Viel Zucker, Fett und Salz in der TV-Werbung – das verursacht Übergewicht bei Kindern.

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Der tanzende Kinderriegel vor Rapunzel, das prickelnde Cola vor Bibi Blocksberg – Kinder, die vor dem Fernseher sitzen, sehen viele ungesunde Dinge, die sie später beim Einkauf im Supermarkt haben wollen. Geben die Eltern nach, führt das auf Dauer zu Übergewicht. Ein Problem, das auch bei Kindern immer gravierender wird. Die Folgen sind neben psychischen Problemen auch chronische Erkrankungen wie Diabetes, Bluthochdruck und Gelenkverschleiß.

Die Industrie ist sich ihrer Verantwortung teilweise bewusst. Und so haben im Jahr 2007 einige Lebensmittel- und Getränkekonzerne auf EU-Ebene eine Selbstverpflichtung unterzeichnet, an Kinder gerichtete Werbung für stark fett-, zucker- und salzhaltige Lebensmittel einzuschränken.

Eine Studie von Wissenschafterinnen des Institut für Lebensmittel- und Ressourcenökonomik der Universität Bonn zeigt nun, dass nach dieser Vereinbarung die Zahl entsprechender an Kinder gerichteter Werbeclips in Deutschland abgenommen hat. Gleichzeitig nutzen die Unternehmen aber teils auch Lücken aus, so das Ergebnis der Forscherinnen. Ihre Arbeit wurde im Fachjournal "Food Policy" veröffentlicht.

Keine unabhängige Stelle

"Im Rahmen der Selbstverpflichtung konnte jedes Lebensmittelunternehmen die Kriterien zunächst weitgehend selbst festlegen, ab welchem Fett-, Zucker- und Salzgehalt keine Werbung mehr für Kinder veröffentlicht werden sollte", sagt Doktorandin Stefanie C. Landwehr. Später wurden diese Kriterien europaweit vereinheitlicht – aber nach wie vor werden sie von Unternehmensseite und nicht von einer unabhängigen wissenschaftlichen Stelle festgelegt.

Im Rahmen der Untersuchung zeichneten die Autorinnen insgesamt 88 Stunden Werbung mit 3.047 Werbespots für Getränke- und Lebensmittelprodukte an bestimmten Stichtagen im Oktober 2011 und 2014 auf. Anhand eines Bewertungskatalogs wurde unter Berücksichtigung des Kontexts und der Tonalität der Werbebotschaften untersucht, ob sich der jeweilige Werbeclip an Kinder (697 Spots) oder Erwachsene richtete. Darüber hinaus recherchierten die Forscherinnen für jedes Lebensmittelprodukt, das kindgerecht beworben wurde, die Nährwerte und ordneten ein, ob es mit den harmonisierten Werberichtlinien der Selbstverpflichtung in Einklang stand oder nicht.

Erhebliche Wirkung

Ebenfalls bewertet wurden die Produkte nach den OFCOM-Kriterien. Dieses vom britischen Amt für Kommunikation entwickelte Nährwertprofil dient unter anderem als Basis für die gesetzliche Beschränkung von an Kinder gerichteter Lebensmittelwerbung im britischen Fernsehen. Bei ihren Untersuchungen differenzierten die Wissenschafterinnen zwischen Lebensmittel- und Getränkeunternehmen, die die Selbstverpflichtung unterschrieben haben – und solchen, die dies nicht taten.

Auf den ersten Blick zeigt die Selbstverpflichtung der Lebensmittel- und Getränkeindustrie erhebliche Wirkung: "Im Oktober 2014, und damit kurz vor Inkrafttreten der Harmonisierung, entsprachen fast alle Werbespots im Kinderfernsehen den selbst auferlegten Kriterien", so Landwehr. Auch sind die an Kinder gerichteten Werbespots insgesamt stark zurückgegangen.

Briten sind strenger

"Die freiwillige Selbstverpflichtung der Konzerne ist ein Schritt in die richtige Richtung", ergänzt Monika Hartmann, Leiterin der Professur für Marktforschung der Agrar- und Ernährungswirtschaft an der Universität Bonn. Allerdings seien die selbstgewählten Kriterien der Unternehmen zur Regulierung der Werbung nicht stringent genug. "Großbritannien hat hier mit dem OFCOM-Nährwertprofil deutlich strengere Vorgaben für die Regulierung von an Kinder gerichteter Lebensmittelwerbung." Legt man diese Kriterien zugrunde, ist das Bild nicht mehr ganz so positiv. Außerdem schmälere die Freiwilligkeit den potenziellen Effekt, weil nicht alle Lebensmittelunternehmen mitziehen, so das Fazit der Forscherinnen.

Darüber hinaus nutzen nach den Erkenntnissen der Forscherinnen auch Lebensmittel- und Getränkekonzerne, die die freiwillige Selbstverpflichtung unterschrieben haben, Lücken aus. Zu den Sendezeiten des "Erwachsenenfernsehens" wird weiterhin in erheblichem Maße für problematische Produkte in kindgerechter Weise geworben, obwohl auch hier Kinder oft mit vor dem Fernseher sitzen. "Wünschenswert wäre deshalb, dass die Richtlinien für alle Sendungen und nicht nur für Kindersendungen gelten, wenn es sich um an Kinder gerichtete Werbespots handelt", so Landwehr. (red, 9.2.2020)