Im Gastkommentar erklärt Wolfgang Pusztai, Vorsitzender des Beirats des National Council on U.S.-Libya Relations und Direktor von Perim Associate, warum die Operation Sophia nicht funktioniert und die Lösung der Migrationsproblematik letztlich in der Stabilisierung der Herkunftsländer liegt. In einer Replik antwortet Anja Oberkofler, Juristin und Vizepräsidentin des Österreichischen Roten Kreuzes: Besser etwas tun, als gar nichts zu tun.

Am Morgen des 25. Juni 2015 lief der italienische Flugzeugträger Cavour aus seiner Basis Taranto an der Spitze mehrerer Schiffe ins Ionische Meer aus. Die EU-Marinemission mit dem sperrigen Namen "EU-Navfor Med Operation Sophia" hatte begonnen. Ihr Ziel wurde von der damaligen EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini vorgegeben. Man sollte das Geschäftsmodell der libyschen Schlepperringe zerstören. Ist das gelungen?

Vor Beginn der Operation Sophia wurden die Migranten zumeist in relativ seetüchtige größere Boote und kleinere Schiffe gesetzt, mit GPS und Satellitentelefon ausgerüstet und auf den gefährlichen Weg nach Italien geschickt, zum knapp 300 Kilometer entfernten Lampedusa oder auf die 500 Kilometer lange Strecke nach Sizilien. Zu viele haben das nicht geschafft und sind im Meer geblieben.

Bild nicht mehr verfügbar.

Ein von der libyschen Küste kommendes Boot voller Flüchtlinge, die 2018 von einer spanischen NGO gerettet wurden.
Foto: AP/Felipe Dana

Dann startete die Operation Sophia – und die hatte tatsächlich gewaltige Auswirkungen auf das Geschäftsmodell der Schlepper. Unter dem beabsichtigten oder unbeabsichtigten Schutz der EU-Flotte stieg auch die Anzahl der NGO-Schiffe, die bis knapp an die libyschen Hoheitsgewässer heranfuhren. Man konnte sie nicht nur im Internet auf einschlägigen Seiten punktgenau verfolgen, sondern oftmals sogar von der Küste aus sehen.

Riskante Fahrt

Die Schlepper erstarrten nicht in Ehrfurcht vor der mächtigen europäischen Kriegsflotte, sondern änderten ihr Geschäftsmodell – aber nicht so, wie von der EU erwartet. Sie gingen dazu über, wesentlich billigere, kleinere Fiberglas- oder Schlauchboote mit unzureichendem Antrieb und ohne zusätzliche Ausrüstung zu verwenden. Das Ziel war ja nun nicht mehr das ferne Italien, sondern eines der oft lediglich circa 25 bis 30 Kilometer vor der Küste wartenden europäischen Schiffe.

Während eine Reise von Tunesien nach Libyen zwei Jahre nach dem Beginn von Sophia noch immer etwa 400 US-Dollar kostete, sank der Preis für die Überfahrt nach Italien ab der libyschen Küste von rund 1600 auf 1000 US-Dollar. Es wurde sogar ein "Familiendiskont" angeboten. Der geringere Preis und die wesentlich weniger riskante Fahrt machte die Reise nach Europa für Migrationswillige wesentlich attraktiver. Die Zahlen der Ankünfte an der libyschen Küste explodierten wie auch die Profite der Schlepper. Aber auch die Anzahl der Toten im Mittelmeer nahm zu. Dieser offensichtliche Konnex zwischen der Anwesenheit von Rettungsschiffen vor Libyens Küste und der Anzahl der Ertrunkenen wird mittlerweile auch mit einer wissenschaftlichen Studie belegt. Im März 2019 wurde schließlich beschlossen, der Operation Sophia keine Schiffe mehr zu unterstellen und lediglich mit der Seeraumüberwachung aus der Luft fortzufahren.

Trügerische Sicherheit

Aber nach der jüngst stattgefundenen Berliner Libyen-Konferenz wird von der deutschen Bundeskanzlerin gefordert, die Operation Sophia wiederum mit Schiffen auszurüsten und auch zur Durchsetzung des Waffenembargos gegen Libyen einzusetzen. Das klingt zwar gut, funktioniert aber nicht. Einerseits kommt die Masse der Lieferungen auf dem Luft- und Landweg nach Libyen, und andererseits hat die EU-Marinemission bereits den Auftrag, das Embargo durchzusetzen. Allerdings wurde kein einziges nicht-libysches Schiff mit Waffen an Bord gestoppt. Dies mag auch daran liegen, dass das Interesse am Durchsuchen von verdächtigen türkischen Schiffen oder solchen der Vereinigten Arabischen Emirate nicht besonders groß war.

Angela Merkel hob die Vorteile von staatlichen gegenüber privaten Schiffen bei der Seenotrettung hervor. Tatsächlich können die Marineschiffe mit ihren Sensoren die kleinen Boote der Migranten über größere Distanzen orten und haben zumeist auch wesentlich größere Transportkapazitäten. Sie geben den NGOs Sicherheit vor Übergriffen der libyschen Küstenwache und untermauern die politische Akzeptanz und die Legitimität der Vorgangsweise der NGOs. Eine volle Wiederaufnahme der Operation Sophia würde daher noch mehr NGOs motivieren, Schiffe vor die libysche Küste zu entsenden. Sie würde den Migranten ein trügerisches Gefühl von Sicherheit geben – und zu noch mehr Toten führen, auch wenn der Prozentsatz der Überlebenden ansteigen würde.

Trotz der besten Absichten: Die volle Wiederaufnahme der Operation Sophia, um das Sterben im zentralen Mittelmeer zu beenden und um alle Migranten, die aus Libyen nach Europa wollen, aufzunehmen, würde zu keinem Erfolg führen. Das ist keine endliche Anzahl, sondern aufgrund des Zuzuges aus dem Süden ein Fass ohne Boden. Die Bevölkerungsentwicklung in den Herkunftsländern ist vielsagend. Migranten nach dem Motto "Ihr Europäer müsst sie ohnehin retten" in Boote zu setzen ist eine Art Erpressungsversuch der Schlepper. Ein Eingehen darauf weckt nur die Gier nach noch mehr Geld.

Was kann man tun?

Viel sinnvoller wäre es, die Lage der Migranten in den libyschen Lagern spürbar zu verbessern, eine freiwillige Rückkehr in die Heimatländer über einen bestimmten Zeitraum mit entsprechenden Anreizen zu bewerben und diese zu organisieren. Ein Blick auf das durchschnittliche Jahreseinkommen in diesen Ländern zeigt die Machbarkeit dieses Ansatzes. Aber eine wirklich dauerhafte Lösung der Migrationsproblematik liegt in der Stabilisierung der Herkunftsländer. (Wolfgang Pusztai, 7.2.2020)