise durch eine Einkommensobergrenze oder eine Finanztransaktionssteuer – können uns helfen, unsere limitierten Ressourcen gerechter zu verteilen. Und zur Finanzierung des Sozialstaats gibt es Ideen zu Reformen des Geld- und Bankensystems.

Schwierige Veränderungen

Solche Veränderungen sind politisch leider schwer vorstellbar. Sie werden nicht möglich sein, ohne den massiven Widerstand derer zu überwinden, die vom aktuellen System profitieren. Wie der "Guardian" aufgedeckt hat, hat die fossile Industrie in den letzten Jahrzehnten die Debatte zum Klimawandel bewusst manipuliert und gebremst. Unserem demokratischen System fehlt es offensichtlich zurzeit an Transparenz und Mechanismen, um sich gegen den Einfluss mächtiger Interessen zu stellen.

Auch von Seiten der Bevölkerung gibt es Widerstand. Die Mehrheit unterstützt zwar prinzipiell den Klimaschutz, aber Forderungen nach konkreten Veränderungen unseres Lebensstils werden lautstark kritisiert. Sogar Kurz würde für den Klimaschutz "nie auf Wiener Schnitzel verzichten". Doch um die Klimakrise zu überstehen, werden wir wohl oder übel den Konsum von umweltschädlichen Produkten reduzieren müssen. Das bedeutet unter anderem weniger Wegwerfprodukte, Autos, Flugreisen und Fleisch.

Öffentliche Akzeptanz für solche Veränderungen ist aber eine demokratische Grundvoraussetzung. Deshalb braucht es auch neue gemeinsame Vorstellungen davon, was ein gutes Leben ausmacht. Wir sollten uns als Gesellschaft daher den wichtigen Fragen stellen: Welche Produkte sind maßgeblich für unsere Zufriedenheit, und auf welche könnten wir eigentlich relativ einfach verzichten? Ist all die Verschwendung der heutigen Zeit notwendig? Und ist es für unseren Wohlstand wirklich nötig, jedes Jahr unentwegt mehr und mehr zu produzieren?

Schritt für Schritt

Eine Wirtschaft ohne Wachstum könnte in diesem Sinne viel Positives bringen: Sinnvolle und erfüllende (und vielleicht auch einfach weniger) Arbeit. Mehr Zeit für Freunde, Familie, Pflege, Selbstverwirklichung und demokratische Teilnahme. Mehr Gemeinschaftsgefühl in unserer Gesellschaft. Und eine gesunde Umwelt. All dies kommt in unserer karriere- und konsumgetriebenen Kultur oft zu kurz. Wobei viele Menschen schon lange mit neuen und nachhaltigeren Lebensweisen experimentieren, welche für die breitere Gesellschaft als Inspiration und Vorbild dienen können.

Der Weg zu einer Postwachstumsgesellschaft ist also notwendig, aber alles andere als einfach. Wir brauchen grundlegende wirtschaftliche, politische und kulturelle Veränderungen. Trotzdem scheint es der einzig vernünftige Weg nach vorne, denn die Alternative ist ein (wortwörtlich) verwüsteter Planet. Das 1,5-Grad-Limit einzuhalten, ist mittlerweile äußerst unwahrscheinlich – aber jedes Zehntelgrad, das wir noch zu verhindern wissen, wird in Zukunft einen großen Unterschied machen. Wir können uns nur Schritt für Schritt in die richtige Richtung bewegen. Der erste Schritt ist es, sich von illusorischen Träumen technologischer Wunderlösungen zu trennen und die Komplexität unserer Herausforderungen ehrlich auszusprechen. (Joël Foramitti, X.2.2020)

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