Sebastian Kurz sucht gelegentlich das vertrauliche Gespräch, nicht alles bleibt aber auch im Vertraulichen. Als Kanzler will er jedenfalls das Gesetz des Handelns auf seiner Seite wissen.

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Es war ein Hintergrundgespräch, wie es Sebastian Kurz in regelmäßigen Abständen abhält. Eingeladen sind leitende Redakteure aus diversen Medien quer durch Österreich, der Ort ist immer der gleiche: das Springer-Schlössl in Wien-Meidling, in dem die Politische Akademie der ÖVP untergebracht ist. Am 10. Jänner sind etwa 30 bis 40 Journalisten anwesend, Vertreter so gut wie aller Tageszeitungen, von Wochenmagazinen und des ORF. Wie immer wird ausdrücklich Vertraulichkeit vereinbart, es darf nicht zitiert oder berichtet werden. Kurz erzählt, was ihm wichtig ist, dann können Fragen gestellt werden, meist entwickelt sich daraus eine Diskussion.

Mit einer kleinen Ausnahme hat die Vertraulichkeit über die Jahre funktioniert. Diesmal nicht: Ausgerechnet der Falter, der zwar eingeladen, aber nicht erschienen war, berichtete diese Woche über Details des Gesprächs.

Rote Verbindungsleute

Kurz hatte einen breiten, thematischen Bogen gespannt, kam im Laufe des Abends aber mehrfach auf die Justiz und insbesondere die Korruptionsstaatsanwaltschaft zu sprechen. Er machte aus seinem Ärger über die Strafverfolgungsbehörde keinen Hehl: Es würden gezielt Akten an die Öffentlichkeit gespielt, und immer treffe es Personen, die der ÖVP, der FPÖ oder auch den Grünen nahestehen. Das läge wohl daran, dass in der Staatsanwaltschaft auch rote Verbindungsleute sitzen würden, mutmaßte Kurz, Mitglieder des Bundes sozialdemokratischer Akademiker. Kurz führte einige Beispiele an, betroffen sei auch Hartwig Löger, sein ehemaliger Finanzminister, der von der Justiz besonders hart angefasst würde, oder sein Mitarbeiter, der die Festplatten aus den Kopiergeräten des Kanzleramtes geschreddert hatte und in den Ermittlungen immer noch als Beschuldigter geführt werde.

Diskussion mit dem Kanzler

In der anschließenden Diskussion wurde das Thema mehrfach aufgekocht. Parteipolitische Besetzungen in der Justiz wurden zur Sprache gebracht, beim Verfassungsgerichtshof sei das ja besonders offensichtlich. Dass ausgerechnet von der Korruptionsstaatsanwaltschaft Akten an die Medien weitergereicht würden, wurde von mehreren Journalisten in Abrede gestellt. Auch die Beschuldigten und deren Anwälte hätten Zugang zu den Akten, schließlich wisse man in vielen Fällen, woher die Akten kommen.

Zunächst schien niemand das Thema aufzugreifen, auch wenn sich etliche Journalisten fragten, warum Kurz die vermeintlichen Missstände in der Justiz so vehement artikuliert hatte – offenbar müsse er an einer Berichterstattung interessiert sein.

Als der Falter den Abend beschrieb, war im Kanzleramt erst Zurückhaltung angesagt. Ein Geheimnis war der Inhalt nicht, Kurz selbst hatte am Samstag im Journal zu Gast seine Zweifel an der Justiz angesprochen. Dennoch schien klar, dass das Kanzleramt den Ball flach halten wollte: kein Statement auf Anfrage. Am Mittwochabend wurde Kurz dann in Brüssel von einem ORF-Journalisten gestellt und zum "roten Netzwerk" bei der Korruptionsstaatsanwaltschaft befragt. Dem Kanzler war das Thema sichtlich unangenehm. Am nächsten Tag: Änderung in der Kommunikationsstrategie. Der Kanzler lädt zum runden Tisch. Aus der Defensive also in die Offensive. Kurz will das Heft des Handels offenbar in der Hand behalten. (Michael Völker, 6.2.2020)