Aufgeblasen: "Es sind die Vorsorgemaßnahmen wie Quarantäne oder Mundschutz, die den Menschen Angst machen", sagt Virologin Elisabeth Puchhammer von der Med-Uni Wien.

Foto: EPA

Christoph Steininger, Virologe an der Med-Uni Wien, kann die Panik um das Coronavirus nicht nachvollziehen. "Die chinesischen Forscher und Behörden machen hervorragende Arbeit", sagt er.

Foto: Meduni Wien

Jeden Morgen wieder: Wer derzeit die Morgennachrichten hört, muss sich wirklich bemühen, sich nicht von der kollektiven Panik mitreißen zu lassen. Quarantäne, sprunghaft ansteigende Opferzahlen, Menschen mit Masken: Wer einen kühlen Kopf bewahren will, sollte sich die Zahlen vor Augen halten. In Wuhan leben 11,4 Millionen Menschen, in der gesamten Provinz Hubei rund 59 Millionen. 549 Menschen sind in dieser Region gestorben, das sind 0,00001 Prozent. "Dass das Pflegepersonal in Hongkong nun streikt, weil dort zwei Fälle diagnostiziert wurden, ist nichts als Hysterie", sagt Christoph Steininger, Virologe an der Med-Uni Wien. Er findet die Aufregung vollkommen überzogen.

Viele Gerüchte

Auch der Meldungen darüber, dass die chinesische Führung den Ausbruch der Krankheit verschwiegen haben könnte, kann der Virologe nichts abgewinnen. "Die Behörden dort leisten wirklich hervorragende Arbeit", sagt er und meint sowohl die Forschungsleistung als auch die Informationspolitik der chinesischen Wissenschafter und somit auch die Quarantänemaßnahmen, die helfen, das neue Virus zu stoppen. "Es ist eher die Frage, ob man außerhalb Chinas alle Aktionen, die rund um dieses Virus als Vorsichtsmaßnahme getroffen werden, hier bei uns durchbringen würde", so Steininger. Aus den veröffentlichten Krankenzahlen könne man auch ablesen, dass die Maßnahmen der chinesischen Behörden greifen, weil "sonst würden die Kurven noch viel stärker ansteigen, was nicht der Fall ist".

Und was ist mit dem sprunghaften Anstieg, von dem in allen Medien die Rede ist? Man testet in China einfach mehr Kranke auf 2019-nCoV, deshalb steigen auch die Zahlen, und die Tests würden wahrscheinlich bei all jenen Kranken durchgeführt, "die mit besonders schweren Symptomen im Krankenhaus landen".

Auch das verzerre das Bild, sagt Steininger. Denn es ist sehr wahrscheinlich, dass viele Menschen mit dem Wuhan-Virus zwar infiziert sind, aber einfach überhaupt keine Symptome haben und auch nicht krank werden. 2019-nCoV könnte also vielleicht tatsächlich aus virologischer Sicht ein eher harmloser Krankheitserreger sein. Jedenfalls wesentlich harmloser als die Influenza, vor der sich ja auch hierzulande die Menschen so wenig fürchten, dass sie sich mehrheitlich nicht einmal impfen lassen. "Die Menschen fürchten sich wegen der Vorsorgemaßnahmen wie Quarantäne und Mundschutzmasken eher als vor dem Virus selbst", sagt Elisabeth Puchhammer, Virologin an der Med-Uni Wien.

Das Coronavirus erklärt.
DER STANDARD

Influenza viel stärker

Apropos Influenza: Wovon derzeit keiner spricht: In China kursiert nicht nur das Wuhan-Virus, sondern auch die Influenza, beides Infektionen mit ähnlichen Symptomen. Steininger hat im Flu-Net der der Weltgesundheitsbehörde nachgesehen und festgestellt, dass die saisonale Influenza zufälligerweise genau zeitgleich mit dem neuen 2019-CoV Mitte Dezember vorigen Jahres ausgebrochen zu sein scheint. "Zwei Wochen, um zu erkennen, dass es sich um verschiedene Erkrankungen handeln könnte, ist sehr kurz", bestätigt Steininger noch einmal die gute Arbeit der chinesischen Kollegen. Gerüchte davon, dass virologische Sachlagen verschwiegen worden sein könnten, kann er nicht nachvollziehen.

Niemand, so versichert er, könne derzeit seriöserweise Prognosen bezüglich der Entwicklung des Wuhan-Virus abgeben. Zum einen ist es unmöglich, aus den Entlassungszahlen Schlüsse auf die Aggressivität zu ziehen, denn bei der Bilanz zwischen Krankenregistrierungen und Entlassungen spielt der zeitliche Verlauf eine entscheidende Rolle. Wer kommt ins Spital? Wer wird getestet? Wann genau werden Patienten und Patientinnen entlassen? Eine seriöse Gesamteinschätzung des Virus könne daher immer nur im Nachhinein erfolgen, sagt Steininger. Doch selbst dann sei der Überblick über die virologische Belastung einer ganzen Bevölkerung unrealistisch, "das ist technisch, organisatorisch und finanziell vollkommen undurchführbar", sagt er – und bei harmlosen Viren ja auch nicht einmal notwendig. Die Influenza, vermutet er, ist aggressiver und gefährlicher als das Coronavirus – "und trotzdem lassen sich nur zehn Prozent der Menschen in Österreich dagegen impfen". Dass sich irgendjemand außerhalb Chinas vor dem Wuhan-Virus fürchten könnte, sei paradox.

Übertragung und Ursache

Was den Virologen noch interessiert, sind die Übertragungsraten. Bisher sind kaum Kinder am Wuhan-Virus erkrankt. Es könnte sein, dass bei Kindern die Krankheit kaum Symptome macht, sie aber sehr wohl ältere Leute anstecken können, das sei bei bestimmten Influenzaviren ebenso der Fall, sagt er. Was das heißt: Die Influenza verläuft mit nur harmlosen Symptomen, die Kinder scheiden aber trotzdem Viren aus und sind ansteckend, was wiederum für ältere Menschen mit geschwächtem Immunsystem zum Problem werden kann. Bei 2019-nCoV könnte das ebenso sein.

Und auch die Frage, ob sich das neu entdeckte Coronavirus in einem menschlichen Wirt weiter verändern könnte, interessiert Steininger. Bei Sars war das der Fall, allerdings in einem nur sehr geringen Maße und deshalb ohne Konsequenz und Relevanz.

Was Christoph Steininger tatsächlich gern wissen würde, ist "die Quelle des neuen Virus", also welches Tier bei der Entstehung eine Schlüsselrolle gespielt hat. Aber auch solche Untersuchungen dauern Monate, manchmal sogar Jahre. Einstweilen ist wieder die Fledermaus im Visier der Forscher, Schlangen könnten Zwischenwirte gewesen sein. Denn so eine Erkenntnis könnte zur Folge haben, dass der Verzehr von bestimmten Wildtieren verboten wird. Und die Frage ist, mit wie viel Vehemenz die staatlichen Gesundheitsbehörden Chinas solche Essensverbote dann durchsetzen würden. Chinesen essen traditionell sehr viel Fleisch – und besonders gern auch exotische Arten. 2019-nCoV könnte diesen Vorlieben den Garaus machen. (Karin Pollack, 7.2.2020)